Die Frauen des FC St. Pauli gewannen vor knapp 4.000 Zuschauern das Hamburger Pokalfinale. Immer mehr Zuschauer unterstützen Frauenfußball. Was sich noch ändern muss, haben wir Carlotta Kuhnert, Kapitänin der Kiezkicker, gefragt.
Titelfoto: Fynn Hornberg
Die Sonne scheint, die Luft ist durch bunte Rauchfackeln vernebelt, Fans grölen „Sankt Pauli“ im Millerntor-Stadion. Beim Finale des Hamburger Pokals am Pfingstmontag steht es nach 90 Minuten 6:1 für den FC St. Pauli – ein Sieg gegen Union Tornesch. Die Kulisse ist an diesem Tag besonders: Über 3800 Zuschauer*innen sorgen für ein Spektakel. Die Tornesch-Fans feiern die Leistung ihres Teams ebenfalls. Die Ultras von St. Pauli führen eine bunte Choreo auf. „Wir alle nehmen das als ein riesiges Geschenk wahr“, sagt Carlotta Kuhnert, die Kapitänin der St. Pauli Frauenmannschaft nach dem Spiel. Mit ihrem blond gefärbten Vokuhila fällt die 24-jährige Abwehrspielerin nicht nur durch ihre Verteidigungsfähigkeiten mit dem Ball auf.
Das schönste Geschenk an diesem Tag sei, vor so vielen Menschen spielen zu dürfen. Diese große Zuschauerzahl ist nicht alltäglich für die Frauen in der Regionalliga Nord. „Das ist etwas, was ich mir für die Zukunft wünsche, dass so etwas öfter im Frauenfußball vorkommen würde”, so Kuhnert. Normalerweise kommen zu Heimspielen des Kiezvereins um die 100 bis 300 Menschen, zu Auswärtsspielen noch weniger.
Herausforderungen im DFB-Pokal
Carlotta Kuhnert und ihre Mannschaft ziehen nach dem Pokalsieg nun zum ersten Mal in der Geschichte der St. Pauli-Frauen in den DFB-Pokal ein. Im vergangenen Jahr qualifizierte sich der HSV für die erste Runde, flog jedoch direkt gegen den Bremer ATS Buntentor aus dem Turnier.
Der DFB-Pokal ist eine Möglichkeit, aus der Regionalliga rauszukommen und andere Teams kennenzulernen. Die Mannschaft ist zwiegespalten: Die einen wünschen sich einen schwächeren Gegner, der auch aus der Regionalliga kommt, „damit man noch die Chance hat eine Runde weiterzukommen“. Der andere Teil der Mannschaft sei eher der Meinung, dass ein Verein der Zweiten Bundesliga besser wäre, damit man eine Auswärtsfahrt machen könne, erzählt die Kapitänin.
Frauenfußball: Wer fällt, steht wieder auf
Das Spiel an Pfingstmontag sei für viele Zuschauer*innen die erste Erfahrung gewesen, Frauenfußball live zu sehen, so Kuhnert. Es habe reichlich Feedback gegeben, erzählt Kuhnert: Etwa dazu, dass die Spielerinnen einfach wieder aufstehen, wenn sie gefoult werden, anstatt groß rumzumeckern. Einige hätten es als angenehm empfunden, dass nicht stundenlang mit dem Schiri diskutiert wurde. Man könne sehen, dass Leidenschaft und Liebe im Spiel stecken.
Der Traum von Professionalität
Kapitänin Kuhnert macht abseits des Feldes eine Ausbildung als Physiotherapeutin. Ihr ist der Ausgleich wichtig: „Bei mir haben sich die Prioritäten ein bisschen verschoben, weil ich auch gelernt habe, dass es noch etwas anderes gibt als Fußball.“ Als junges Mädchen war es noch ihr Traum, professionell Fußball zu spielen. Seit einigen Jahren ist sie sich damit jedoch nicht mehr sicher.
Nicht nur für den Sport zu leben, empfindet sie als sehr wertvoll. Abends auszugehen oder Freunde und Familie zu sehen, gehöre für sie dazu. Die Hürde, professionell zu spielen, sei hoch. „Momentan ist es im Profifußball bei den Frauen so, dass du ‘All in’ sagen musst“, so Kuhnert. „Einen Wochenendtrip an die Ostsee machen oder mal mit dem Team am Freitagabend auf den Kiez gehen, ist dann halt nicht mehr drin“, sagt sie. In den oberen Frauenligen wird deutlich mehr trainiert; die Wochenenden sind meistens durch Spiele, Fahrten oder noch mehr Training blockiert.
Leistungszentrem sollen kommen
Laut Carlottas Erfahrungen bekommen Jungs in den Jugend- und Leistungszentren von St. Pauli beigebracht, dass der Ball alles sei. Man sage ihnen, dass sie keine Ausbildung machen müssen, weil sie mit Fußball genügend Geld verdienen können. Bei den Mädchen und Frauen ist das ein wenig anders, erzählt die Kapitänin. Die Leistungszentren für junge Fußballtalente existieren für Mädchen und Frauen noch nicht wie bei den Jungen. Allerdings will DFB-Vizepräsidentin Sabine Mammitzsch den Erfolg der Frauen-EM 2022 nutzen, um neue Förder- und Leistungszentren für junge Mädchen und Frauen aufzubauen, sagte sie gegenüber dem “Kicker”.
