Als Nils Olger fast 400 Fotonegative findet, die sein verstorbener Großvater während der NS-Zeit machte, beginnt er mit einer umfangreiche Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit seines Großvaters. FINK.HAMBURG hat den Regisseur zum Gespräch getroffen.
Vor über 70 Jahren wütete die berüchtigte 16. Panzerdivision “Reichsführer SS” unter dem Kommando des Kriegsverbrechers Walter Reder in Mittel- und Südeuropa. Nils Olgers Großvater Olaf Jürgenssen war als Arzt ein Teil von ihr.
In Gesprächen mit seiner Familie verschwieg der ehemalige SS-Mann vieles. Als sein Enkel nach dem Tod Jürgenssens an Fotonegative aus den Kriegsjahren gelangt, begibt er sich auf eine umfangreiche Recherche zu den Bildern. Er reist an die Orte, an denen die Fotos seines Großvaters entstanden sind und spricht vor Ort mit Zeitzeugen.
Das Ergebnis dieser Recherche ist ein fast zweistündiger Dokumentarfilm namens “Eine eiserne Kassette”. Der Titel bezieht sich auf die Kassette, die Olgers Großmutter ihm nach dem Tod des Großvaters überreichte. Darin fand er Abzüge der Fotonegative.
Am Mittwochabend (30. Oktober) um 20 Uhr stellt Nils Olger seinen Film im Abaton Kino vor. Es handelt sich um eine einmalige Veranstaltung, danach wird der Film in Hamburg nicht mehr im Kino zu sehen sein. FINK.HAMBURG hat sich mit dem Regisseur zum Gespräch getroffen.
Du hast in dem Nachlass deines Großvaters Fotonegative aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. War dir von Anfang an klar, dass du aus dem Material einen umfangreichen Dokumentarfilm machst?
Olger: Der erste Rohschnitt war viereinhalb Stunden lang. Und das Ausgangsmaterial umfasst knapp 400 Kleinbild-Negative. Das Vorhaben war zunächst einmal, all diese einzelnen Fotos zu recherchieren und zu kontextualisieren. Und den Dokumentarfilm dann um diese Fotos zu bauen.
Im Film ist ein Interview mit deinem Großvater zu sehen, welches du 2007 geführt hast. Wusstest du damals schon, dass du tiefer in die Materie einsteigen willst?
Olger: Ich habe lange gebraucht, um die richtigen Fragen zu stellen und die Vergangenheit meines Großvaters aufzuarbeiten. 2007 habe ich den ersten Schritt gewagt und das Interview gemacht. Damals habe ich das erste Mal mit ihm über den Krieg gesprochen, ohne Hintergrundwissen zu haben. Er war gesundheitlich nicht mehr so gut beieinander. Erst nach seinem Tod hat dann für mich die Aufarbeitung begonnen.
Wie lange hast du gedreht?
Olger: Ab dem Zeitpunkt, als ich die Negative gefunden habe, inklusive der Recherche, waren es knapp sechs Jahre.
Du warst für die Geschichte unter anderem in Italien und Ungarn. Wie lief die Recherchereise ab?
Olger: Ich konnte die Recherche nicht während eines Aufenthalts erledigen. Zudem ist sie sukzessiv vorangeschritten, vieles war ineinander verzahnt. Jedes Puzzelstück hat den Film weitergebracht. Jedes Rechercheergebnis hat für mich eine neue Option aufgetan, irgendwo hinzufahren.
Wie kamst du bei dieser Recherchereise zu einem Ende?
Olger: Es war für mich klar, dass die Recherche irgendwann einmal vorbei ist. Es war immer ein Wettlauf mit der Zeit, denn meine Protagonist*innen werden älter. Zeitzeug*innen leben nicht ewig und ich war mit meiner Recherche sowieso schon spät dran. Aber wirklich abgeschlossen ist das Projekt immer noch nicht. Es ist ein nahes Verhältnis zu den Protagonist*innen entstanden. Ich fahre deshalb immer noch hin und nehme zum Beispiel an Gedenkfeiern teil.
Die Ereignisse sind heute 75 Jahre her. Wie schwierig war es Protagonist*innen zu finden?
Olger: Ein paar Jahre vorher hätte ich noch andere Protagonist*innen gefunden. Es gab einen gewissen Zeitdruck. Aber es war zunächst erst einmal schwierig herauszufinden: Wo will ich hin? Wo sind die Fotos entstanden? Die Recherche der Aufnahmeorte war die große Herausforderung. Die Leute waren mir sehr freundschaftlich und wohlwollend gegenüber eingestellt, damit konnte ich nicht rechnen.
Wussten die Protagonist*innen, dass sich die Recherche um die Geschichte ihres Großvaters dreht?
Olger: Ja. Die Fotos waren sozusagen meine Eintrittskarte.
Haben die Protagonist*innen den Film gesehen?
Olger: Ja. Es gab eine Preview in Italien, wo ich nochmal an die Gedenkorte gefahren bin und den Film zur Gedenkfeier dort gezeigt habe.
Hast du heute einen anderen Blick auf deinen Großvater und auf die Zeit des Nationalsozialismus generell?
Olger: Auf die Zeit des Nationalsozialismus habe ich keinen anderen Blick. Aber meinen Großvater kannte ich vor dem Film anders. Natürlich gibt es den Großvater, der mir wichtig war, als mein Großvater, dem ich nahestand. Aber mein Bild von ihm hat sich verschoben: durch die Dinge, die ich über ihn herausgefunden habe, was er mir vorenthalten hat, was aber immer schon seine Vergangenheit war, seine Verantwortung und seine Teilhabe an Kriegsverbrechen. Ich habe ihn nicht als Nazi gekannt, aber ich weiß jetzt, dass er eine Nazivergangenheit hat und dass er sich dafür nie verantwortet hat.
Im Film wird von Walter Reder gesprochen, der auch als Kriegsverbrecher verurteilt wurde. Hat dein Großvater früher über ihn gesprochen?
Olger: Nein.
Kanntest du den Namen vorher?
Olger: Nicht von meinem Großvater. Es gab nie direkte Auseinandersetzungen mit dem Krieg, mit Walter Reder oder mit Kriegsverbrechen. Was es aber gab, waren Gerüchte und das war ein Grund für mich, neugierig zu sein. Denn allein die Vorstellung, dass mein Großvater beteiligt sein könnte und sich in irgendeiner Weise zu verantworten hätte, hat mich beunruhigt.
Hast du dir gewünscht, dass du die Bild-Negative bereits früher gefunden hättest?
Olger: Man wünscht sich wahrscheinlich immer bei solchen Anlässen, dass man früher darauf gestoßen wäre. Ich habe mit dem, was mir zur Verfügung stand, glaube ich, gemacht, was möglich war. Vielleicht ist der Film auch Anregung für andere Menschen, ihre eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten.
Fotos: sixpackfilm