Unzählige Kinder träumen vom Leben als Profifußballer. Auf dem Weg dahin trainieren viele in DFB-Stützpunkten. FINK.HAMBURG hat sich mit Lewe Timm, dem Stützpunktkoordinator in Hamburg, über die Talentförderung und die Krise des DFB unterhalten.
Foto: Alexander Fox
Lewe Timm war viele Jahre Fußballtrainer in unterschiedlichen Spielklassen. Zuletzt führte er die Frauen des HSV in die 2. Bundesliga. Seit September 2023 arbeitet er als DFB-Stützpunktkoordinator des Hamburger Fußballverbands. An den Stützpunkten des DFB trainieren ausgewählte Kinder einmal die Woche außerhalb ihrer Heimatvereine. So werden besonders talentierte Kinder weiter gefördert.
FINK.HAMBURG: Was macht ein Stützpunktkoordinator?
Lewe Timm: Ich habe den Auftrag, die Talente zu fördern, die noch nicht in einem Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) sind.
Und ab wann beginnt die Förderung?
Ab der U12, also bei den Zehn- und Elfjährigen. In dem Alter sind natürlich noch nicht alle Kinder in den Nachwuchsleistungszentren oder vielleicht noch nicht die richtigen. Entwicklungen lassen sich bei Kindern immer schwer vorhersagen.
Wie ist die Förderung aufgebaut?
Es gibt sechs Stützpunkte in Hamburg. An jedem Stützpunkt sind drei Trainer und ein Torwarttrainer. Ich bin derjenige, der das Ganze koordiniert. Ich sorge dafür, dass die ganzen Stützpunkte laufen, sowohl auf organisatorischer als auch auf inhaltlicher Ebene. Außerdem bin ich für die Trainer und deren Aus- und Fortbildung zuständig.
Warum werden auch die Trainer*innen vom DFB gefördert?
Wir erreichen noch viel mehr, wenn wir die Trainer in den Vereinen besser machen und die Kinder nicht nur einmal pro Woche richtig gutes Training erhalten, sondern am besten jeden Tag, an dem sie auf dem Fußballplatz sind.
Da können gar nicht alle gewinnen. Es geht wirklich darum, dass die sich stetig weiterentwickeln.
Für welche Kinder ist die Stützpunktförderung gedacht?
Für die Kinder, die in ihren Heimatvereinen nicht ganz so intensiv trainieren können, weil entweder die Mannschaft das nicht hergibt oder die Bedingungen nicht so gut sind. Wenn man eine Menge guter Kinder zusammenführt, dann wird das Training automatisch schneller, besser und intensiver. Deshalb bereiten diese Extraeinheiten die Kinder auch auf den nächsten Schritt vor. Falls sie es doch noch in ein NLZ schaffen.
Gibt es Unterschiede in der Talentförderung von Jungs und Mädchen?
Ja, natürlich. Allein schon, weil es leider noch keine weiblichen Nachwuchsleistungszentren gibt. Einige Vereine lassen ihre besten Mädchen in den NLZ-Mannschaften der Jungs mittrainieren. Das ist aber längst nicht überall so. Bei den Talentförderprogrammen fördern wir natürlich auch Mädchen, diese sind aber nicht explizit dafür entworfen. Die Mädchen mitzuberücksichtigen und die toptalentierten Mädchen auch zu fördern, ist ein sehr guter erster Schritt. Während meiner Stützpunkttrainerzeit habe ich sehr viele Jugendnationalspielerinnen trainiert, die es wegen ihres Könnens bei den Jungs reingeschafft haben.
Du stehst ja nicht mehr jedes Wochenende auf dem Platz und feierst Siege oder ärgerst dich über Niederlagen. Wie zeichnet sich der Erfolg deiner Arbeit aus?
Ob man tatsächlich etwas bewegt hat, sieht man häufig erst viele Jahre später. Wir Menschen sind sehr stark darauf fokussiert, immer ein unmittelbares Ergebnis zu haben. Im Fußball ist das besonders krass, weil das Spiel am Wochenende ein direktes Feedback gibt. In meinem Job ist das ganz anders. Viele Jungs, die in unterschiedlichen Vereinen und Mannschaften spielen. Da können gar nicht alle gewinnen. Vielmehr geht es darum, dass die Spieler sich stetig weiterentwickeln.
Es ist nahezu absurd. „Krise des DFB” bedeutet ja eigentlich nur, dass unsere Nationalmannschaften der Frauen und Männer keine guten Ergebnisse abgeliefert haben.
