Arbeiten für 800 Euro brutto oder gleich nur “Kost und Logis” – deutsche Absolventen von Seefahrtschulen suchen verzweifelt Jobs und finden, wenn überhaupt, solche Angebote. Sieht so das Ende der deutschen Seefahrer aus?
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Es sind häufig traurige Geschichten, die man von Seefahrern zu hören bekommt: Gut ausgebildete, studierte, junge Leute suchen händeringend nach Jobs und finden keine. Einige wollen an dem Wunschberuf in der Seefahrt festhalten und steigen zu ungeheuerlichen Konditionen auf Schiffen ein, wieder andere geben ihren Traum einfach auf.
So auch Tomke Janßen (26). Sie stammt aus einer Seefahrerfamilie und wollte gerne selbst Erfahrungen auf den Weltmeeren sammeln. Die Zukunft der studierten Nautikerin aber liegt an Land. Nach dem Studium habe sie etwa 150 Bewerbungen geschrieben. Sie erhielt zwei Jobangebote, beide von ausländischen Reedern. „Die hätten mich für 800 Dollar brutto im Monat eingestellt“, sagt sie. Die Anreise und die notwendigen Zertifikate hätte sie selbst bezahlen müssen. Zudem waren die Stellen befristet. Sie lehnte ab. Nun arbeitet sie beim Wasser- und Schifffahrtsamt und überwacht die Deutsche Bucht.
Ausflaggung und Einsatz ausländischer Seeleute
Was macht die Situation für angehende deutsche Seeleute so schwierig? Sie sind nicht schlechter qualifiziert als osteuropäische oder asiatische Seeleute – aber teurer. Auch die langanhaltende Schifffahrtskrise und die Überkapazitäten am Markt tragen zur schlechten Situation bei. Überkapazitäten heißt: Es gibt auf der Welt zu viele Schiffe für zu wenig Ladung.
Fracht zu transportieren wird dadurch billiger. Wenn die Frachtraten aber sinken, während die Betriebskosten der Schiffe – die Bezahlung von Treibstoff und Besatzung – gleichbleiben, sinken die Gewinne der Reeder. Irgendwo muss dann gespart werden.
Reeder stellen keine deutschen Seeleute mehr ein, sondern günstigere Fachkräfte aus anderen Ländern. Laut Christof Schwaner, Pressesprecher des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), sind auf deutschen Schiffen 62.000 Seeleute beschäftigt. 55.290 kommen davon nicht aus Deutschland, das sind fast 90 Prozent.
Eine weitere Möglichkeit, Geld zu sparen, ist die Ausflaggung. Normalerweise führen Schiffe deutscher Reeder die deutsche Schiffsflagge. Sie zeigt an, dass auf dem Schiff auch deutsches Recht gilt. Mit der Ausflaggung und Führung einer anderen Flagge gilt ein anderes Recht.
„Die Entscheidung von Reedern, ihre Schiffe unter ausländischer Flagge zu fahren, wird mit den Mehrkosten der deutschen Flagge begründet“, erklärt der Hamburger Wirtschaftssenator Frank Horch. Hamburg ist Deutschlands größter Reedereistandort. Laut Schwaner gibt es hier 113 Reeder mit insgesamt 1292 Schiffen. Davon fahren lediglich 335 unter deutscher Flagge. Im Jahr 2008 waren es noch 548.
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Mehr Subventionen, weniger Beschäftigung
Deutsche Reeder erhalten vom Bund erhebliche Subventionen, um das Know-How am maritimen Standort Deutschland zu halten und Anreize zu schaffen die Deutsche Flagge zu führen. Die deutsche Handelsflotte habe sich reduziert, mit negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung heimischer Seeleute. Vor diesem Hintergrund würden die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine leistungsfähige Schifffahrt erneut angepasst. „Dabei liegt der Fokus unter anderem auf Attraktivität des Schifffahrts- und Reedereistandortes Deutschland sowie auf sicheren und zukunftsfähigen Arbeits- und Ausbildungsplätzen an Bord und an Land“ so Senator Horch. Dennoch wurde die Schiffsbesetzungsverordnung im Jahr 2016 halbiert. So müssen nun auf großen Schiffen nur noch ein deutscher oder europäischer Kapitän und ein weiterer deutscher oder europäischer Offizier auf einem Schiff beschäftigt werden.
