Zigaretten, Kaugummis und Unmengen an illegalem Müll. Sebastian und Melanie verfolgen und sanktionieren im Auftrag der Stadtreinigung Hamburg Müllsünder. Viele Fälle sind Routine, einige aber auch kurios, wie ein Besuch bei den Waste Watchern zeigt. 

Text und Fotos: Jonas Dorn

Ein Montagmorgen im April. Fünf Uhr. Die Stadt liegt noch im Dunkel. Beleuchtet wird sie nur vom Mond und wenigen Straßenlaternen. Auf dem Areal der Hamburger Stadtreinigung, mitten im Industriegebiet Hamburg-Billbrook, könnte man einen unangenehmen Geruch erwarten. Weit gefehlt. Angenehmer Kaffeeduft weht von einer benachbarten Fabrik über das Gelände. Noch sind nur vereinzelt Menschen unterwegs. Eine davon: Melanie. 

Sie ist eine Waste Watcherin. Ihr Job ist es, im Auftrag der Stadtreinigung Müllsünder*innen aufzuspüren. Melanie ist erst seit Anfang des Jahres dabei und hat gerade ihre dreimonatige Einarbeitungsphase beendet. Ihr Teampartner ist Sebastian. Er wartet bereits oben im Büro auf sie. Das Büro erinnert an ein Lehrerzimmer. In der Mitte des Raumes ein großer Konferenztisch. Der Boden ist bedeckt von einem grauem Filzteppich. An der Wand stehen einige PC-Arbeitsplätze. Sebastian hat Melanie eingearbeitet und war früher selbst als Entsorger bei der Müllabfuhr auf den Straßen Hamburgs unterwegs. 

Heute lautet ihr Auftrag, im Stadtgebiet Hamburg-Eppendorf wilde Vermüllungen zu dokumentieren und nachzuverfolgen. Sebastian holt einen Ordner aus einem Regal in der Ecke des Raumes und erklärt: „Hier drin sind unsere Eppendorfer Hotspots aufgelistet. Das sind Orte, an denen immer wieder wilde Müllablagerungen festgestellt werden”. Sie besprechen sich noch kurz mit anderen Waste Watchern, dann brechen sie eilig in Richtung ihres Einsatzfahrzeugs auf. „Wir müssen schnell sein. Sonst räumen unsere Kollegen von der Müllabfuhr alles weg, bevor wir da sind”, sagt Sebastian.

Neue Ansätze für eine saubere Stadt

Circa 30 Waste Watcher sind im Dreischichtsystem im gesamten Stadtgebiet unterwegs. In der Frühschicht werden die Depotcontainer abgefahren. Depotcontainer? Das sind die großen grünen Müllbehälter am Straßenrand. Hier können Hamburgs Bewohner*innen beispielsweise ihr Altpapier oder Glas loswerden. Besonders in Bezirken, wie Eppendorf oder Altona, sind diese zwingend notwendig, da in diesen Stadtteilen aufgrund der engen Bebauung nicht überall genug Mülltonnen zur Verfügung stehen. In den nächsten Jahren soll sich das ändern. An vielen Orten entstehen neue Unterflurcontainer.

Unterflurcontainer am Straßenrand.
Unterflurcontainer als unterirdisches Müllsystem sollen die Depotcontainer ersetzen.

Das ist ein unterirdisches Müllsystem, bei dem nur die Einwurfklappe an der Oberfläche zu sehen ist. Sie bieten mehr Platz und sind unscheinbarer als die Depotcontainer. Durch dieses System sollen auch endlich die rosa Müllsäcke am Straßenrand abgeschafft werden. Letztere kommen bisher dort zum Einsatz, wo aufgrund von Platzmangel keine öffentlichen und keine privaten Ablagerungsorte für Müll vorhanden sind.  

Melanie und Sebastian sind heute in der Frühschicht eingeteilt. Sie fahren also von Depotcontainer zu Depotcontainer, um Ausschau zu halten. Die Liste der abzuarbeitenden Standorte ist lang. Insgesamt drei Seiten hält Melanie auf dem Beifahrersitz in der Hand. In den beiden anderen Schichten wird vor allem das sogenannte „Littering”, also die achtlose Verschmutzung beispielsweise durch das Wegwerfen von Zigaretten, Kaugummis oder ToGo-Kaffeebechern, sanktioniert. Dabei soll möglichst viel Präsenz von den Waste Watchern in der Stadt gezeigt werden, um auf den richtigen Umgang mit Müll aufmerksam zu machen. Im Sommer gehen die Waste Watcher beispielsweise durch die Hamburger Parks und suchen dort in den sogenannten “Clean Schnacks” das Gespräch mit den Bürger*innen, damit die Parks sauber bleiben. 

Müll-Funkspruch: Wilder Müll neben einer Kleingartenanlage?

