Biologisch, regional, unverpackt: Immer mehr Menschen versuchen, nachhaltigere Lebensmittel einzukaufen. Im Supermarkt hat man die Wahl, in der Kantine entscheiden jedoch andere, was auf den Tisch kommt. Wie es um Nachhaltigkeit in Hamburger Kantinen und Mensen steht.

Von Sarah Lindebner und Lina Gunstmann
Titelbild: Luise Reichenbach

92 Prozent der Deutschen wünschen sich, dass der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft stärker gefördert wird, ermittelte eine Studie des Umweltbundesamts 2020. Auch rund 90 Prozent der Mitarbeiter*innen des Warenversicherers Allianz Trade sprechen sich für mehr Bio-Produkte in der Betriebskantine aus. Das Hamburger Unternehmen hat seine Mitarbeitenden in einem Votum abstimmen lassen. Die Kantine wurde komplett auf bio umgestellt. Ein Beispiel – doch wie steht es insgesamt um die Hamburger Mensen?

“Die beste Qualität soll es sein, gesund, nachhaltig, idealerweise die Ressourcen schonend, ohne Plastik verpackt und natürlich preislich erschwinglich,” sagt Thorsten Garbers, Prokurist bei Apetito Catering, einem deutschlandweit agierenden Catering-Service. Das wollen viele, doch im Alltag sei das herausfordernd. “Wie hilfreich wäre es dann, sich in seiner Arbeitszeit, ohne großen Aufwand, genau so verpflegen zu können?”, so Garbers.

Zwischen Bio-Frikadellen mit Kartoffelstampf und Good-Mood-Bowl

Mitte Juni eröffnete die Allianz Trade ihre neue Bio-Kantine. Die Idee sei von einer kleinen Gruppe von Mitarbeiter*innen gekommen, sagt Milo Bogaerts, der CEO von Allianz Trade, gegenüber FINK.HAMBURG. Sie habe fast 90 Prozent ihrer Kolleg*innen überzeugt.

Umgesetzt hat das Projekt anschließend das Catering der Firma, unterstützt vom Verein Hamburg.bio. Der Verein hilft Einrichtungen und Unternehmen, mehr Bio-Produkte auf den Speiseplan zu setzen. Neben biologischen Produkten lege die Kantine auch viel Wert auf Regionalität. Eine Kombination, die herkömmliche Zulieferer nicht anbieten würden. “Wir haben gemerkt, dass die großen Player das nicht abdecken wollen, weil sie über den Preis einkaufen und nicht über die Herkunft”, berichtet Karl-Wolfgang Wilhelm, der Geschäftsführer von Hamburg.bio. Der Verein musste also ein ganz neues Netz aus Lieferant*innen für die Bio-Kantine aufbauen.

Rund sechs Monate dauerte es laut Bogaerts bis die Kantine eröffnet werden konnte. Auf dem Speiseplan: neben einer Quinoa-Spargel-Bowl auch Frikadellen mit Bratensoße und Kartoffeln. Ein vegetarisches Gericht koste jetzt etwa einen Euro mehr als vorher, die Fleischgerichte auch mal fast zwei, sagt Bogaerts. Die restlichen Mehrkosten trage das Unternehmen.

Hamburg ist Bio-Stadt – zumindest auf dem Papier

Hamburg ist schon 2016 dem Netzwerk der Bio-Städte beigetreten, einem Zusammenschluss von Städten, die es sich als Ziel gesetzt haben, die ökologische Landwirtschaft und das Bio-Lebensmittelangebot vor Ort zu fördern. So setzte der Senat etwa in einem Aktionsplan konkrete Maßnahmen zum Ausbau des regionalen und ökologischen Landbaus fest. Die Stadt Hamburg stellt zudem Landwirtschaftsbetrieben, die ökologisch anbauen, Geld für Prämien und Förderungen für Investitionen zur Verfügung. Auch das Vertrauen in Bio-Kennzeichnungen soll gestärkt werden: Die Behörde für Wirtschaft und Innovation kontrolliert dem Aktionsplan zufolge daher vermehrt die Bio-Standards.

Die Stadt will ihren ökologischen Fußabdruck verringern, sagt Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) Mitte Juni bei der Eröffnung der Bio-Kantine von Allianz Trade. “Das funktioniert nur, wenn kurze Transportwege verstärkt ins Auge gefasst werden und von Produzenten gekauft wird, die ökologisch anbauen und gut mit Böden umgehen.”

Bremen ging schon vor sechs Jahren einen Schritt weiter und begann, die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung komplett auf Bio-Produkte umzustellen. Dazu gehören neben Kita- und Schulmensen auch die öffentlichen Betriebskantinen und Kantinen der kommunalen Krankenhäuser. Bis 2025 soll die Bio-Umstellung verbindlich durchgesetzt sein, die Grundlage dafür liefert ebenfalls ein Aktionsplan mit konkreten Maßnahmen.

Kerstan würde auch in Hamburg gerne mehr ökologische Lebensmittel in öffentlichen Mensen sehen. “Leider konnten wir uns in der Koalition noch nicht einigen”, sagt er. “Wir sind aber kontinuierlich im Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen.” Man müsse viel Überzeugungsarbeit leisten, denn es gebe auch Widerstand gegen Bio-Kantinen – etwa aus Sorge um steigende Preise oder schlicht, weil manches gewohnt sei.

