Illustration Bornplatzsynagoge
Jüdisches Leben in Hamburg. Illustration: Laurenz Gottstein & Lukas Barth

Eine Einleitung zur Themenwoche “Jüdisches Leben in Hamburg” von Ole-Jonathan Gömmel und Julia Rupf

Liebe Lesende,

habt ihr euch schon einmal auf einen Spaziergang durch Hamburgs Innenstadt begeben? Egal welche Ecken ihr passiert – mit ein wenig Aufmerksamkeit könnt ihr Gebäude, Ladenlokale, Straßenschilder oder Denkmäler entdecken, die Teil der Geschichte und Gegenwart des jüdischen Lebens in Hamburg sind. Dieses jüdische Leben war und ist ein integraler Teil der Identität dieser Stadt – und Deutschlands. Im Jahr 2021 feiern Personen jüdischen Glaubens das 1700-jährige Jubiläum ihrer Glaubensausübung auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Die bevorstehende Themenwoche widmet FINK.HAMBURG der jüdischen Glaubensgemeinschaft und kulturellen Realität in Hamburg.

Wir wollen lernen, dabei in die Vergangenheit und Gegenwart schauen – um gemeinsam mit unseren Ansprechpartner:innen Rückschlüsse für eine mögliche Zukunft zu ziehen. Ein Blick auf aktuelle Entwicklungen zeigt nämlich: Eine Auseinandersetzung mit dem Thema ist wichtiger denn je.

Im Jahr 2020 haben die Behörden in Deutschland 2351 antisemitisch motivierte Straftaten gezählt. Ein Höchststand seit Beginn der Erfassung der Statistik zur „Politisch Motivierten Kriminalität“ im Jahr 2001. Die Tatsache ist schockierend und eines von vielen Zeichen, welches uns vor Augen führt, dass es in Bezug auf das Geschichtsverständnis und die Erinnerungskultur in Deutschland neue Ansätze der Vermittlung braucht.

Eine von der Universität Bielefeld und der Berliner Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ durchgeführte Studie zeigte vor drei Jahren, dass sich das geschichtliche Narrativ bezüglich der NS-Zeit in der deutschen Gesellschaft verschiebt. Achtzehn Prozent der befragten Menschen gaben damals beispielsweise an, eine familiäre Verbindung zu Helden und Helfern (z. B. Menschen, die Juden versteckt haben) der NS-Zeit zu haben – eine Quote, weit entfernt der tatsächlichen Zahl, die geschätzt bei um die 0,3 Prozent liegen dürfte. Auch andere Antworten auf die gestellten Fragen zeigen die Tendenz von Bürger:innen, Deutschland in ihrem Geschichtsverständnis von einem Volk der Täter zu einem der Opfer, Helden und Helfer umzukehren.

Die Entwicklung einer solchen geschichtlichen Fehlinterpretation ist gefährlich. Aber woher kommt sie? Versagt die deutsche Erinnerungskultur? An vielen Stellen wirkt diese tatsächlich aktuell wie ein plakatives, aber inhaltsloses und unpersönliches Konstrukt, das vor allem jüngere Menschen nicht mehr erreicht. Gepaart mit den steigenden Zahlen antisemitisch motivierter Straftaten, aber auch fehlenden klaren Bekenntnissen zum Judentum auf staatlicher Ebene und der offenen Zurschaustellung von Antijudaismus und Antizionismus ergibt sich ein gefährlicher Mix.

Damit die Ist-Situation nicht zu einem Menetekel der Zukunft wird, ist eine fortlaufende gesellschaftliche Debatte über die Gründe historischen Unrechts für uns essenziell. Jürgen Habermas nannte diesen Prozess einst „ethisch-politische Selbstverständigung“. Diese ist niemals abgeschlossen und muss von jeder Generation aufs Neue geführt werden.

Uns ist bewusst, dass wir, als Teil einer gesellschaftlichen und durch Generationen verbundenen Gemeinschaft, die Verantwortung für den Umgang mit NS-Verbrechen trotz zeitlicher Distanz immer mittragen werden.

Zu unserem Verständnis „ethisch-politischer Selbstverständigung“ gehört es, sich mit jüdischer Geschichte in Deutschland auseinanderzusetzen, das jüdische Leben als einen Teil deutscher Identität sichtbar zu machen und vor allem: Jüd:innen selbst zu Wort kommen lassen, da dies aktuell noch immer viel zu selten geschieht. Uns ist es dabei wichtig, dies nicht nur mit dem permanenten Bezug zur NS-Zeit zu tun, sondern auch aktuelle Realitäten und Identitäten von Jüd:innen in Deutschland abzubilden.

Wir hoffen, euch mit unserer Themenwoche „Jüdisches Leben in Hamburg“ zum Nachdenken und Austauschen anzuregen. Für Anmerkungen und Kritik schreibt uns gerne an diko@haw-hamburg.de

Ole-Jonathan und Jule im Namen der FINK.HAMBURG-Redaktion