Viele Spielerinnen – nicht nur auf Amateurebene – haben studiert oder eine Ausbildung hinter sich, um über die Runden zu kommen. Der Leistungsdruck in der Ersten Bundesliga ist wesentlich höher, als in der Regionalliga. „Ich bin sehr dankbar dafür, nicht diesen krassen Leistungsdruck gehabt zu haben als Jugendliche“, sagt Carlotta Kuhnert.
Kaum Spielmöglichkeiten für Mädchen
Die jungen Talente seien da – sie müssen nur von einem verbesserten System geweckt werden, so Carlotta. Es gibt kaum Spielmöglichkeiten für junge Mädchen: Nur ein Viertel der Vereine in Deutschland hat auch weibliche Teams.
Oft fangen Mädchen daher an, in Jungsteams zu spielen, weil es zu wenig Mädchenmannschaften in ihrer Umgebung gibt. Mit 16 Jahren dürfen sie dann plötzlich nicht mehr mitspielen und werden abgewiesen, erzählt Kuhnert. Bisher war es nur erlaubt, bis zur U-17 in gemischten Teams zu spielen.
„Es gibt unglaublich viele junge Mädels, die Bock haben Fußball zu spielen, aber denen nicht so richtig die Möglichkeit gegeben wird.“
Der DFB hatte deswegen bereits im vergangenen Jahr eine neue Regelung bekannt gegeben: Es soll nun auch Frauen und Mädchen erlaubt sein, in Männermannschaften zu spielen. Einige Landesverbände begrüßen das Pilotprojekt, der Hamburger Fußballverband (HFV) tat sich bisher noch schwer mit der neuen Regel. Er wolle keine Änderung vornehmen, hieß es gegenüber dem NDR.
Carlotta wünscht sich, dass das Niveau in den Frauen- und Mädchenteams so hoch wie bei den Männern und Jungen wird. „Dazu braucht man Trainer*innen, die dieses Niveau auch erhalten oder verbreiten können“, sagt sie. Sie wünscht sich, dass Frauen und Mädchen Fußball so lernen, wie es bei den Männern momentan der Fall sei.
Auch den Gehaltsunterschied kritisiert die Fußballerin. „Meiner Meinung nach können die horrenden Gehälter bei den Männern gekürzt werden.“ Für sie sei es nicht das Ziel, dass die Spielerinnen genauso viel verdienen wie die Männer. „Die Zahlen, die dort eine Rolle spielen, finde ich einfach viel zu absurd“, sagt sie. Trotzdem sollten sie genug verdienen, dass sie gut davon leben können, findet die Kiezkickerin.
Game Changer: Frauenfußball-Weltmeisterschaft
Auf die Frage hin, wie sie die Sichtbarkeit des Frauenfußballs in Hamburg wahrnimmt, sagt sie: „Es ist auf jeden Fall ausbaufähig, aber ich glaube, dass wir uns auf einem sehr guten Weg befinden.“ Denn langsam tut sich auch etwas hinter den Kulissen. Der HSV unterstützt sein Frauenteam seit letzter Saison vermehrt. Zwar fehlen dem Verein finanzielle Mittel und Sponsor*innen, dafür kommen Fans der Männermannschaft öfters auch zu den Spielen der Frauen – dank vermehrtem Marketing und Kommunikation in den sozialen Netzwerken. Aber auch mehr hauptamtliche Trainer*innen sollen eingestellt werden; auch von Spielen der Frauen im Volksparkstadion ist die Rede.
Auch beim FC St. Pauli wird einiges verändert. Der Athletikbereich soll gestärkt werden, beim Training soll Leistungsdiagnostik eingesetzt werden, um auch die Frauen zu professionalisieren. Es kommen auch neue Spielerinnen dazu.
Ein wichtiges Ereignis für die Sichtbarkeit beginnt Mitte Juli: die Weltmeisterschaft der Frauen. Neben den USA gelten auch das deutsche und das spanische Team als Favoriten. Es wird erwartet, dass mehr als 50.000 Menschen die Spiele vor Ort mitverfolgen werden. Da sind 4.000 Zuschauer*innen für ein Fußballspiel der Frauen schon ein guter Anfang für Hamburg.
Alma Bartels, Jahrgang 1996, hat eine Schwäche für mongolischen Metal. Sie ist schon einmal kostenlos um die Welt gereist, kann sich aber kaum erinnern: Sie war erst zwei Jahre alt. Aufgewachsen zwischen Hamburg und Barcelona entwickelte sie ein Faible für Sprachen: Neben Englisch und Spanisch spricht sie auch Koreanisch und Katalanisch. Für Stern.de produzierte sie Videos über Fragen wie “Wie viele Nägel hat Ikea schon verkauft?”. In Bremen studierte sie Politologie und entdeckte ihre Liebe zum Kulturjournalismus. Am liebsten würde sie die mongolische Band Hanggai einmal danach fragen, wie das mit diesem Kehlkopfgesang eigentlich funktioniert. (Kürzel: aba)