Studierende in Deutschland nutzen kaum staatliche Fördermittel – in Hamburg nur etwa einer von acht. Und wer doch zum Beispiel auf einen KfW-Studienkredit zurückgreift, könnte sich hoch verschulden.
„BAföG hat nicht ausgereicht, ein Kredit war daher meine letzte Option – rückblickend allerdings auch eine Schuldenfalle”, sagt die Soziale Arbeit Studentin Annika gegenüber FINK.HAMBURG. Generell werden staatliche Fördermittel kaum genutzt: Nur 13,1 Prozent von rund 120.000 Hamburger Studierenden greifen laut einer Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) aus dem Jahr 2023 auf Bafög, Stipendien oder Studienkredite zurück. Das sind weniger als nur die Studierenden der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Die Studierendenwerke bemängeln Schwachstellen der Studienfinanzierung und das Centrum für Hochschulentwicklung fordert einen „Relaunch” des Systems.
Vor allem die KfW-Studienkredite stehen aktuell wegen ihrer hohen Zinssätze in der Kritik und werden immer weniger genutzt. FINK.HAMBURG hat mit Hamburger Studierenden gesprochen, die sich für ihr Studium verschuldet haben und schaut auf die CHE–Studienergebnisse für die Hansestadt.
Fünf von sechs Studierenden in Deutschland nutzen weder BAföG noch staatliche Kredite
Studienfinanzierung in Hamburg: eine Herausforderung
„Ich überlege ernsthaft, wie ich Geld auftreiben kann“, sagt Annika, Sozialpädagogik-Studentin an der HAW im Gespräch mit FINK.HAMBURG. Ihre Zukunftspläne sind ungewiss: „Ob ich mir den Master in Gender Studies, den ich noch an mein Sozialpädagogik-Studium anhängen möchte, überhaupt leisten kann? Ich weiß es nicht.”
Durch die hohe Inflation und steigenden Mietpreise ist die Studienfinanzierung bundesweit, aber vor allem in den größten Städten, für viele eine Herausforderung. Ein Drittel der Studierenden in Deutschland war 2021 laut Angaben des Statistischen Bundesamtes armutsgefährdet. Fast elf Prozent der Studierenden können sich ihren Lebensunterhalt nicht sicher finanzieren, zeigt die 22. bundesweite Sozialerhebung. Hamburg sticht bei den aktuellen Erhebungen zur Studienfinanzierung besonders hervor – eine Übersicht:
- BAföG empfängt in Hamburg nur etwa jede(r) elfte Studierende. Bundesweit liegt Hamburg damit auf Platz 30 der Uni-Städte.
- Auch beim Anteil der durch ein Deutschlandstipendium geförderten Studierenden liegt Hamburg mit 0,6 Prozent weit unter dem Bundesdurchschnitt
- Einen Nebenjob haben in Hamburg 74,5 Prozent der Studierenden, das sind im Bundesvergleich die meisten. (Daten aus 2021).
- 0,6 Prozent der Hamburger Studierenden haben 2022 einen KfW-Studienkredit abgeschlossen, deutschlandweit waren es 0,5 Prozent.
BAföG verliert an Relevanz
Für Chancengleichheit im Studium soll in Deutschland in erster Linie das Bundesausbildungsförderungsgesetz, bekannt als BAföG, sorgen. Die CHE-Studie zeigt allerdings, dass dieses Fördermittel nur noch wenig Relevanz hat. Stattdessen finanzieren die meisten ihr Studium, indem sie Geld von ihren Eltern bekommen oder in einem Nebenjob arbeiten.
Bafög wird aus unterschiedlichen Gründen nicht gezahlt, zum Beispiel wenn Studierende die Regelstudienzeit überschreiten. Annikas Bafög-Antrag wurde zwar nicht abgelehnt, doch die Fördersumme reichte bei weitem nicht, um ihr Studium zu finanzieren. Deshalb nahm sie Anfang 2021 einen Kredit bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) auf. Ein Studienkredit war für sie die letzte Option.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um Finanzmittel zur Wiederherstellung Deutschlands zu verwalten und zu verteilen. Laut Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung ist die KfW Bankengruppe die weltweit größte nationale Förderbank und drittgrößte Bank Deutschlands. Bis heute agiert die KfW im Auftrag der Bundesrepublik: Ihre Hauptaufgabe besteht darin, verschiedene Finanzierungsmaßnahmen zu unterstützen, die im öffentlichen Interesse liegen – wie beispielsweise Investitionen in Bildung oder Umweltschutz.
KfW-Studienkredit Kapitalbrücke oder Schuldenfalle?
Annika entschied sich für einen variablen Zins, der sich alle 6 Monate je nach Kapitalmarktsituation ändert. Zwei Jahre nach Aufnahme des Kredits hatte sich ihr individueller Zinssatz mehr als verdoppelt. Die enormen Zinssprünge (zuletzt auf bis zu 9,01 Prozent) kam für viele Studierende unerwartet. Insgesamt befinden sich nach Aussagen der KfW aktuell rund 263.000 Studierende in einer aktiven Kreditphase.
Aus Angst vor weiteren Schulden hat Annika ihre Kreditauszahlung zum ersten Dezember 2023 wieder beendet. Das bedeutet für sie nun wieder mehr Zeit in Nebenjobs und weniger fürs Studium, was der Kredit eigentlich vermeiden sollte. „Mental bin ich einfach anders herausgefordert als Komilliton*innen, die sich um Geld keine Sorgen machen müssen.” Eine Rückzahlungssumme von fast 14.000 Euro kommt nun im Worst Case auf Annika zu. Andere Studierende, die sich bei der Redaktion gemeldet haben, klagten sogar über doppelt so hohe Verschuldungssummen.
Warum hält die Politik die steigenden Zinssätze nicht auf?
