Wie wirken sich Streaming-Dienste wie Netflix oder Amazon auf den Kinomarkt aus? In einer Diskussionsrunde beim Filmfest Hamburg ging es am Ende vor allem um die Chancen der Plattformen als Geschäftsmodell.
Bei den Filmfestspielen in Venedig hat Anfang September erstmals die Produktion eines Streaming-Dienstes den Wettbewerb gewonnen. Was das für die Kinowelt bedeutet, muss sich auch das Filmfest Hamburg fragen. Unter dem Titel “Premium-Content oder Abstellgleis? Filmauswertung auf SVoD-Plattformen” hatten die Deutsche Filmakademie und die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein im Rahmen des Filmfest Hamburg zur Diskussion eingeladen.
Wie sich Filmfeste zu “Subscription-Video-on-Demand”, kurz SVoD-Plattformen, wie Netflix oder Amazon Prime Video positionieren, ist spätestens seit vergangenem Jahr umstritten. Als zwei Netflix-Produktionen bei den Filmfestspielen in Cannes 2017 gelaufen waren, hatte es Buhrufe im Publikum gegeben. Bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes hatte Netflix dann seine Teilnahme zurückgezogen. Die französischen Veranstalter des Festivals wollten nur Filme zum Wettbewerb zulassen, die auch im Kino laufen würden.
Dem Angebot der Festivalleitung, die Filme “außer Konkurrenz” – also ohne Teilnahme am Wettbewerb – zu zeigen, stimmte der Streaming-Dienst nicht zu. Die Festivalleitung begründete den Ausschluss damit, dass Kinobetreiber mit Steuern den Kulturbetrieb in Frankreich ermöglichen und Netflix sich diesen Abgaben entziehe. Anfang September dieses Jahres ging dann der Goldene Löwe, die höchste Auszeichnung des Filmfestivals in Venedig, an die Netflix-Produktion “Roma”. Auch auf dem Filmfest Hamburg lief der Film.
Verdrängt Streaming das Kino?
“Wir sind auf der Seite der Filmemacher”, so Albert Wiederspiel, Leiter des Filmfestes Hamburg. Es gehe beim Filmfest Hamburg darum, Filme zu zeigen. “Wer die produziert, ist erstmal zweitrangig.” Auch ein Ende des Kinos befürchtet Wiederspiel nicht. “Kino ist ein Kollektiverlebnis, das immer noch gefragt ist.”
“Das Premiumerlebnis von Content findet weiterhin im Kino statt”, schloss auch Alfred Holighaus, Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO), sein Grußwort vor der Diskussion. Das Podium war – mit Ausnahme der Moderatorin Katja Eichinger – ausschließlich männlich besetzt. Die Gäste Tilmann Rautenstrauch von Studio Hamburg Enterprises, der Filmproduzent Reinhardt Beetz, Dirk Schürhoff vom Filmvertrieb Beta Cinema und Peter Schauerte von der Film- und Fernsehgesellschaft Warner Brothers lagen dann in ihren Meinungen auch gar nicht so weit auseinander.
“Kino wird immer eine Relevanz haben”, sagt auch Peter Schauerte. Man müsse aber die neuen Player im Blick haben. Der Kunde entscheide, SVoD-Dienste richten sich entsprechend darauf aus. “Die kreative Branche arbeitet in Deutschland anders”, sagte er. Auch laut Dirk Schürhoff liegt es am Zuschauer: “Der geht ins Kino oder eben nicht.” Junge Leute hätten mittlerweile ein anderes Sehverhalten. “Das hat auch etwas mit Erziehung zu tun”, so Schürhoff. In Deutschland sei Film ein kommerzielles Produkt, in Nachbarländern wie Frankreich jedoch ein künstlerisches Gut.
Tatsächlich hat der Anteil junger Menschen am Kinopublikum laut einer Erhebung der deutschen Filmförderungsanstalt (FFA) in den vergangenen fünf Jahren abgenommen. Während 2012 noch 51 Prozent des Publikums unter 34 Jahre alt waren, waren es im Jahr 2017 nur noch 46 Prozent. Vor allem die Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen ist innerhalb der vergangenen fünf Jahre weniger ins Kino gegangen. Laut FFA ist das Durchschnittsalter des Kinopublikums von 36,4 Jahren in 2012 auf 37,9 Jahre im vergangenen Jahr gestiegen.
Neue Vermarktungsmöglichkeiten für Filme
Trotz dieser Entwicklungen sahen die Diskutanten auf dem Podium überhaupt keinen Grund zur Sorge für die deutsche Kino- und Filmbranche. Schürhoff denkt, dass durch SVoD-Plattformen die Vielfalt größer werde. Im amerikanischen Netflix seien viele deutsche Produktionen zu finden, die in US-Kinos gar nicht angelaufen seien. “Durch SVoD kommen Filme auch in Länder, in denen deutsche Filme vorher keinen Kinoerfolg hatten. Das ist für Filmschaffende keine schlechte Situation”, argumentierte auch Schauerte. So könne durch SVoD-Portale der Geschmack des Publikums in Zukunft noch besser getroffen werden.
Dass in Deutschland die Angst vor Streaming-Portalen als Konkurrenz für Kinos noch unberechtigt ist, zeigen auch die Zahlen der FFA. Demnach ist der Umsatz von Kinos zwischen 2012 und 2017 sogar gestiegen. SVoD-Dienste machen eher dem Online-Videoverleih und dem DVD-Markt den Umsatz streitig.
Am Ende waren sich die Männer auf dem Podium einig: SVoD-Plattformen sind eine Chance für die Filmbranche und bieten Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle. Die Argumente waren nachvollziehbar, der Diskussionsverlauf erwartbar. Auf dem Podium fehlte eine Person, die nicht nur mit Wirtschaftlichkeit argumentiert, sondern auch hinterfragt, welche Folgen die Entwicklung für Kultur und Gesellschaft hat – dann wäre es vielleicht auch eine echte Debatte geworden.