Die Nachhaltigkeitsfrage ist in der Modewelt schon lange Thema, jetzt beschäftigt sie auch immer häufiger die Schmuckindustrie. Aber wie nachhaltig kann Schmuck überhaupt sein?
Es funkelt und glitzert an Ohren, Hälsen und Fingern: Schmuck ist aus dem Alltag vieler Menschen nicht wegzudenken. Seit Jahrtausenden schmücken wir uns mit den unterschiedlichsten Materialien und geben so mal mehr, mal weniger zu erkennen, wo wir herkommen oder wer wir sind.
Doch wer produziert unseren Schmuck eigentlich? Und vor allem wie? Bei unserer Kleidung nehmen wir diese Fragen vermehrt und schon länger in den Blick, langsam kommen sie offenbar auch in der Schmuckindustrie an: Immer häufiger werben Marken mit recycelten Materialien und fair produzierten Schmuckstücken. Aber was ist dran an den Versprechen?
Schweres Geschütz für die Rohstoffgewinnung
Schmuck besteht häufig aus Edelmetallen wie Gold und Silber. Sie sind langlebig, lassen sich gut verarbeiten und können zudem immer wieder recycelt werden. Bei ihrem Abbau kommen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz. Dass Gold nämlich nicht nur von Hand an Flüssen gesiebt wird, weiß man spätestens seit TV-Serien wie “Goldrausch in Alaska”, in denen schwere Maschinen tonnenweise Erdreich abtragen und kahle, sandige Flächen hinterlassen.
Die größten Goldminen sind auf der ganzen Welt verteilt. Einige von ihnen befinden sich in Entwicklungs- und Schwellenländern. Dort fördern vor allem internationale Großkonzerne die Rohstoffe, denn der Betrieb der Minen ist teuer und die finanziellen Mittel vieler Länder begrenzt, weiß Daniel El-Noshokaty vom Afrikaverein der deutschen Wirtschaft. Der Verein mit Sitz in Hamburg und Berlin fördert den Austausch zwischen deutschen und afrikanischen Vertreter:innen aus Wirtschaft und Politik. Dabei kann es auch mal um Rohstoffe gehen.
Wer am Ende von den Förderverträgen profitiert, hängt laut El-Noshokaty auch vom Land ab, in dem sich die Mine befindet. So unterstützen stabile politische Strukturen profitable Vertragsverhältnisse zwischen Staaten und Konzernen, von denen auch die Bevölkerung vor Ort etwas hat. “Es kommt auch immer darauf an: Ist es eine legale Mine? Ist es eine Mine von einem westlichen Rohstoffgiganten?”, sagt er mit Blick auf Länder, in denen mangelhafte Demokratieverhältnisse den Betrieb illegaler Goldminen begünstigen können, wie beispielsweise in der Demokratischen Republik Kongo. Laut El-Noshokaty könne man in solchen Ländern nicht immer sicher sein, dass sich die Betreiber:innen an Umwelt- und Sicherheitsstandards und das Verbot von Kinderarbeit halten, da die Auflagen der Staaten selbst genug Spielraum für illegale Praktiken ließen.
Edle Metalle: Wer zahlt den Preis?
“Gold wird größtenteils als Rohstoff gewonnen und dann exportiert. Die Veredelung findet zum Beispiel in Europa statt”, sagt El-Noshokaty. Bevor Gold und Silber auf den Tischen der Schmuckproduzent:innen landen können, müssen sie oft viele Arbeitsschritte durchlaufen. In den Abbaugebieten werden vor allem die Rohstoffe gewonnen. Gold beispielsweise muss dann oft in Raffinerien aus Gesteinsverbindungen oder Sanden herausgetrennt werden. Dies passiert vor allem mit Hilfe von Zyanid: Gesteine, die Goldpartikel enthalten, werden zermahlen und das Gold mit einer Zyanidlösung herausgewaschen. Dabei bleiben giftige Abfallprodukte zurück, die eine große Umweltbelastung darstellen.
“Wenn wir von Metallen reden, das ist immer Metallverarbeitung und immer Heavy Duty. Gold ist nichts, das man irgendwie nett aus dem Berg herausgewinnt.”
“Also öko gibt’s nicht”, sagt Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg über Vorgänge wie diesen. “Wenn wir von Metallen reden, das ist immer Metallverarbeitung und immer Heavy Duty. Gold ist nichts, was man irgendwie nett aus dem Berg herausgewinnt.” Die Auswirkungen auf die Umwelt sind laut El-Noshokaty vom Afrikaverein der deutschen Wirtschaft vor allem in den Abbaugebieten immens: “Das ist immer ein extremer Eingriff in die Natur. Das sieht man ja auch in Deutschland beim Braunkohleabbau. Das sind Mondlandschaften.” Um die Folgen möglichst gering zu halten beziehungsweise auszugleichen, müsse man in diesen Gebieten vor allem auf umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen setzen. Diese umfassen beispielsweise den schrittweisen Rückbau der Minen und Wiederaufforstungsprogramme.
