Zwei Wochen arbeiten und leben Frederic Naumann und seine drei Kollegen auf dem Schlepper “Wal”. Diese Schiffe sind unverzichtbare Dienstleister in jedem Hafen. Selbst wenn kein Auftrag ansteht, gibt es immer etwas zu tun.
An einer Pier auf der Schleuseninsel in Brunsbüttel schwimmt, zwischen vier stählernen Dalben, der Schlepper „Wal“ – ein schwarz-braun-weiß lackiertes Schiff der Hamburger Reederei Bugsier. Um auf das Deck zu gelangen, geht es mit sicherem Tritt über die Befestigung des Pfahls an die Außenseite der Reling, eine Gangway gibt es nicht. An diesem windstillen Tag bei ruhigem Wasser ist das Übersetzen auf das Schiff ein einfaches Hindernis.
Arbeit und Leben liegen dicht beieinander
Betrachtet man das Schiff von außen, bedarf es einiger Vorstellungskraft, dass vier Männer hier arbeiten und auch leben. Theoretisch könnten sogar zwölf Personen auf dem Schlepper schlafen, aber dann wird es in der Messe, dem Ess- und Wohnzimmer des Schiffes, sehr eng. „Viele Leute denken, wir würden nach Feierabend ins Hotel gehen oder nach Hause fahren“, erzählt Frederic Naumann, der vierzigjährige Kapitän der „Wal“. Dabei ist das Schiff für die vier Männer immer zwei Wochen am Stück Arbeitsplatz und zu Hause in einem.
Naumann schläft nicht nur in seiner Kammer, sondern nutzt das Zimmer auch als Büro. Durch zwei Bullaugen scheint Sonnenlicht, auf dem Tisch darunter steht der aufgeklappte Laptop und ein Telefon. In seinem Kleiderschrank lagert er neben den nötigsten Klamotten auch wichtige Akten für die Arbeit. Der Kapitän ist neben den nautischen Aufgaben auch für verwaltende Angelegenheiten zuständig und trägt die Verantwortung für die Sicherheit der Besatzung. „Ein extra Büro brauche ich aber nicht. Entweder erledige ich die Arbeit oben auf der Kommandobrücke oder eben in meiner Kammer.“
Die kleine “Wal” zieht mit einer Zugkraft von 46 Tonnen
Assistenzschlepper wie die „Wal“ sind aus keinem Hafen der Welt wegzudenken. Sie sind nötig, um deutlich größere Schiffe sicher von A nach B zu bringen. In Brunsbüttel sind die Arbeitsaufträge für die Schlepper-Crews besonders vielfältig: Mal wird ein Schiff nur zum Elbehafen Brunsbüttel begleitet, mal muss ein größeres Schiff bei stärkerem Wind für mehrere Stunden durch den Nord-Ostsee-Kanal bis nach Kiel gebracht werden. Durch die Lage Brunsbüttels an der Elbmündung sind theoretisch auch Aufträge auf der Nordsee möglich.
Bei einem Manöver sind zwei Schiffe mit einer Schleppleine aus Stahldraht verbunden. So kann der Schlepper das größere Schiff ziehen, bremsen oder von der Seite an die Kaimauer beziehungsweise in die Schleusenkammer drücken. Im Vergleich zu den Schiffen, die sie bei der Navigation unterstützen, sind die Schlepper sehr klein – aber klein und wendig, sie gelten als Kraftprotze. Die „Wal“ ist seit 1992 im Einsatz und zieht andere Schiffe mit einer Zugkraft von bis zu 46 Tonnen. Der Schlepper misst 31 Meter Länge, 10 Meter Breite und 5 Meter Tiefgang. Die größten Schiffe, die durch den Nord-Ostsee-Kanal fahren, sind bis zu 235 Meter lang und 32 Meter breit.