Die Höhe der Zinssätze wird auch bei Studienkrediten durch die allgemeine wirtschaftliche Lage, die Inflation und die Entscheidungen der Zentralbank beeinflusst. Alle Änderungen basieren nach Aussagen der KfW auf dem Referenzzinssatz EURIBOR. Seit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts ist der EURIBOR immer weiter gestiegen, was auch zu höheren Zinsen für Studienkredite geführt hat. Die KfW erziele mit ihrem Kreditangebot für Studierende zwar keine Gewinne, müsse jedoch kostendeckend arbeiten, so die Antwort der KfW auf Anfrage. Das Besondere beim KfW-Studienkredit: Jede*r kann ihn beantragen, unabhängig von Einkommen oder Vermögen.
Um Studierenden während der Corona-Krise unter die Arme zu greifen, vergab die Förderbank KfW im ersten Pandemiejahr (2020) Kredite zum Nullzins. Das zog kurzzeitig viele Neukreditnehmer*innen an. Möglich war dies, weil das Bundesbildungsministerium temporär Haushaltsmittel als Überbrückungshilfe für pandemiebedingte Notlagen bereitstellte. Robert Habeck, Olaf Scholz, Annalena Baerbock oder Hamburgs Finanzsenator Carsten Dresser – sie alle waren oder sind Mitglieder im Verwaltungsrat der KfW. Ihre Aufgabe ist es, zu überwachen und sicherzustellen, dass die Fördermaßnahmen den politischen Zielen und Prioritäten entsprechen. Warum die aktuell enormen Zinserhöhungen nicht durch das Ministerium aufgehalten wurden, ließ die Pressestelle der KfW unbeantwortet.
In Hamburg forderten die Fraktionen der SDP und der Grünen den Senat auf, sich für eine Zinsdeckelung auf 5 Prozent einzusetzen. Auch wenn sie ihren Einfluss bezüglich politischer Maßnahmen auf Bundesebene als gering einschätzen, wie Sina Koriath, wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen Fraktion Hamburg, gegenüber FINK.HAMBURG betont. Nur das Bundesfinanzministerium könne die Zinssätze wirklich begrenzen.
Informieren sich Studierende zu wenig und sind selbst schuld?
Die Info-Points des Beratungszentrums Studienfinanzierung in Hamburg wurden 2022 zwar oft mit ersten Fragen zu Studienfinanzierungsmöglichkeiten genutzt. Individuelle Einzelberatungen, die das Studierendenwerk Hamburg beim Thema KfW-Studienkredit empfiehlt, gab es aber nur 357 Mal. Mehr als doppelt so viele Kredite wurden 2022 in Hamburg vergeben. In der Not scheinen sich viele auf die vertrauensvoll und sozial wirkende Selbstkennzeichnung der Kreditbank zu verlassen, bei der auch ein Antrag relativ unbürokratisch abläuft: „In zehn Minuten online beantragen“, wirbt einer der beiden kooperierenden Online-Anbieter der KfW.
System Studienfinanzierung: Studierende in Dauerkrise
Studienkredite sollen nach Aussagen der KfW lediglich als zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit im Studium verstanden werden. Doch wer keine anderen Fördermittel bekommt, der greift eben doch notgedrungen darauf zurück. Laut Studierendenwerk Hamburg weist das auf andere Lücken im System Studienfinanzierung hin.
Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag 2021 ein neues “Jahrzehnt gleicher Bildungschancen” angepriesen. Für Studierende sollte eine grundlegende BAföG-Reform den Grundstein dafür legen (S.94). Ende 2023 scheinen die Fördermittel trotzdem noch nicht dort anzukommen, wo sie gebraucht werden. Das meint jedenfalls Ulrich Müller, Leiter für politische Analysen für das Centrum für Hochschulbildung (CHE): Er fordert einen Relaunch der staatlichen Studienförderung. Eine Erhöhung des Förderungssatzes, wie sie bei der neusten Bafög-Anpassung erfolgt ist, würde nicht ausreichen, sondern es müsse sich auch etwas an der Elternunabhängigkeitsregelung ändern.
Die aktuellen Wohnungspreise in Hamburg verdeutliche eine weitere Lücke. Laut einer Studie des Forschungs- und Beratungsunternehmens Empirica liegt der monatliche Standardpreis für ein unmöbliertes WG-Zimmer in Hamburg bei 550 Euro. Die Wohnpauschale beim BAföG sieht aktuell 360 Euro vor – selbst am Stadtrand wäre eine Wohnungssuche zu diesem Preis fast aussichtslos.
Inwiefern der aktuelle Haushalt ein elternunabhängiges Bafög-System für alle finanzieren kann, bleibt fraglich. Studierende wünschen sich aktuell Unterstützung mehr denn je. Annikas Wunsch für Besserung: Die Lücken in der Studienfinanzierung ausbessern und eine verpflichtende individuelle Beratung bei Aufnahme eines Studienkredits einführen.
Anne Paulsen, geboren 1996 in Itzehoe, hat Flugangst, reiste nach dem Abitur aber trotzdem für ein Jahr auf die von der Klimakrise bedrohte Pazifikinsel Kiribati. Sie unterrichtete, pflanzte Mangroven und begann zu bloggen. Später schrieb sie für kleinere Magazine und eine NGO über Klimawandel und Nachhaltigkeit. In Hamburg studierte sie Religionswissenschaft. Auf den Salomonen hat sie den ersten Frauenboxkampf mitorganisiert und stieg auch selbst in den Ring. Einen Poetry Slam ohne Wettkampfcharakter zu organisieren, steht noch auf ihrer To-Do-Liste – dann würde sie sich vielleicht mit einem eigenen Gedicht auf die Bühne trauen. (Kürzel: apa)