Die Currywurst musste bleiben

Wie mächtig die Gewohnheit sein kann, weiß auch Karl-Wolfgang Wilhelm, der Geschäftsführer von Hamburg.bio. Veränderung gelinge oft am besten, wenn man die Beteiligten langsam an diese heranführe.

Anstatt den ganzen Speiseplan auf einen Schlag zu verändern, könnte die Kantine zum Beispiel erst konventionelle auf biologische Lebensmittel umstellen. Als Beispiel dafür nennt er eine geteilte öffentliche Kantine in Wilhelmsburg. Dort sei man genau so vorgegangen. Allerdings “wurde festgelegt, dass es ein Gericht immer geben muss”. Die Currywurst. “Über die durfte dann auch nicht diskutiert werden”, so Wilhelm auf Nachfrage von FINK.HAMBURG. Zumindest vorerst. Um die Gäste davon zu überzeugen, die konventionelle Wurst durch eine bio-zertifizierte zu ersetzen, durften sich Konsistenz und Geschmack nicht von der gewohnten unterscheiden. Mittlerweile werde die Alternative gut angenommen. “Wir haben jetzt eine Bio-Currywurst, die sogar als besser bewertet wird”, sagt Wilhelm.

Eine weitere Herausforderung bei der Umstellung ist die Angst vor Preissteigerungen durch Bio-Produkte. Ab einem gewissen Anteil von Bio-Zutaten ließe sich diese Umstellung nicht mehr umsetzen, ohne die Kosten zu erhöhen, berichtet Wilhelm. Müssen die Mensa-Besucher*innen die Preissteigerung alleine tragen, bestehe die Gefahr, einen Teil von ihnen als Kund*innen zu verlieren. Das führe wiederum zu weniger Einnahmen. Es ist also die Frage, inwieweit die Träger*innen der Kantinen bereit dazu sind, biologisches Essen zu subventionieren. “Ohne Geld in die Hand zu nehmen, kriegen wir die Ernährungswende letztlich nicht hin. Das ist einfach so”, sagt Wilhelm.

Eine sofortige Umstellung einer Kantine auf 100 Prozent Bio mag schwierig sein, sei aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoller als ein schrittweiser Übergang, so Wilhelm. Konventionelle und biologische Lebensmittel müssten etwa getrennt gelagert und ihre Verwendung genau dokumentiert werden. Logistischer und personeller Mehraufwand also, der die Kosten in die Höhe treibe, so Wilhelm.

Nachhaltigkeit in Uni-Kantinen

Der Trend hin zu nachhaltiger Ernährung macht sich auch in studentischen Mensen bemerkbar. So wächst vor allem die Nachfrage nach veganen und vegetarischen Lebensmitteln, wie Statista 2021 ermittelte. Das Studierendenwerk Hamburg hat als Reaktion darauf die Mensa “Blattwerk” im Grindelviertel gegründet und bietet dort ausschließlich fleischlose Speisen an. Das “Blattwerk” werde sehr gut angenommen, schreibt das Studierendenwerk auf Nachfrage von FINK.HAMBURG. “Wir gehen davon aus, dass wir mit diesem Konzept genau den Nerv getroffen haben und das anbieten, was die Studierenden sich wünschen und brauchen.” Die Bio-Mensa will zur Nachhaltigkeit beitragen – und den Studierenden ein bezahlbares Angebot anbieten.

Die steigenden Lebensmittelpreise sind dabei allerdings eine Herausforderung, schreibt das Studierendenwerk. “Wenn die Stadt Hamburg die finanzielle Förderung nicht deutlich ausbaut, werden die Preise in der Mensa steigen”, befürchtet Jürgen Allemeyer, Geschäftsführer des Studierendenwerks Hamburg. Das Studierendenwerk habe einen sozialen Verpflegungsauftrag: Alle Studierenden sollten sich dort unabhängig von ihrem finanziellen Hintergrund preisgünstig, gesund und abwechslungsreich ernähren können. Teurere Gerichte seien daher keine gute Alternative, schreibt Allemeyer.

“Nur mit Forderungen wird sich nichts ändern”

Erste Bio-Kantinen in Firmen und eine grüne Mensa: ein guter Anfang, aber wie geht es weiter? “Wenn wir die Ernährungswende ernsthaft wollen, muss sich die Politik darüber im Klaren sein, dass das ohne Geld nicht geht”, sagte Wilhelm. “Schöne Forderungen kann man jahrelang formulieren, ohne dass sich etwas ändert.”

Der Senat müsse tätig werden, bestehende Subventionierungen überdenken und die Verbraucher*innen besser beraten. Problematisch sei dabei allerdings, dass Ernährung ein Thema ist, das in den Zuständigkeitsbereich von verschiedenen politischen Einrichtungen falle. Klare Zuständigkeiten seien Fehlanzeige, weshalb Hamburger Politiker*innen aktuell darüber diskutieren würden, ob ein eigenes Referat für Ernährung gebildet werden soll. Macht das Sinn? Auf eine Anfrage von FINK.HAMBURG dazu hat die Behörde für Klima, Energie und Landwirtschaft bislang nicht geantwortet.

Dem Asta der HAW Hamburg geht die aktuelle Entwicklung ebenfalls nicht schnell genug. Anfang Juni rief er unter dem Hashtag #Mensarevolution die Petition “Wir alle für klimaneutrale Mensen in Hamburg” ins Leben. Zentrale Forderungen: Klimaneutralität bis 2025, einen Anteil vegetarischer und veganer Produkte von 96 Prozent und pflanzliche Milchalternativen an allen Standorten.