Veränderungen klopfen selten höflich an. Sie reißen Gewohntes ein, sind plötzlich da. Manchmal bleibt nur eins: mitgehen. FINK.HAMBURG-Redakteurin Karoline Gebhardt berichtet, wie sie gelernt hat, Neuanfänge willkommen zu heißen.

Viele der Berufe, die es in 20 Jahren geben wird, existieren heute noch nicht. Studien deuten darauf hin, dass der Amazonas vor 15 Millionen Jahren wohl in die entgegengesetzte Richtung floss. Alle sieben bis zehn Jahre wird fast jede Zelle im menschlichen Körper ausgetauscht. Die Renaissance löste die Gotik ab. Wir sitzen in Autos statt in Kutschen. Nichts bleibt so, wie es ist.

Serie “Aus den 20ern”
Freundschaft, Social Media, Geld: FINK.HAMBURG hat Personen unter dreißig befragt, welche Themen sie gerade beschäftigen. Jedem Thema ist ein Teil der Serie gewidmet – um darüber zu diskutieren, eigene Erfahrungen zu teilen und Lösungen zu finden.

Veränderung ist ein universelles Prinzip – in der Natur, der Gesellschaft, der Kunst. Und doch tut sich die Mehrheit der Menschen mit Veränderungen schwer. So auch ich. Sie bedeuteten für mich überwiegend: Kontrollverlust, Angst vor dem Unbekannten, emotionale Unsicherheit. In erster Linie verknüpfte mein Gehirn Veränderungen mit Negativem. Sie waren wie kleine, böse Trolle, die mir meine geliebten Sicherheitsgarantien stahlen, die vermeintlich so viel Halt gaben. Sicherheit stand stellvertretend für Geborgenheit, Schutz und Gewissheit. Veränderung war der Feind, der dieses Gerüst ins Wanken oder gar zum Einstürzen zu bringen drohte. Ich schreibe absichtlich im Präteritum.

Zwischen Feldern, Spießigkeit und David Bowie

Gleichzeitig sehnte ich mich schon als Teenager danach, mein Leben umzugestalten. Ich malte mir in großen Träumen meine Zukunft aus, ohne Angst vor dem Neuen.

Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein, umringt von kleinen Bächen, Feldern und einem großen Wald. Knapp 9000 Menschen leben dort und das war im Alter von 13 Jahren für meinen Geschmack viel zu wenig. Ich wollte der vorherrschenden Spießigkeit und dem quälenden Mathematikunterricht entfliehen, Menschen mit denselben Interessen kennenlernen und nie wieder eine Stunde Bus fahren, um zur Schule oder in die Stadt zu kommen.

Viele meiner Klassenkameraden fand ich langweilig. Sie interessierten sich für Pferde und Popmusik. Ich mochte David Bowie und Politik. Nichts war uninteressanter für mich als Ponyreiten und Rihanna. Als nach dem Abitur mein Umzug in die Stadt bevorstand, merkte ich schnell, dass sich Veränderungen leichter erträumen als umsetzen lassen.

In einer Studie von McKinsey heißt es, dass etwa 70 Prozent aller Veränderungsprozesse scheitern. Menschen neigen dazu, am Status Quo festzuhalten. Auch dann, wenn eine Veränderung positiv sein könnte. 50 Prozent wiederum leiden unter einer “Change-Fatigue”, also dem Gefühl, von ständigen Veränderungen überfordert zu sein. Besonders in Zeiten von Krisen verstärkt sich diese Müdigkeit. Diesem Widerstand liegen häufig psychologische Ursachen zugrunde: Menschen haben Verlustängste und mögen das Vertraute. Außerdem sind sie Gewohnheitstiere. Unser Gehirn bevorzugt Routinen, weil sie weniger Energie kosten. Hinzu kommen emotionale Bindungen zu Beruf und Mitmenschen, Orten oder Gewohnheiten.

Einige Umwege und Veränderungen später

Nun bin ich aber aus Angst vor Veränderungen nicht in meinem kleinen Ort zwischen Nord- und Ostsee geblieben, sondern habe meine 20er in meiner Lieblingsstadt Hamburg verbracht. Und gelernt, mit Veränderungen umzugehen. Denn das verschafft auf lange Sicht mehr Entspannung, als sich krampfhaft dagegen zu wehren.

Das Jahrzehnt zwischen 20 und 30 ist ein Irrgarten. Man findet neue Freunde und verliert sie wieder, man verfällt der Liebe und Herzen zerbrechen, berufliche Chancen ergeben sich und manche Entscheidungen erweisen sich als falsch. Mit jedem Jahr wird der Blick jedoch klarer. Für das, was man ist. Man kehrt zu sich zurück und überwindet, was man durch Anpassung verloren hat. Das hilft ungemein, Veränderungen zum meistern, weil es das Selbstvertrauen stärkt. Und mit einem stärkeren Selbstvertrauen erscheinen auch Veränderungen nicht mehr so unüberwindbar.

Manche Weisheiten verlieren nie an Bedeutung: „Panta rhei – Alles fließt,” sagte einst der griechische Philosoph Heraklit. Wilhelm Schmid, zeitgenössischer Philosoph und Autor, ergänzt Heraklits Einsicht mit einer für mich schlüssigen Begründung, wieso Veränderungen in heutiger Zeit so schwer zu akzeptieren sind: „Der Fluss ist ein Fluss, weil am Rande etwas ist, was eben doch stabil ist. Alles fließt – aber immer im Rahmen einer Begrenzung, eines Ufers.” In heutiger Zeit, so Schmid, sei die Schwierigkeit, „dass langsam, aber sicher auch die Ufer zu fließen beginnen.” Vielleicht war das der entscheidende Punkt für mich – der sichere Rahmen fehlte, um Veränderungen zu akzeptieren.

Mittlerweile lebe ich selbstbestimmter als zum Anfang meiner 20er und bin weniger leicht zu erschüttern. Das Studium neigt sich dem Ende zu, Beziehungen sind gefestigt, ebenso der eigene Charakter. Und auch die Vorstellungen, wie man leben möchte, sind konkreter. Die Skepsis bleibt, manchmal auch Unbehagen oder Überforderung, aber die Angst vor dem Neuen ist nicht mehr so einnehmend. Verzweiflung ist nicht das erste, was sich einstellt, sobald eine Veränderung in mein Leben tritt. Stattdessen sind es Mut und Zuversicht, die gepaart mit einer guten Portion Selbstvertrauen den Veränderungen begegnen. Nichts bleibt so, wie es ist ­– das gilt auch für meine Angst vor Veränderungen.

Karoline Gebhardt, geboren 1994 in Reinbek, ist Ex-Landesmeisterin im Bogenschießen. Zu dem Hobby kam sie durch den Film „Plötzlich Prinzessin“. Heute schaut sie lieber koreanische Filme mit Untertiteln. Bei Metal-Konzerten crowdsurft sie und landete dabei schon im legendären Club Logo auf der Bühne. Im Bachelor studierte sie Bibliotheks- und Informationsmanagement und recherchierte als Werkstudentin bei der dpa für die Katastrophen-Warn-App Nina. Für „Szene Hamburg“ testete Karo Restaurants und schmiedete für eine Reportage ein Küchenmesser. Karoline ist besessen vom Thema Quiz, ob im Pub oder im TV - sie selbst bezeichnet sich als Günther-Jauch-Ultra. Kürzel: kar

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