In einer unscheinbaren Halle in Hamburg-Altona verbirgt sich Deutschlands größtes Lager für kleine Requisiten – egal ob für Film, Fernsehen oder Werbung. Zwischen Diskokugeln und Retrotechnik behält Peter Sopp den Überblick.
Text und Fotos: Jakob Somorjai und Nathalie Porepp
Draußen ist ein Wetter, wie gemalt für einen Krimi. Drinnen, in einer alten Lagerhalle, streift ein Mann an Regalen vorüber auf der Suche nach der passenden Tatwaffe. Seine Kollegin scannt nur einen Gang weiter mit konzentriertem Blick die Requisiten – in ihrer Hand ein in die Jahre gekommener Notizblock. Treibender Techno schallt durch die Räume. Das Piepen eines Barcodescanners reiht sich in den Beat der Musik mit ein.
Was ist das für ein Ort? Es ist das Lager von FTA PROPS, ein Anbieter für Film- und Theaterrequisiten – und das Reich von Peter Sopp. Er ist bis zum Hals tätowiert, hat eigentlich mal Kfz-Mechatroniker gelernt und geht augenscheinlich gerne ins Fitnessstudio. Während er mit seinen Kund:innen scherzt und sich über aktuelle Produktionen spricht, packt sein Team bereits die bestellten Requisiten in meterlange Streifen Luftpolsterfolie und verstaut die Mietartikel in Umzugskartons.
Quereinstieg in die Filmbranche
Über Umwege ist Sopp aus dem technischen Handwerk zum Kunsthandel gekommen und leitet nun seit geraumer Zeit die Kleinrequisite. Auf die Frage, ob er hier der Chef ist, antwortet er trotzdem: “Nein, das bin ich nicht und will ich auch nicht sein.” Sopp ist Teamplayer. Sogar sein Hund Heidi hat ihren Platz: ein Hundebett. Auf dem Kissen ist ihr Name eingestickt.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bachelor-Projektseminars „Digitale Kommunikation“ an der HAW Hamburg entstanden. Mehr zu den Autor:innen findet ihr unten.
Um zu bestimmen, was eine Requisite wert ist, ob sie im Trend liegt und ob sie profitabel ist, braucht Sopp nicht lange. “Ich habe im Kunsthandel die eine oder andere Erfahrung gesammelt – und dann war der Wechsel eigentlich ganz passend”, sagt er.
Sopp hat in der Filmbranche, speziell in der Requisite, seine Berufung gefunden. Viele von den 20 Mitarbeiter:innen hier sind laut Sopp auch Quereinsteigende, mal von Telefonanbietern, mal aus Handwerksbetrieben. Trotzdem wird darauf geachtet, dass eine gewisse Fachdisziplin vorliegt. Bei den Möbeln ist der Schreiner an der Seite, bei den Lampen der Elektriker. “Wir achten darauf, dass die Mitarbeiter:innen nicht ganz branchenfremd sind.”
Vorbei am halb eingepackten Flamingo und den über zwei Stockwerke ragenden Regalen der vorderen Lagerfläche geht es in die Tiefen des Fundus. Hier kommt man keinen Meter weit, ohne staunend stehen zu bleiben. Zwischen Goldbarren, Kuscheltieren und Sporttrophäen herrscht ein striktes Ordnungssystem. Jedes Teil hat seinen festen Platz. Selbst die Reihenfolge, in der die Porzellanleuchttürme im Regal aufgestellt sind, ist durchdacht und wird akribisch eingehalten.
Vor der Säge eines Sägerochens zieht ein mit Gold beschlagenes Steuerrad den Blick auf sich. Wo waren diese Requisiten schon? Ist dies das Steuerrad vom „Traumschiff“?
Kennt man die Schreibmaschinen nicht aus „Babylon Berlin“? Die Artikel der FTA werden europaweit in Film, Fernsehen und Werbung eingesetzt.
Requisiten aus Paris, Frankfurt, Mailand
“Wir haben Standorte in Berlin, Hamburg, München und Köln – trotzdem kamen letztes Jahr gleich ein paar Produktionen aus dem Münchner Raum extra nach Hamburg, um sich hier die Requisiten auszusuchen. „In Hamburg sind wir inzwischen der größte Standort in Deutschland, gerade was Kleinrequisite angeht. Unser Sortiment ist vielfältig, deswegen kommen die Kund:innen von weit weg hierher.” Zuletzt sei in Prag gedreht worden.
Es geht weiter – vorbei an Blasinstrumenten, einem Retro-Fernseher in knalligem Orangeton und mit Stickern beklebten Gameboys. Tageslicht schimmert durch die von außen mit Graffiti vollgetaggten Glasfenster und wird reflektiert von zahlreichen Diskokugeln. Die meisten der bei der FTA gesammelten Schätze stammen von Messen, Flohmärkten, Bühnenbau- und Produktionsfirmen bevor sie zur Kulisse werden. Wenn dann eine Serie oder ein Film abgedreht wurde, schlägt Peter zu.
Paris sei der Trendsetter für den Wohnbereich, Frankfurt decke den Bürosektor ab. Dann gebe es noch spezielle Messen, wie die Christmas World oder die Milano Unica für Stoffe. “Im Moment sind der 80er-Jahre-Stil und Samtstoffe en vogue”, so Sopp. Die aktuellen Trends greift er von Messen und aus Fachzeitschriften auf. “Hersteller:innen wie Pantone geben bestimmte Trends vor, danach richten sich die Hersteller:innen und so auch unser Einkauf“, erklärt er. „Klassiker wie der Eames Chair oder Stücke von Le Corbusier gehen aber immer.”
