Koksender Bänker trifft schlagende Ehefrau: Sally Potter reißt in ihrem aktuellen Film „The Party“ beinahe alle Überzeugungen und Ideale ihrer Protagonisten ein – und unterhält damit auf schonungslose Art und Weise.
Ihre Hand zittert. Mit ihr der Lauf einer Pistole, den sie direkt auf den nicht sichtbaren Gast richtet, mitten ins Gesicht des Zuschauers. Mit zerzaustem Haar und starrem Blick fokussiert sie die Leere, wütend und zweifelnd. Wie es zu dieser Situation kam, werden die darauf folgenden 71 Filmminuten in beeindruckender Weise erzählen.
Ein Haus, irgendwo in London: Gastgeberin Janet (Kristin Scott Thomas) ist britische Oppositionspolitikerin und wurde nach jahrzehntelanger politischer Arbeit nun zur Gesundheitsministerin des Schattenkabinett ihrer Partei ernannt. Während die erfolgreiche Karrierefrau in der Küche Selbstgebackenes in den Ofen schiebt und unablässig Gratulationsanrufe annimmt, hält sich ihr Mann Bill (Timothy Spall) im Wohnzimmer auf: Mitten im Raum auf einem Stuhl sitzend, ein Glas Rotwein in der Hand. Er hört schwerfällige Musik, langsamen Blues und starrt abwesend in den Raum. Dass mit diesem Mann etwas nicht stimmt, ist von der ersten Minute an klar. Kurz darauf treffen die ersten Party-Gäste ein – und mit ihnen das Chaos.
Der kürzeste Kinofilm des Jahres
Der Schwarz-Weiß-Film “The Party” der Regisseurin Sally Potters (“Ginger & Rosa”, “In stürmischen Zeiten”) kommt wie ein kochender Dampftopf daher: Auf kleinstem Raum drängen sich die unterschiedlichen Protagonisten – es wird sehr schnell ziemlich heiß, bis alles explodiert. Der Film ist ein dichtes, bitterböses Kammerspiel. Schnell ist eine Parallele zu Polanskis Filmadaption des Theaterstücks „Der Gott des Gemetzels“ gezogen: Es geht um Machtspiele zwischen Männern und Frauen, Alt und Jung, links und konservativ. Gesellschaftskritisch werden Linksintellektuelle und Feministen sowie die britische Upper-Class betrachtet.
In nur 71 Minuten zieht der kürzeste Kinofilm des Jahres rund um die Brexit-Wahl eine Bilanz zur Entwicklung einer Elite, die sich zwischen an Egoismus grenzender Selbstdarstellung, beruflichem Überehrgeiz, banalen Äußerlichkeiten und intellektueller Borniertheit bewegt – und am Ende ist doch alles ganz anders.
Gute Miene zum bösen Spiel
Im Laufe der ersten Filmminuten komplettiert sich die Partyrunde mit Martha (Cherry Jones) und ihrer Frau Jinny (Emily Mortimer), die Drillinge erwartet. Martha, die jahrzehntelang soziale Ideale und die gleichgeschlechtliche Beziehungen propagiert hat, ist nun offensichtlich nicht in der Lage, genau das alles zu leben. Im Gespräch mit ihrer Frau Jinny kann sie in Bezug auf die ungeborenen Drillinge nur sagen: “Dann sind wir ja jetzt bald ein Kollektiv.”. Von Familie ist da keine Rede.
Der aalglatte Bänker Tom (Cillian Murphy) zieht auf dem Badewannenrand der Gastgeberin eine Line Koks und überbringt Janet dann mit gespielter Freundlichkeit seine Glückwünsche. Je später der Abend, desto verzweifelter sein Ton: Mantraartig wiederholt er den Satz „Ich bin ein Gewinner“ – und gibt dabei den größten Verlierer der Runde ab. Als schräger, paranoider, von seiner Frau doppelt betrogener Kokser und Bänker ist er völlig deplatziert in der links-intellektuellen Runde und macht strapaziös lange gute Miene zum bösen Spiel. Bis die Gefühle vulkanartig aus ihm herausbrechen.
An Intensität kaum zu überbieten
Als ruhiger Gegenpol zum aufgeputschten Bänker Tom, gibt der sanftmütige Deutsche Gottfried (Bruno Ganz) gutgemeinte Esoterik-Tipps. „Bitte sag mir nicht, dass du gerade meditierst, Gottfried. Jetzt reiß dich mal zusammen“, sagt seine hinreißend zynische Frau April (Patricia Clarkson), als sie ihn im Schneidersitz auf dem Teppich vorfindet. April lässt keine Möglichkeit aus, ihrem Mann zu verdeutlichen, dass dies sicherlich der letzte gemeinsame Abend sein wird.
Nach einem überraschenden Geständnis von Bill verliert dann auch noch Janet, die bis dato perfekt ihre Fassade gewahrt hat, völlig die Beherrschung. „Ich glaube an Wahrheit und Versöhnung. Ich habe Reden dazu gehalten in der ganzen Welt“, doziert sie und beißt sich dabei selbst in der Arm, um ihren Mann nicht erneut zu schlagen.
Die Regisseurin Sally Potter entfacht in kürzester Zeit ein emotionales Feuerwerk, dem sich keiner der Gäste (und keiner der Zuschauer) entziehen kann. Diese 71 schwarz-weißen Filmminuten sind an Intensität kaum zu überbieten. “The Party” ist ein Film, der schonungslos und wahnwitzig komisch zugleich ist.
„The Party“ feierte am 27. Juli 2017 Deutschlandpremiere und erscheint am 1. Dezember 2017 auf DVD.