Diese Subventionen erhalten Reeder:
Wie ist es möglich, dass die deutsche Besatzung einfach halbiert werden konnte? Die Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung wurde zwischen dem Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) und dem VDR verhandelt. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) zum Beispiel, die Mitglied im Maritimen Bündnis für Ausbildung und Beschäftigung ist, war nicht an den Verhandlungen beteiligt. Dies sei auch der Grund, weshalb Verdi nach Bekanntgabe der Änderungen das Maritime Bündnis verlassen habe, so die Gewerkschaft. Zwar hatte Verdi sich für den vollen Lohnsteuerausgleich eingesetzt, aber nur mit dem Ziel, Ausbildung und Beschäftigung sicherzustellen.
„Die haben aber das Know-How gekürzt, wenn man so will, indem sie die Schiffsbesetzungsverordnung halbiert haben. Reeder kriegen einen Haufen Förderung und bringen keine Gegenleistung“, sagt Peter Geitmann, Nationaler Schifffahrtssekretär der Verdi. Nach Verlassen des Bündnisses kamen die Küstenländer mit der Bitte auf Verdi zu, sich an den Sitzungen zu beteiligen. Nun kann Verdi im Maritimen Bündnis zwar weiter mitdiskutieren, ist aber nicht mehr stimmberechtigt.
„Durch die Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung mit der Reduzierung der Nationalvorgaben soll […] die Schiffsbesetzung unter deutscher Flagge flexibler und kostengünstiger werden“, so Senator Horch. Die Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung habe aber erhebliche Diskussionen ausgelöst und sei ohne Sozialpartner getroffen worden. Horch betont, dass Hamburg sich gemeinsam mit den anderen norddeutschen Ländern als Standorte der Seeschifffahrt und der Bildungseinrichtungen für einen Kompromiss im Sinne des Maritimen Bündnisses eingesetzt hätte.
Der Verband Deutscher Reeder habe zugesagt sich „nach Kräften“ dafür einzusetzen, die Anzahl der Seeleute in Ausbildung und Beschäftigung zu steigern, so Schwaner. Allerdings sei es schwierig, konkrete Zahlen zu nennen, da zunächst der Rückgang der deutschen Handelsflotte eingedämmt werden müsse. Danach bliebt abzusehen, wie viel Beschäftigung notwendig sei. Die Bundesregierung will 2020 evaluieren, wie viele Schiffe unter deutscher Flagge und wie viele deutsche Seeleute es dann gibt. Verdi Vertreter Geitmann ist das Versprechen der Reeder, sich „nach Kräften“ zu bemühen, zu ungenau. Das sei nur eine Floskel.
Junge Schiffsoffiziere, die eine Karriere an Bord anstreben und den langen Weg zum Kapitän anstreben möchten, nehmen fast alle Jobs an. Geitmann liegt ein Arbeitsvertrag einer deutschen Reederei vor, in dem unter dem Punkt Vergütung steht: „Kost und Logis.“ Von Gehalt ist nicht die Rede.
Schwaner vom VDR sagt, es gebe immer noch gute Perspektiven – unter anderem an Land. Aber auch er stellt fest: „Vom typischen Karriereweg als Deutscher auf einem deutschen Schiff, zu deutschen Tariflöhnen ein Leben lang zu fahren und bezahlt zu werden ist ein Karriereweg, von dem man sich […] verabschieden muss.“
Diese Situation kennen auch Tomke Janßen und Sven-Ole Haase von Bekannten. „Die haben dann die Einstellung, dass sie wenigstens fahren können und nehmen die Konditionen in Kauf“ so Janßen.