Bevor Melanie und Sebastian den ersten Depotcontainer erreichen, klingelt das Diensthandy. Das Telefonat ist kurz und wirkt wie ein Funkspruch der Polizei: „Eine wilde Müllablagerung wurde auf dem Gehweg im Bauerbergweg gemeldet. Schaut euch das doch bitte mal an.” Sebastian antwortet routiniert: „Alles klar – wir fahren hin!”. Die Straße kommt Sebastian bekannt vor. Er sagt zu Melanie, dass es sich wahrscheinlich wieder um den anliegenden Kleingarten handele. Melanie bekommt parallel Fotos von einer Kollegin weitergeleitet. Die Müllablagerung wurde mittels der App der Stadtreinigung Hamburg gemeldet. Dort können Bürger*innen mit Fotos und wenigen Angaben Schmutzecken melden. Alternativ geht das auch per Telefon. Insgesamt 120.000 Verschmutzungsmeldungen wurden so im vergangenen Jahr 2022 gemeldet. Daraus resultierten im Jahr 2021: 17.093 Verwarnungen und Bußgeldbescheide durch die Waste Watcher, welche wiederum Verwarnungs- und Bußgelder in Höhe von fast 660.000 Euro verursachten (2019: ca. 391.000 Euro). 

Müll neben einer Kleingartenkolonie
Neben einer Kleingartenanlage liegen circa 30 Müllsäcke am Straßenrand.

Im Bauerbergweg angekommen bestätigt sich Sebastians Verdacht, dass sich die gemeldete Vermüllung direkt neben einer Kleingartenkolonie befindet. Ein Haufen von circa 30 Müllsäcken, darunter viele Gartenabfälle, liegt am Straßenrand. Durch die Anonymität der Kleingartenanlage sind die genauen Verursacher*innen schwer zu ermitteln. Auf den ersten Blick können die beiden keine Indizien finden.  

„Für den Moment lässt sich hier nichts machen”, so Sebastians erstes Fazit. Melanie dokumentiert den Fund mit Handyfotos. Sebastian beschließt später nochmal herzukommen. Er will dann zusammen mit einem weiteren Kollegen von der Stadtreinigung die Säcke aufreißen und den Inhalt genauer untersuchen. Hierzu braucht er aber einen sogenannten „Matador”. So werden kleine Pritschenwagen der Stadtreinigung genannt. Auf deren Ladefläche können die Müllsäcke besser durchwühlt werden. Bevor es zum ersten Depotcontainer geht, holt Sebastian noch ein Absperrband mit der Aufschrift „Wir ermitteln” aus dem Auto, um den Tatort zu markieren. Dann geht es weiter zu den Depotcontainern. 

Jeder Depotcontainer ein Treffer

Waste Watcher kontrollieren Depotcontainer.
Die Waste Watcher protokollieren illegale Müllablagerungen an einem Depotcontainer.

Erschreckend ist, dass fast jeder Halt an einem Depotcontainer ein Treffer ist, obwohl diese regelmäßig geleert werden. Je nach Standort oft zwei bis drei mal pro Woche. An einem Hotspot konnten die Waste Watcher gleich 14 Müllsünder*innen auf einen Schlag ermitteln. Diese werden in Kürze einen Bußgeldbescheid erhalten. „Man merkt, dass am vorherigen Tag ein verkaufsoffener Sonntag und Monatsbeginn war”, sagt Sebastian. „Die Leute haben frisches Geld auf dem Konto und waren bei Ikea einkaufen”. Das Problem ist oft der Umgang mit dem Müll. In viele Depotcontainern könnte mehr reinpassen, wenn vor allem Papier- und Pappverpackungen flach gemacht werden würde.

Mal steht ein alter Wasserkocher, eine Tüte mit Plastikflaschen oder eine Müllsack mit Essensresten, Haaren und Verpackungsmüll neben dem Container. „Müll ist gesellig”, wird Sebastian heute immer wieder erwähnen. Wenn erstmal eine Person Müll neben den Container abstellt, dann stellt die nächste Person ihren Müll einfach dazu. Sollten die Verursacher*innen ermittelt werden, dann erwartet diese ein Bußgeld zwischen 35 und bis zu 1.000 Euro je nach Umfang und Art der Vermüllung. Bei noch größeren Vermüllungen, wie wild abgestelltem Sperrmüll, können die Kosten auch mehrere Tausend Euro betragen. 

Wie die Waste Watcher mit Ekel bei der Arbeit umgehen? „Gerade im Sommer ist das schon eklig. Vor allem, wenn der Müll schon über einen Tag da liegt. Oft sind Essensreste und Windeln in den Müllsäcken, dann entwickeln sich Maden. Das kann richtig miefen”, so Sebastian.  

Waste Watcher dokumentieren wilde Müllablagerungen an einem Depotcontainer.
Waste Watcher dokumentieren wilde Müllablagerungen an einem Depotcontainer.

