Vom plattdeutschen Gottesdienst bis zu Seelsorgefahrten auf der Elbe: Die Flussschifferkirche in der Speicherstadt führt eine 150 Jahre alte Tradition fort. FINK.HAMBURG ist auf der Barkasse im Hamburger Hafen mitgefahren.
Das Kirchengebäude schwankt von rechts nach links. Doch die Besucher im Innern der Kirche scheint das kaum zu stören. Denn diese Kirche ist ein Schiff. Sie gehört zu den letzten Flussschifferkirchen, die es noch in Deutschland gibt und liegt im Binnenhafen der Hamburger Speicherstadt.
Diesen Sonntag ist Plattdeutscher Gottesdienst. Der Pastor Jan Steffens begrüßt die Gemeinde im typischen Dialekt: “Geboren bin ich in Husum und habe irgendwo das Friesenblut von meiner Mutter und das Dithmarscher Blut von meinem Vater.“ Die Gemeinde ist hörbar amüsiert. Viele sind zum ersten Mal dabei, denn die Flussschifferkirche lockt auch Touristen an, die sich unter die alteingesessene Gemeinde mischen. Pastor Steffens unterhält die bis auf den letzten Stuhl gefüllte Kirche mit persönlichen Anekdoten und Geschichten. Wenn nicht immer wieder Kirchenlieder gesungen oder das Vater Unser aufgesagt werden würden, käme man nicht auf die Idee in einem Gottesdienst zu sitzen.
PASTOR JAN STEFFENS BEGRÜSST DIE GEMEINDE:
AUSZUG DES VATER UNSERS AUF PLATTDEUTSCH:
So ausgelassen die Stimmung beim Plattdeutschen Gottesdienst ist, so ernst ist das eigentliche Anliegen der Flussschifferkirche. Seit 150 Jahren folgt die Binnenschifferseelsorge dem Leitsatz des Gründers Johann Hinrich Wichern:
„Wenn die Flussschiffer nicht zur Kirche kommen können, muss die Kirche zu den Flussschiffern kommen.“
Vier Tage später schwankt die Flussschifferkirche erneut – diesmal deutlich bedrohlicher. Das Sturmtief „Xavier“ hat sich für heute angekündigt. An den Landungsbrücken schaukeln die Schiffe, das Wasser der Elbe ist aufgewühlt und leichter Nieselregen erschwert die Sicht. Die Seelsorge-Crew der Flussschifferkirche ist davon jedoch wenig beeindruckt. Sie hat schon Schlimmeres erlebt. Jeden Donnerstag fährt ein Team aus drei ehrenamtlichen Mitarbeitern die Elbarme des Hamburger Hafens entlang bis sie auch den entlegensten Flussschiffer ausfindig gemacht haben.
Bestes Wetter, um heute für @Fink_Hamburg den Vormittag in einer Barkasse auf der Elbe zu verbringen. 🤦🏻♀️ #unwetterwarnung pic.twitter.com/sBAAuuvbcT
— Laura Lagershausen (@LauraLagersh___) 5. Oktober 2017
Drei Kilo Äpfel, Schokolade und ausländische Zeitschriften
Zur Crew gehört auch Seelsorgerin Helga Janssen. Mit einem Rucksack und zwei schweren Taschen beladen, kommt sie den Steg entlang gelaufen. An Bord lädt sie ihre Fracht ab: drei Kilo Äpfel, deutsche, tschechische und polnische Zeitschriften und mehrere Tafeln Schokolade. All das teilt sie anschließend in mehrere Tüten auf – in den kommenden Stunden wird sie sie an die Flussschiffer im Hamburger Hafen verteilen.
Damit führt das Team der „Flusi“, wie die Flussschiffer ihre Kirche liebevoll nennen, eine 150-jährige Tradition fort. „Wir fahren immer nah an die Schiffe heran und hupen, damit die Flussschiffer aus ihren Kajüten rauskommen“, sagt Janssen. Doch dabei bleibt es nicht: Häufig würden die Flussschiffer das Gespräch suchen und von ihren Sorgen erzählen: von Krankheit, Trennung bis hin zum Tod.
SEELSORGERIN HELGA JANSSEN ERZÄHLT VON IHRER ARBEIT:
Uwe Goele ist auch mit an Bord. Heute ist er der Skipper, an anderen Tagen fährt er die Barkasse oder ist als Seelsorger dabei. Der 72-Jährige ist in seiner Jugend zur See gefahren, war als Taxifahrer auf Hamburgs Straßen unterwegs und hat danach lange im Hafen gearbeitet. „Ich bin an der Alster groß geworden und habe mich am Wasser immer wohlgefühlt“, erzählt Uwe Goele.
Die Liebe zum Wasser verbindet die Besucher der Flussschifferkirche
Eine langjährige Besucherin des Gottesdienstes der Flussschifferkirche ist Gerda Goldmann. Ihre Schwiegereltern waren Schiffer und gingen regelmäßig zur Flussschifferkirche. Vor fast zehn Jahren ist sie dann mit ihrem Mann das erste Mal bei einem Schiffsgottesdienst dabei gewesen. Und kommt seitdem regelmäßig. „Ich finde die Verbindung von Hamburg und dem Hafen so toll hier“, sagt die 83-Jährige, „Das reizt auch die Touristen, die hierherkommen. Die sind immer begeistert, dass etwas Schwimmendes hier so existiert.“
Die Flussschifferkirche ist ursprünglich ein Frachtkahn gewesen. Anfang der Fünfziger wurde er nach den Plänen eines Architekten umgebaut und zur Kirche geweiht. Das 26 Meter lange Schiff wurde dabei entkernt und die Wände mit Holz vertäfelt. Im Hauptraum der schwimmenden Kirche stehen 130 Holzstühle, die auf den Altar und die Kanzel ausgerichtet sind. Auf der anderen Seite steht eine Orgel.
Die Kirchenbesucher schätzen die Besonderheiten der Flussschifferkirche: “Hübsch ist es an Weihnachten, wenn der Adventskranz von der Decke bammelt. Und wenn dann ein paar Wellen kommen, schwankt er. Das ist wirklich zauberhaft”, erzählt Gemeindemitglied Gerda Goldmann von der Atmosphäre an Weihnachten.
Da bekommt der Ausdruck “Kirchenschiff” eine ganz neue Bedeutung.