Sven-Ole Haase (27) hatte mehr Glück und ist mittlerweile Kapitän bei einer kleinen deutschen Reederei in Hamburg. Er kommt ebenfalls aus einer Seefahrerfamilie und betrachtet deutsche Seeleute mittlerweile als „Nischenprodukt“. Angehende Schiffsoffiziere seien verzweifelt auf Jobsuche. Aus Haases Abschlussjahrgang von 2013 haben immer noch 30 Prozent keine Anstellung. Deshalb ist er der Meinung, dass junge Offiziere erstmal beweisen müssen, dass sie ihr Geld wert sind. „Der Markt wird doch mit Offizieren überflutet und ich kann den Punkt der Reeder da verstehen. Warum soll der Reeder den deutschen Offizier einsetzen, der am liebsten nach Tarifvertrag verdienen möchte, wenn er auch einen philippinischen Offizier einstellen kann, der nicht mal die Hälfte kostet, länger an Board bleibt und im Urlaub gar nicht bezahlt werden muss.“
Der Job sei aber mit viel Verantwortung und Entbehrungen verbunden, was sich auch spätestens mit Erreichen des Befähigungszeugnisses nach 24 Monaten Fahrtzeit im Gehalt wiederspiegeln sollte, so Haase.
Auswirkungen für Lehre und Wirtschaft
„Der Bewerberstand für die Seeschifffahrt sinkt, auch weil sich zunehmend Absolventen der Fach- und Fachhochschulen an Land Jobs suchen“, so Geitmann.
Auch Christoph Wand, Präsident des Verbands Deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere, sieht es ähnlich. „Die Ausbildungsbereitschaft vieler Reedereien hat trotz maximal denkbarer Fördermaßnahmen stark nachgelassen.“ Viele würden zwar in Ausbildung investieren – aber nicht für deutsche Seeleute. Trotzdem sieht er auf lange Sicht gute Arbeitsmöglichkeiten in der Seefahrt. Die liegen allerdings nicht nur auf See, sondern vor allem im maritimen Umfeld an Land. „Allerdings ist klar, dass das maritime Know-How am Schifffahrtstandort Deutschland bei der derzeitigen Ausbildungssituation auf lange Sicht nicht mehr gehalten werden kann“, so Wand zu FINK.HAMBURG.
Gut ausgebildete Seeleute werden in vielen maritimen Berufen benötigt: als Lotsen, in den Häfen oder bei Zulieferfirmen. Wenn die Zahl der Ausbildungsplätze weiter abnimmt und vor allem die Seefahrtszeit fehlt, mangelt es an Erfahrung.
Das Ende der deutschen Seefahrer?
Wenn Reeder sich nicht besinnen, wieder deutsche Seeleute einzustellen und gut zu bezahlen, und die Bundesregierung Reeder in Sachen Ausflaggung und Personalpolitik gewähren lässt, wird es schwierig werden, das Know-How zu halten. Es bleibt für alle jungen Menschen mit Seefahrtstraum nur zu hoffen, dass die für 2020 angesetzte Evaluierung eine Wende bringt. Denn bisher konnte kein Anstieg von Rückflaggung oder Erhöhung von Ausbildung und Beschäftigung festgestellt werden.
„Die jungen Leute sollen mithelfen, Druck auf die Politik zu machen, um diesen Sachstand wieder zu ändern. Das ist notwendig, weil wir alle Möglichkeiten haben, das anzusprechen. Und ja, man gibt uns Recht, aber sonst passiert nichts. Das hilft den jungen Menschen überhaupt nichts“, sagt Geschwerkschaftsvertreter Geitmann.
Bis heute werden an sieben deutschen Fachschulen und Fachhochschulen Nautiker ausgebildet. Tomke Janßen sieht in diesem Studium keine Zukunftschancen mehr. „Die Leute, die das jetzt noch studieren, tun mir wirklich leid. Die werden keine Arbeit finden.“
Die Fachhochschule Hamburg (heute HAW Hamburg) hat ihren Fachbereich Seefahrt am 1. März 1996 aufgelöst. Danach gab es noch einige Jahre lang das Institut für Schiffsbetrieb, Seeverkehr und Simulation (ISSUS) mit Forschungs- und Ausbildungsaufträgen. Die letzten sieben Studenten der Schiffsbetriebstechnik nahmen dort im Wintersemester 2000/2001 ihr Studium auf. Danach wurden die Ausbilungskapazitäten umgeschichtet. Es entstand der Fachbereich Medientechnik, der heute als Department Medientechnik ein sehr erfolgreicher Teil der Fakultät Design, Medien und Information geworden ist.