Bekommst du ab und zu Feedback von ehemaligen Spieler*innen?
Ich habe viele im Erwachsenenalter wiedergetroffen und die sind einfach sehr, sehr dankbar gewesen. Da ging es um fußballerische Inhalte, aber vor allem darum, Wertschätzung und eine Orientierung bekommen zu haben, was Leistungssport überhaupt bedeutet. Auch wenn es die meisten natürlich nicht in den Profifußball schaffen.
Wie arbeitet ihr vom DFB mit den Nachwuchsleistungszentren der Profivereine zusammen?
Wenn wir an den Stützpunkten einen guten Job machen und die Kinder richtig gut fördern, dann wird das Interesse von Nachwuchsleistungszentren geweckt. So machen die Jugendlichen eventuell den Schritt in die nächste Förderungsebene. Der DFB greift die Besten dann wieder mit den Nationalmannschaften auf. Insofern wirkt das ganze System da so ein Stück weit zusammen.
Der DFB steckt seit einiger Zeit in einer sportlichen und finanziellen Krise. Zuletzt blieben die Nationalmannschaften der Männer und der Frauen bei den Weltmeisterschaften 2022 und 2023 weit hinter den Erwartungen. Sie schieden jeweils in der Vorrunde aus. Das schlechte Abschneiden wirkte sich negativ auf die finanzielle Situation des Verbandes aus. Außerdem hat der größte nationale Sportverband der Welt immer wieder mit Steuerskandalen zu kämpfen.
Merkst du an der Basis etwas von der Krise beim DFB?
Es ist nahezu absurd. „Krise des DFB” bedeutet ja eigentlich nur, dass unsere Nationalmannschaften der Frauen und Männer keine guten Ergebnisse abgeliefert haben. Und das ist immer sehr, sehr kurz gedacht. Ich kann das verstehen, von außen und als Fan. Aber trotzdem ist die Frage: Was ist tatsächlich die Krise daran? Die Basis gibt es weiterhin. Die Kinder gehen weiter gerne zum Fußball, die Kinder lieben weiter den Fußball. Was die Anzahl der spielenden Kinder angeht, haben wir keine Krise. Wir können gerne darüber reden, dass wir mit der jetzt endlich stattfindenden Kinderspielwettbewerbsreform zu spät sind. Die hätte gerne ein Jahrzehnt früher stattfinden können. Wir können außerdem gerne über gesellschaftliche Themen reden. Social Media, wie die Umwelt der Kinder aussieht und was sie heutzutage wollen – das hat sich alles verändert. An einigen Stellen sind wir zu träge, zu langsam.
Was muss sich beim DFB ändern?
Erstmal die Frage: Wer ist denn überhaupt der DFB? Ich bin auch Teil des DFB und zwar nicht nur, weil ich für den Verband arbeite, sondern auch als Fußballer, weil der DFB mein Dachverband ist. Wir alle sind sozusagen der DFB, genauso wie wir alle die Bundesrepublik Deutschland sind. Und das heißt: Alle haben den Auftrag, das Ganze in die richtige Richtung zu schubsen und nicht immer nur mit dem Finger auf andere zu zeigen. So funktioniert das Leben leider nicht. Auch wenn ich das Gefühl der Ohnmacht verstehe, weil man keinen Einfluss darauf hat, wer der nächste Nationalmannschaftstrainer wird oder wer spielen darf und wer nicht. Aus Sicht der 80 Millionen Bundestrainer sind das oftmals ja die falschen. Wenn man Dinge verändert haben möchte, dann muss man sich auf den Weg machen und anpacken. Man muss zusehen, dass man dort, wo man Einfluss nehmen kann, auch Einfluss nimmt.
Moritz Löhn, Jahrgang 1996, hat schon einmal ein Sachbuch in 30 Tagen geschrieben. “Fußball Fakten – Von der Bundesliga bis zur WM” heißt es und enthält 40 Geschichten über das schönste Spiel der Welt. Fürs Fußballschauen wird Moritz sogar bezahlt: Er tickert für sport.de und hat schon in der Online-Redaktion von Sport1 gearbeitet. Sportjournalismus ist auch sein Berufsziel – am liebsten investigativ. Studiert hat er Medien und Information an der HAW Hamburg. Auch ehrenamtlich engagiert er sich: Er betreut ein Ferienzeltlager in Dänemark und ist Co-Trainer bei der vierten Herrenmannschaft des USC Paloma. Moritz ist Mate- und Mario-Kart-süchtig. Eine gute Grundlage für die nächsten Bücher.
(Kürzel: mol)