Das Problem mit der Lieferkette
Etwas weniger rabiat geht es am Rhein zu. Dort siebt man noch immer Gold – als Nebenprodukt des Kiesabbaus. Diese Mengen sind laut Tristan Jorde aber irrelevant für den Weltmarkt und können höchstens den Bedarf kleinerer Schmuckproduzent:innen decken. Denn die Nachfrage nach Gold ist groß: So benötigt man das Edelmetall nicht nur für die Schmuckherstellung, sondern in vielen weiteren Bereichen. Jorde nennt als Beispiel Smartphones, die schon häufig wegen ihrer Materialzusammensetzung in der Kritik standen. Der Hersteller Fairphone bemüht sich immerhin um eine transparente Lieferkette – kein leichtes Unterfangen, wie das Unternehmen schreibt.
Bis das Gold bei den Schmuckhersteller:innen landet, durchläuft es Jorde zufolge oft lange, schwer nachvollziehbare Lieferketten. Dies liege auch an den vielen Arbeitsschritten, die für die Aufbereitung des Edelmetalls, aber auch anderer Metalle, meist nötig sind. So komme es häufig zu Durchmischungen und Materialursprünge seien nicht immer sicher nachvollziehbar. Vor allem, wenn Raffinerien Rohstoffe aus unterschiedlichen Ländern verarbeiten. In der Theorie müsse aber jeder Rohstoff, der in die EU importiert wird, aus verlässlicher Quelle stammen, sagt El-Noshokaty und verweist unter anderem auf das erst im letzten Jahr verabschiedete Lieferkettengesetz. Das besagt, dass Unternehmen in Deutschland dafür Sorge tragen müssen, dass in ihren Lieferketten die Menschenrechte eingehalten werden.
Und auch für die Staaten, aus denen die Rohstoffe stammen, seien Verhältnisse wünschenswert, die den Betrieb illegaler und unethischer Minen verhindern, so El-Noshokaty. Schließlich hingen am Betrieb legaler Minen auch finanzielles Potenzial in Form von Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen für die lokale Bevölkerung. Zudem erhöht das zunehmende Bewusstsein für faire Bedingungen in der Rohstoffgewinnung den Druck auf den Weltmarkt, für einen ethisch einwandfreien Rohstoffhandel zu sorgen. Trotzdem weiß man manchmal noch immer nicht genau, wo das Gold und andere Stoffe, aus denen ein Schmuckstück besteht, wirklich herkommen.
Zwischen Zertifikaten und Bauchgefühl
Auch Aysha Marikar sagt, dass es nicht immer leicht ist, fair gewonnene Materialien für die Schmuckherstellung zu finden. Seit 2013 fertigt die Hamburgerin Schmuckstücke, die sie unter ihrem Label Statemode verkauft. Sie bestehen hauptsächlich aus bunter Modelliermasse (Polymer Clay), die sich vor dem Aushärten beliebig oft und vor allem müllfrei verarbeiten lässt. Damit daraus am Ende Ohrringe werden können, benötigt Marikar allerdings auch Metall. Angefangen hat sie damals mit Messing, mittlerweile nutzt sie vor allem Edelstahl, Gold und Silber.
“Messing wird oft in der Massenproduktion verwendet”, sagt die Hamburgerin. Massenproduktion, damit meint sie Schmuckstücke, die oft unter widrigen Bedingungen in Südostasien gefertigt werden – dort, wo die für die Schmuckproduktion essentielle Handarbeit wenig kostet.
Außerdem sei die Qualität nicht so gut wie die anderer Materialien. “Wenn etwas richtig, richtig günstig ist, dann weißt du, dass irgendwas nicht stimmt.” Aus diesem Grund sah Marikar sich nach neuen Lieferant:innen um und fand nur wenige, die transparent mit ihren Lieferketten umgingen. Mittlerweile bezieht sie ihre Materialien möglichst von deutschen Händlern oder aus anderen europäischen Staaten und kann Lieferketten und Zertifikate wie das Fair-Trade-Siegel so zumindest ein bisschen besser nachvollziehen.
Nachhaltiger Schmuck: Reuse, reduce, recycle
Am liebsten greift die Hamburgerin aber auf recycelte Rohstoffe zurück und kauft keine fertig verarbeiteten Komponenten. Diese müsste sie nämlich in der Regel aus Ländern wie China beziehen, von Händlern, die wiederum keine Einblicke in Lieferketten und Produktionsprozesse gewähren. Stattdessen verwendet die Hamburgerin simplen Draht, häufig aus recyceltem Edelstahl, Gold oder Silber, den sie selbst zu Steckern, Ringen für Anhänger und anderen Segmenten für ihre Schmuckstücke verarbeitet. “Der ganze Produktionsprozess läuft hier bei mir ab. Jedes noch so kleine Teil”, sagt die 28-Jährige.
“Am Ende des Tages gucke ich in den Mülleimer, wie voll er mit Papier und Plastik ist, und dann weiß ich: okay, wenn er nicht voll ist, dann mache ich etwas richtig.”