Kapitän im Blaumann
Während der Zeit an Bord versorgt sich die Crew komplett selber und geht zum Einkaufen in den nächstgelegenen Supermarkt. In der kleinen Küche, die komplett aus Edelstahl besteht, hat alles seinen Platz: Gewürze und Öle stehen im Regal hinter einer Schutzleiste, sodass bei Wellengang nichts herausfallen kann. An der Decke hängen Porzellantassen an kleinen Haken, damit auch sie nicht zu Bruch gehen, sobald das Schiff in Fahrt ist und schaukelt. Selbst die Tür der Waschmaschine wird mit kleinen Magneten an der Wand festgehalten, damit sie nicht auf- und zuschlägt. Bei dem sonnigen Wetter heute muss allerdings keiner der Männer lange in der Küche stehen: „Wir schmeißen später den Grill an“, freut sich Naumann und erzählt: „Meist wird an Bord sehr gut gegessen, denn schließlich erfordert die Arbeit auch viel Kraft. Um neben der Arbeit trotzdem in Form zu bleiben, versuchen wir ab und zu mal an Land joggen zu gehen.“
In der zweiwöchigen Schicht sind die Männer teilweise Tag und Nacht im Einsatz. „Gestern hatten wir mehrere Aufträge und waren erst um 01:30 Uhr zurück an der Pier“, erzählt Naumann. Für heute erwarten die Männer keinen Schleppauftrag, denn im Wachplan sind sie auf Platz Drei eingeteilt und die Wahrscheinlichkeit, dass sie damit an die Reihe kommen, ist gering. Trotzdem sind sie nach einem gemeinsamen Frühstück seit zehn Uhr fleißig, denn auf jedem Schiff gibt es genügend zu tun: Decksmann André Büder, Maschinist Daniel Kremer und Steuermann Emre Ucar sind in den Tiefen des Maschinenraums mit einer Reparatur beschäftigt. Dort ist die Luft feuchtwarm und es riecht nach Öl. Naumann ist zeitgleich mit einer Flex an Deck zugange. Dabei ist er nicht als Kapitän zu erkennen. Statt weißem Hemd mit Dienstgradabzeichen auf den Schultern trägt er einen roten Blaumann sowie Sicherheitsbrille, Mundschutz und Handschuhe. „Bei uns an Bord gibt es nicht mehr die starren Hierarchien wie auf größeren Schiffen oder unter älteren Kapitänen. Bei uns packt jeder mit an, und auch ich koche gerne und selbstverständlich mal für die Jungs“, sagt Naumann.
Bunte Knöpfe und schwarze Hebel
Wenn die „Wal“ in Fahrt ist, arbeitet Naumann zusammen mit Steuermann Ucar und Maschinist Kremer auf der Kommandobrücke und steuert von dort aus das Schiff. Den bunten Knöpfen und schwarzen Hebeln auf den Armaturen sieht man ihr Alter an. Gleichzeitig ist alles in gepflegtem Zustand und voll funktionsfähig. Nur einige Instrumente, zum Beispiel für die GPS-Funktion, wurden mit der Zeit nachgerüstet. Naumann lobt die 26 Jahre alte mechanische Technik: „Selbst, wenn der Strom ausfallen würde, könnten wir den Job noch zu Ende fahren. Ein großer Vorteil gegenüber der digitalen Steuerung.“
Bei einem Auftrag bekommen sie die Arbeitsanweisungen vom Lotsen an Bord des Seeschiffes. Dabei ist Deutsch die offizielle Reviersprache. Bislang gilt das in der Branche als wirksamer Schutz vor der Konkurrenz aus dem Ausland. Befürchtet wird, dass die Schlepperfirmen aus dem Ausland mit billigen Preisen auf den Markt drängen, wenn auch Englisch zur Reviersprache würde, wie es im aktuellen nationalen Hafenkonzept geprüft wird. Der Schleppermarkt in Nordeuropa ist bereits seit Jahren hart umkämpft. Das betrifft auch Naumanns Arbeitgeber. Seit November 2017 gehört Bugsier zum ehemaligen Konkurrenten Fairplay. Zusammen bringen es beide Firmen auf zirka 700 Beschäftigte.
Mittlerweile sind die Reparaturarbeiten abgeschlossen. Nach sechs Stunden kommen Büder, Kremer und Ucar aus dem Maschinenraum zurück. Den Feierabend haben sich die vier redlich verdient: „Ich gehe mal schnell duschen und dann gibt’s was Schönes zu Grillen“, sagt Büder.