Hotspot: Hamburger Hauptbahnhof und Steindamm 

Eine Woche später. Freitag, zehn Uhr am Hamburger Hauptbahnhof. Erneut sind Sebastian und Melanie unterwegs – diesmal in der späteren Schicht. Auf dem Bahnhofsvorplatz halten sie diskret Ausschau nach Vermüllungs-Täter*innen. Innerhalb kurzer Zeit beobachten sie bei ihrem Rundgang mehrere Personen, die ihre Zigarette auf den Boden werfen. Die Raucher*innen werden von den Waste Watchern angesprochen, belehrt und bekommen später einen Bußgeldbescheid per Post. Bis zu 55 Euro kostet die weggeworfene Zigarette. Wenn die Zigarette nach der Belehrung aufgehoben wird und Einsicht erkennbar ist, kann es etwas günstiger werden. Ziel der Waste Watcher ist es, durch ihre Präsenz das Stadtbild zu verbessern. Der Hauptbahnhof spielt dabei eine wichtige Rolle. Er wird täglich von rund 550.000 Menschen besucht und ist der frequentierteste Bahnhof Deutschlands. Der Hauptbahnhof wird rund um die Uhr gereinigt. 

Müll auf dem Hamburger Steindamm.

Die Waste Watcher gehen weiter zum benachbarten Steindamm. Diese Straße ist laut Sebastian ein schwieriges Pflaster: „Da sind Obdachlose oder auch Junkies. Die durchwühlen die Mülltonnen und reißen Müllsäcke auf, auf der Suche nach Pfand. Außerdem gibt es hier aufgrund der vielen Restaurants und Obststände viele Essensreste und Gemüseabfälle”. Sebastian und Melanie versuchen auf dem Steindamm ganz besonders den direkten Kontakt zu den Händlern herzustellen und zu halten. Während die Beiden ihre Patrouille laufen, grüßen die Händler freundlich beim Vorbeigehen. Sie kommen an einem Stapel Kartons vorbei und sprechen den Händler an, die Kartons müssen vom Gehweg runter. „Mach ich Brudi – halbe Stunde, okay?“ ruft er zurück.

Eine teure Zigarette

Zurück am Hauptbahnhof. Melanie fällt eine rauchende Frau auf. Nur wenige Augenblicke später wirft sie ihre Zigarette auf den Boden, tritt sie aus und läuft in Richtung Gleise. Melanie spricht die Frau direkt an, um sie über ihr Fehlverhalten aufzuklären. Sie erklärt ihr freundlich, dass das Wegwerfen einer Zigarette eine Ordnungswidrigkeit darstellt und fragt nach ihrem Ausweis. Die Frau antwortet pampig, dass sie ihr Portemonnaie verloren habe. Nach einer längeren Diskussion sagt sie, sie heiße Nicole Weber. Eine Adresse will Nicole nicht nennen.

Sie ist sichtlich aufgebracht und raucht eine weitere Zigarette. Diesmal wirft sie die Zigarette in den nahestehenden Aschenbecher. „Es könnte jeder sagen, von der Stadtreinigung zu sein – Ihnen verrate ich doch hier nicht in aller Öffentlichkeit meine Adresse”, sagt die Frau und stampft wütend davon. Es beginnt eine Verfolgungsjagd durch den gesamten Hauptbahnhof. Immer wieder bittet Melanie die Frau, stehen zu bleiben. Während Melanie der Frau folgt, dreht diese ihre Runden durch den Bahnhof und beschimpft die Waste Watcherin.  

Sebastian hält indes Ausschau nach Beamt*innen der Polizei, erfolglos. Die Waste Watcher dürfen Personen nicht festsetzen, dafür benötigen sie die Mithilfe der Polizei. Nach einigen Minuten beschließt die Frau, sich selbst der Polizei zu stellen. Zielstrebig wechselt sie ihre Richtung zur Station der Bundespolizei. Ein Polizist kommt dazu und spricht ruhig mit der Frau. Er erklärt ihr, dass die Waste Watcher eine offizielle Einheit der Stadtreinigung Hamburg sind und das Recht haben, Personen zu notieren. Wie sich herausstellt, hat die Frau ihr Portemonnaie doch nicht verloren und ihr Name lautet auch nicht Nicole Weber. Während dieser Fall durch die Mithilfe der Polizei geklärt werden konnte, sind Melanie und Sebastian nun schon wieder auf Hamburgs Straßen unterwegs, um sich für ein sauberes Stadtbild einzusetzen. 

Als Multitalent schaut Jonas Dorn, Jahrgang 1998, YouTube-Videos und hört dabei Podcasts, spielt vier Instrumente und hat bei der Grimme-Preis nominierten Dokureihe “LeFloid VS The World” mitgewirkt. Nach seinem Bachelor in Medienmanagement im sächsischen Mittweida produzierte er für ZDF “WISO” eine Doku über die wirtschaftliche Bedeutung von Gaming in Deutschland. Auch für die Magazinsendung “Galileo” drehte der gebürtige Berliner Beiträge und lernte so, dass drei Portionen Pommes den täglichen Vitamin-C-Bedarf decken. Was Jonas immer noch nicht kann: Schnürsenkel binden. Deshalb trägt er ausschließlich Schuhe ohne. (Kürzel: jon)