Der Markt für Schmuck aus recycelten Materialien boomt. Zwar weiß man auch bei dem recycelten Gold nicht, woher es ursprünglich stammt. Aber immerhin wird dafür kein erneutes Schürfen unter fragwürdigen Praktiken nötig. Marikar sieht aber noch ein weiteres Problem: “Viele achten zwar auf einige Materialien, aber eben nicht auf alle. Wenn sie recyceltes Gold und Silber nutzen, weiß man nicht unbedingt, wo der Edelstein oder die Perle herkommt.” Dass jedoch sämtliche Bestandteile eines Schmuckstücks relevant sind, steht für die Hamburgerin außer Frage. Ihre Perlen sollen künftig aus recyceltem Kunststoff oder Glas bestehen. Für Letzteres habe sie bereits Hersteller in Italien und Tschechien gefunden.
Insgesamt achtet Marikar auf Nachhaltigkeit in sämtlichen Bereichen, sagt sie. “Am Ende des Tages gucke ich in den Mülleimer, wie voll er mit Papier und Plastik ist, und dann weiß ich: okay, wenn er nicht voll ist, dann mache ich etwas richtig.” Wenn mal etwas aus Modelliermasse zu Bruch geht oder ein Stück bereits gebacken, aber nichts geworden ist, fertigt die 28-Jährige aus den kleinen Scherben zum Beispiel Schmuckschalen im Terrazzo-Look.
Klasse statt Masse
Ihren Schmuck produziert die Hamburgerin vor allem auf Nachfrage und in sehr kleinen Mengen. So bleibt sie nicht auf fertigen Stücken sitzen, die sie am Ende verramschen muss, sagt sie. Der Überfluss sei auch in der Schmuckindustrie ein Problem und führe oft dazu, dass kleine Hersteller:innen kaum wettbewerbsfähig sein könnten. Darunter leide wiederum die Nachhaltigkeit. Denn um mitzuhalten, sähen sich viele Produzent:innen gezwungen, auf günstigere Rohstoffe aus nicht immer nachvollziehbarer Quelle zurückzugreifen.
Um solche Strukturen nicht weiter zu begünstigen, hat Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg einen Tipp für Verbrauchende: “Die allgemeine Ökoregel gilt bei Schmuck natürlich auch: Wenig kaufen, etwas Wertvolles kaufen, nicht gedankenlos vor sich hin kaufen. Das ist das Beste, was man tun kann”, sagt er. Er rät außerdem dazu, Schmuck vor Ort zu kaufen. So bekomme man eher ein Gefühl dafür, was einem versprochen werde und könne gezielt Fragen stellen. “Online ist die Welt immer bunt und sanft”, sagt Jorde und verweist auf die vielen Tricks, mit denen uns vor allem Onlineshops Nachhaltigkeit vorgaukeln würden. Nicht selten kämen dann auch Siegel zum Einsatz. Auf Seiten wie label-online.de und siegelklarheit.de könne man zumindest einige von ihnen auf ihre Echtheit überprüfen. Für den Goldmarkt ist vor allem das Fairtrade-Siegel relevant.
Auch Aysha Marikar verkauft ihren Schmuck am liebsten im echten Leben an Pop-up-Ständen oder lässt ihn von ihren Kund:innen abholen. So fallen der Versandweg und die Verpackung weg und sie kann gezielt auf sämtliche Fragen rund um das Schmuckstück und verwendete Materialien eingehen, sagt sie. Ob sie noch transparenter sein könnte? “Ja, das könnte ich sicherlich. Die Kund:innen müssen einfach wissen, was sie kaufen. Ich denke, Transparenz ist sehr wichtig, denn nur so kann man Vertrauen aufbauen.”
Am Ende liegt es auch in unseren Händen
Fragen stellen, das ist etwas, was alle Drei raten, wenn es um den Kauf von Schmuckstücken geht. Als Verbrauchende haben wir zwar keinen direkten Einfluss auf die Vorgänge in Minen und Raffinerien. Aber: “Ich kann als Käufer verlangen, dass mir erzählt wird: Wo kommt das überhaupt her, was ich da kaufen will? Das ist dann eben auch die Eigenverantwortung der Konsumenten”, sagt Daniel El-Noshokaty. Solche Nachfragen könnten zudem dafür sorgen, dass Unternehmen die Wahl ihrer Händler:innen überdenken und künftig besser agieren.
Was sich im Bezug auf Schmuck außerdem ändern müsse? “Es gibt so viele große Unternehmen, die zum Kostenpreis verkaufen. Da können kleine Businesses nicht mithalten. Die Menschen sollten das wissen und lernen, dass so etwas nicht funktionieren kann”, sagt Aysha Marikar und wünscht sich außerdem klarere Regeln für den Rohstoffmarkt. “Als ich jung war, gab es diese Diskussion über Pelz. Da hieß es immer: Killing stops if the buying stops. Wenn du aufhörst, unethische Lieferanten auf dem Markt zu unterstützen, dann wird es aufhören.”