No-Name-Geschirr neben Nymphenburger Porzellan
Die Geschichte des Fundus beginnt als Antiquitätengeschäft Hugo-Dietrich & Co. in Berlin. Drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als sich in Westdeutschland der ersehnte Wirtschaftsaufschwung ankündigt, wird es zur FTA Film- und Theaterausstattungsgesellschaft. In den folgenden Jahrzehnten wird aus der „kleinen Butze“, so Peter, eine Anlaufstelle für Produktionen in ganz Europa. Kooperationen mit Studio Hamburg, Babelsberg, Bavaria Film und aktuell der Cine Mobil Group sorgen für kräftigen Umsatz. Am 1. Oktober 2019 wurde mit dem Kauf von Props & More der Fundus erneut um 4500 Quadratmeter vergrößert, eine enorme Aufgabe für das Hamburger Team.
Was es besonders kompliziert macht: Es gab laut Sopp bisher kein Warenwirtschaftssystem. „Sprich: Die Preise wurden von der ehemaligen Eigentümerin immer so nach Tagesform aufgerufen. Wir wollen transparent sein und möchten den Kund:innen immer den gleichen Preis anbieten.“
Eine aktuelle Herausforderung stellt die Digitalisierung dar. Um den Kund:innen alle Requisiten auch außerhalb der Öffnungszeiten zu präsentieren, brauche es einen Onlineshop. Alle Waren zu katalogisieren und zu fotografieren, ist eine Mammutaufgabe: Zwischen Tellern von No-Name-Herstellern steht Nymphenburger Porzellan. Ein Teller kann hier schon mal 300 Euro kosten – geschultes Personal und jede Menge Recherche sind zur Bestimmung des Preises gefragt.
Trotz Corona: Das Geschäft brummt
Während sich die Mitarbeiter:innen mit Kamera und Maßband durch die neu angekauften Requisiten kämpfen, schafft ein vollbeladener LKW tourenweise weitere Kleinrequisiten aus dem ursprünglichen Fundus der FTA her. Dort werden heute nur noch Großrequisiten, wie Möbel und Lampen geführt.
Was im ersten Moment widersprüchlich klingt: Während der Corona-Pandemie hat das Tagesgeschäft sogar zugenommen. Steht die Welt der Film- und Fernsehproduktionen denn nie still? Die Reiseverbote zwangen besonders Werbedrehs dazu, wieder im Inland zu produzieren, erklärt Peter. Und weiter: „Im Studio ging es mit Maskenpflicht und Tests weiter. Wir haben von der Corona-Pause, wie sie in anderen Brachen eine Kerbe ins Geschäft geschlagen hat, so gut wie gar nichts gespürt. Gott sei Dank!”
Die Tür schließt sich. Der Bass der Musik verstummt. Draußen peitscht Wind und Schneeregen. Die Magie bleibt in der Halle zurück, in Peters Welt. Von außen lässt sich nur noch durch ein kleines Fenster erahnen, welche Schätze hinter den Mauern lagern.
Jákob Somorjai, Jahrgang 1998, wurde beinahe in Kambodscha für tot erklärt. Quicklebendig überraschte er nach zehn Tagen Funkstille nicht nur seine Eltern, sondern auch das Auswärtige Amt. Wieder sicher in Deutschland gelandet, begann Jákob 2019 das Studium “Medien und Information” an der HAW. Hier eignet sich der Hamburger Jung alles an, was er für seinen Traumjob als Jungunternehmer mit eigenem Start-up wissen muss. Denn nach der Erfahrung einer 60-Stunden-Woche beim Hip-Hop Magazin „Backspin“ ist für ihn eins klar: Jákob will sein eigener Chef sein. Er sieht sich schon mit seinem Laptop irgendwo am anderen Ende der Welt sitzen, Hund Kalle neben sich, fleißig die nächsten Schritte für sein Start-up planen. In welcher Branche er durchstarten möchte ist noch unklar. Hauptsache er kann viel kommunizieren und hat Zeit, die Welt zu erkunden. Denn eine wichtige Sache hat er auf Reisen gelernt – diesmal bei einem Schweige-Aufenthalt in einem Kloster in Thailand: Ohne Reden geht es nicht.
Nathalie Porepp kennt ihre Wahlheimat Hamburg so gut, dass ihr Besuch keinen TripAdvisor braucht. Abgesehen von einem beeindruckenden Know How über das Netzwerk des öffentlichen Nahverkehrs, eignete sie sich über die letzten Jahre ein beachtliches Wissen über Hamburgs Restaurant- und Cafészene an. Geboren ist Nathalie 1999 im knapp 275 Kilometer entfernten Nordhorn, was ihr jedoch schnell zu klein wurde. Trotz der ewig langen Autofahrt nahm ihr Vater sie schon in jungen Jahren immer wieder mit in die Stadt, für die sein Herz brennt. Die Wahl der neuen Heimat fürs Studium fiel ihr dadurch genetisch bedingt nicht schwer. Ihr angestrebter Bachelor in Medien und Information an der HAW ist für sie nur ein Zwischenschritt auf ihrem Weg zum Master in Journalismus an der Uni HH. Neben einem Praktikum beim ZEIT Verlag, wo sie auch mal dem Chefredakteur Giovanni di Lorenzo auf dem Flur zunicken durfte, sammelte sie bereits einiges an Berufserfahrung als Werkstudentin beim Online Rezeptblog “Küchengötter”. Sonst reist sie gerne alleine durch Europa, um ihren Horizont zu erweitern. Frei nach dem Motto: „Wer kann sich denn bitte selbst kennen lernen, ohne aus der eigenen Komfortzone zu kommen.“