Die Berufung zweier Gastprofessoren des Künstlerkollektivs Ruangrupa an der HFBK Hamburg sorgte für Proteste. Sie wurden im Zuge der Documenta Fifteen mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert. FINK.HAMBURG hat die Künstler getroffen und sich an der HFBK umgehört.
Von Anton Peter und Julia Chorus, Foto: Julia Chorus
“Ich kann nicht verstehen, wie man auf die Idee kommen kann, zwei Personen dieser Gruppe als Belohnung auch noch nach Hamburg zu holen und ihnen eine Gastprofessur anzutragen”, so Shlomo Bistritzky, Landrabbiner Hamburg. Die jüdische Gemeinde äußerte sich umgehend, als bekannt wurde, dass Reza Afisina und Iswanto Hartono, zwei Mitglieder der Künstlergruppe Ruangrupa, eine Gastprofessur zum Wintersemester 2022/23 an der HFBK Hamburg erhalten.
Der Rabbiner bezog sich dabei auf die Ereignisse rund um die Documenta Fifteen, einer internationalen Kunstausstellung in Kassel. Sie wurde in diesem Jahr von Antisemitismus-Vorwürfen überschattet. Grund dafür ist eine Reihe an Zeichnungen und Filmen, die unter der Leitung der Künstler*innengruppe Ruangrupa ausgestellt wurden. Ein durch die Documenta einberufenes Expertengremium stellte eine antizionistische, antisemitische und israelfeindliche Stimmung in den Werken fest. Auch die Nähe der Gruppe zur BDS-Bewegung (BDS steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), die den Boykott Israels fordert, wird Ruangrupa vorgeworfen.
BDS bedeutet Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen. BDS ist ein loses Bündnis von internationalen und palästinensischen Gruppen, NGOs und Einzelpersonen, dessen Ziel darin besteht, Israel und seine Bürger*innen auf allen Ebenen, aber besonders wirtschaftlich, kulturell und akademisch, zu boykottieren.
Antisemitsmus ist eine Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeinde-Institutionen und religiöse Einrichtungen.
Antizionismus bedeutet die Ablehnung des Existenzrechtes des Staates Israel, also die Negierung des Anspruchs von Juden auf nationale Selbstbestimmung.
Ruangrupa-Künstler an der HFBK Hamburg
Dass nun Mitglieder dieser Gruppe an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg unterrichten, sorgte im Oktober für Proteste. Die Demonstrierenden forderten von der Hochschule, die Berufungen der Gastprofessuren unverzüglich zurückzunehmen. Diese wiesen die Antisemitismus-Vorwürfe zurück: “Wir sind keine Antisemiten. Wir sind keine Feinde des Staates Israel”, erklärten Afisina und Hartono öffentlich vor ihrer ersten Lehrveranstaltung an der HFBK Hamburg.
Offene Atmosphäre, konstruktive Gespräche
FINK.HAMBURG hat die beiden Künstler getroffen und den Start ihres Seminars “Collective Art Laboratory” begleitet. Im “Livingroom”, wie die beiden Künstler ihren Kurs nennen, sitzen insgesamt 16 Studierende in einem Stuhlkreis zusammen. Zu Beginn der Veranstaltung erklären Afisina und Hartono, dass hier sowohl Zeit als auch Raum für Unterhaltungen aller Art seien. Es herrscht eine lockere Gesprächsatmosphäre.
Der Plan der Gastprofessoren für die nächsten Wochen: Fragen und Themen im Kontext der Documenta Fifteen an der Hochschule aufzugreifen. Ziel sei es, Kooperationsformate gemeinsam mit den Studierenden der HFBK und der Kunsthochschule Kassel, den Lehrenden der HFBK und den Künstler*innen der Documenta fifteen zu entwicklen, so die Pressersprecherin der HFBK.
Die Meinung der Studierenden
Wie denken die Studierenden der HFBK über die Gastprofessur der Ruangrupa-Mitglieder und die Antisemitismus-Vorwürfe? Wird unter ihnen genauso viel darüber diskutiert, wie in der medialen Berichterstattung? FINK.HAMBURG hat bei Studierenden vor Ort nachgefragt:
Ein Student erzählt, dass die Gastprofessur und die geäußerten Vorwürfe definitiv Thema bei den Studierenden seien. Eine Studentin, die bei der Semestereröffnung der HFBK und den anschließenden Protesten gegen die Gastprofessur der Ruangrupa-Mitglieder dabei war, beschreibt den Abend wie folgt: “Die Aula, in der die Veranstaltung stattgefunden hat, war sehr voll. Viel Presse war da und die Stimmung war allgemein sehr aufgeheizt.” Sie sagt, dass eine Frau vor Ort Flugblätter verteilt habe, in denen unter anderem dazu aufgerufen wird, Antisemit*innen keine Bühne zu bieten. Darin wird auch die Aufkündigung der Gastprofessur von Afisina und Hartono gefordert.
Viele Teilnehmende der Semestereröffnung seien empört gewesen, dass die HFBK die Gastprofessur der Ruangrupa-Mitglieder so verteidige. “Enttäuschend war die Reaktion von Herrn Köttering, die Antisemitismus-Vowürfe einfach abzustreiten”, sagt ein Student über die Reaktion des Hochschulpräsidenten bei der Veranstaltung. Er meint damit die Aussage des HFBK-Präsidenten zur Semestereröffnung, dass “diese beiden Kuratoren keine Antisemiten” seien. Zudem kritisieren befragte Studierende, dass sich die Gastprofessoren am Abend der Semestereröffnung noch nicht selbst zur aktuellen Situation und den Vorwürfen äußerten.
Ein Workshop zur Aufarbeitung
Positiv bewerten die befragten Student*innen die Bestrebungen der HFBK, alle Studierenden transparent über die aktuelle Situation und die Vorkommnisse informieren und sich den Vorwürfen gemeinsam mit den Studierenden nähern zu wollen. Hochschulpräsident Köttering gibt einen Ausblick auf die kommenden Monate des Lehrplans: So werde das Hamburger Institut für Sozialforschung am 21.11.2022 gemeinsam mit der HFBK und der Helmut-Schmidt-Universität einen Workshop mit Podiumsdiskussion mit dem Titel „Documenta Fifteen als politisches und kulturelles Ereignis“ veranstalten.
Politische Sticker an Hochschulwänden
Ein offener Diskurs wird zwar von vielen Student*innen begrüßt, darüber hinaus reagiert die Mehrheit der Interviewten jedoch eher verhalten auf die Frage nach einer persönlichen Meinung zu der Gastprofessur und den Antisemitismus-Vorwürfen. Viele würden nicht genug über das Thema wissen oder fühlten sich nicht in der richtigen Position, Stellung zu beziehen.
Bunte Sticker an den Wänden der HFBK beziehen sich auf die aktuellen Diskussionen – zumindest jene, die sehr frisch aufgeklebt zu sein scheinen: “Antisemitismus ist eine Straftat” und “Entnazifiziert euch verdammt nochmal” stehen auf den Aufklebern. Auch ein Zitat des Widerstandskämnpfers “Jean Amery” findet sich an den Wänden wieder: “Antisemitismus ist im Antizionismus enthalten, wie das Gewitter in der Wolke”.
Sticker an den Wänden der HFBK. Fotos: Anton Peter und Julia Chorus
Viele Sticker beziehen sich auf die BDS-Bewegung, welche 2019 vom Bundestag als antisemitisch eingestuft wurde. So ordnen einige Botschaften den Boykott israelischer Produkte als Hetze gegen jüdisches Leben ein: Der Boykott israelischer Produkte wird hierbei mit der nationalsozialistischen Parole “Kauft nicht bei Juden” in Zusammenhang gestellt.
Einer der “FGHT BDS”-Sticker ist mit dem Foto einer bewaffneten Frau überklebt. Sie trägt ein Pali-Tuch. Auf dem Sticker steht: “If you still see an ethnic cleansing as a ‘bothside’ nearest-conflict, then you are arrogantly Euro-Centric”. Den Kritikern der BDS-Kampagne wird dabei vorgeworfen, palästinensiches, nicht-europäisches, Leben weniger wertzuschätzen und so eine vermeintliche ethnische Säuberung als einen beidseitigen Konflikt zu verstehen.
HFBK – ein Ort für Diskurs?
FINK.HAMBURG hat mit Prof. Dr. Nora Sternfeld über die Gastprofessur von Afisina und Hartono gesprochen. Sternfeld war von 2018 bis 2020 Documenta-Professorin an der Kunsthochschule Kassel. Nun ist sie Professorin für Kunstpädagogik an der HFBK Hamburg. Sternfeld kommentiert die Position der Hochschule zu den anhaltenden Vorwürfen: Die Professorin ist davon überzeugt, dass sich die Debatte über die Berufung der beiden Gastprofessoren produktiv entwickeln wird. Eine kritische Auseinandersetzung zu führen, sei wichtig – und das gemeinsam mit Studierenden, Lehrenden und der interessierten Öffentlichkeit.
Die HFBK ist nicht die Documenta
Im Gegensatz zur Documenta gäbe es an einer Kunsthochschule ganz andere Möglichkeiten, differenziert auf Problematiken zu reagieren. Für Sternfeld bietet die Kunsthochschule die Möglichkeit, einen gemeinsamen Umgang zu finden. Das Ziel sollte sein, das Anliegen der Gegenseite besser zu verstehen – ohne aber den Antisemitismus verstehen zu wollen. Vielmehr soll es um ein Verlernen von Antisemitismus-Toleranz gehen. Die Nähe einiger Mitglieder von Ruangrupa zur BDS-Bewegung sieht Sternfeld jedoch kritisch. Der Boykott jüdischer Intellektueller wäre zu lange als legitime Strategie angesehen worden, Israel zu kritisieren.
Ruangrupa – aus Unterschieden schöpfen?
In ihrer Arbeit würden die Künstler*innen laut Sternfeld gemeinsam mit unterschiedlichen Menschen vor Ort an neuen Perspektiven arbeiten. “Damit meinen sie eine künstlerische und kuratorische Arbeit, die darin besteht, etwas gemeinsam vor dem Hintergrund unterschiedlicher Situierung zu entwickeln, sich eine andere Welt vorzustellen und auch schon ein bisschen daran zu bauen”, sagt die Professorin.
Die Diskussion ist angestoßen
Sternfeld sieht die Diskussion um die Antisemitismus-Vorwürfe und die Gastprofessur von Reza Afisina und Iswanto Hartono an der HFBK Hamburg richtig platziert. “Ich finde auch die Kritik gut”, sagt sie. “Sie musste angestoßen werden und wir müssen uns jetzt damit auseinandersetzen – und wir haben Lust darauf”.