Bei Bridge and Tunnel bekommen nicht nur Menschen eine zweite Chance, sondern auch Jeansreste aller Art. FINK.HAMBURG hat mit den beiden Gründerinnen über ihr Social Business und die Zukunft der Modeindustrie gesprochen.
Bridge and Tunnel ist ein Upcycling Label, das aus altem Denim neue Accessoires, Outdoor- und Einrichtungsartikel fertigt. Die Jeansreste werden zu Taschen, Teppichen und Turnbeuteln. Hanna Charlotte Erhorn (Lotte) und Constanze Klotz (Conny) haben das Hamburger Start-up am Veringkanal in Wilhelmsburg vor drei Jahren gegründet. Im Interview hat FINK.HAMBURG mit den beiden über die Entstehung des Labels, Fair Fashion und die Herausforderungen eines Social Business gesprochen.
Wie habt ihr euch zusammengefunden?
Conny: Ich bin Kulturwissenschaftlerin und komme aus dem Projektmanagement. Lotte ist Textildesignerin. Wir hatten vorher eine andere Geschichte, ohne die wir das Label nie hätten. Wir befinden uns hier im Coworking Space Stoffdeck für Mode und Textil. Den haben wir vor sechs Jahren gegründet.
Der Coworking Space heute
Das Stoffdeck hat Einzelateliers. Die werden von Designer*innen und Kund*innen gemietet, die die Werkstatt dann außerhalb der Teamarbeitszeit zum Beispiel für Siebdruck nutzen.
Lotte: Eigentlich hatten wir den Coworking Space als offenes Stadtteilprojekt für Leute gedacht, die keine Nähmaschine zuhause haben und hier zum Nähen herkommen können. Es gab unter anderem eine Gruppierung, die sich nicht bei jemanden zuhause getroffen hat, sondern immer in der Moschee. Dort haben sie wahnsinnig schöne Sachen genäht. Und da haben wir gesagt, das könnt ihr doch auch bei uns machen.
Wie kam es dann zur Gründung des Labels Bridge and Tunnel?
Conny: Wir hatten dann zweierlei Aha-Momente. Zum einen: Diese Leute sind wahnsinnig talentiert. Warum machen sie das nur in ihrer Freizeit? Zum anderen: Sie haben Zeit mittwochvormittags zu einem Nähkurs zu kommen, weil sie alle keine Arbeit haben. Und das schon seit vielen Jahren. Da haben wir gesagt: Es kann doch nicht sein, dass man immer nur Jobs findet, weil auf irgendeinem Zeugnis steht ‘Ich kann nähen’. Es muss doch möglich sein, diesen Menschen einen Job zu geben. Denn sie konnten offensichtlich etwas sehr sehr gut – nämlich nähen.
“In deutschland wird nur eine deutsche ausbildung akzeptiert”
Lotte: Auf dem Zeugnis stand aber: ‘nicht vermittelbar’. Nur vier Jahre Grundschule und seitdem keine weiterführende Bildung mehr genossen. Und vor allem: keine Ausbildung in Deutschland. In Deutschland wird oft nur eine deutsche Ausbildung akzeptiert.
Conny: Deutschland ist einfach krass zeugnisverliebt. Seitdem ist das Credo für uns: Talent over Diploma. Wir wollten ein Label gründen, das Menschen mit so einem Talent in Arbeit bringt. Wir haben im Wilhelmsburger Wochenblatt einen Aufruf gestartet und wollten vier Leute einstellen. Es haben sich 60 Leute beworben. Wir haben total einen Nerv getroffen.
Wie habt ihr eure jetzigen Mitarbeiter*innen gefunden?
Das Team
Die zwölf Mitarbeiter*innen inklusive der zwei Gründerinnen von Bridge and Tunnel kommen alle aus Hamburg, zwei von ihnen direkt aus Wilhelmsburg. Sayed Mohabatzadeh ist der einzige Mann.
Lotte: Einige von ihnen haben uns gefunden, einige blieben nach ihren Praktika bei uns. Wir haben Praktika für Menschen mit Fluchthintergrund angeboten. Wir glauben, dass handwerkliche Tradition, gerade in den Ländern, aus denen aktuell Geflüchtete kommen, einen viel höheren Stellenwert hat, als in Deutschland. Ansonsten haben wir über die Jahre immer bessere Kontakte zu Jobcentern hergestellt, die in ihrer Betreuung nochmal intensiver gucken, ob sie jemanden in ihrer Kartei haben, der zu uns passen könnte.
Hat denn eine von euch BWL studiert, um ein Unternehmen gründen zu können?
Conny: Wir haben uns ganz viel selbst beigebracht. Es ist eine spannende Herausforderung, ein Social Business zu gründen. Du führst eigentlich zwei Unternehmen auf einmal. Wir sind eine gemeinnützige GmbH, weil wir Menschen einstellen, die sonst Schwierigkeiten haben, Arbeit zu finden. Das ist die Daseinsberechtigung unserer Firma. Wir zahlen tarifliche Löhne und um die sicherzustellen, müssen wir unsere Produkte am Markt verkaufen. Und wir machen das mit Hilfe von Design. Andere Fashion-Unternehmen wollen ein reines Wirtschaftsprodukt. Ich glaube, man kann gesamtgesellschaftlicher denken. Und wo man nicht weiterkommt, da holt man sich Hilfe.
Wie finanziert ihr euer Social Business?
Conny: Zur Gründung von Bridge and Tunnel haben wir 250.000 Euro über Fundraising beschafft. Am 1. Juli 2016 haben wir dann mit den Mitarbeitern Bridge and Tunnel gelauncht. Wir zahlen auch uns von Beginn an Gehälter aus.
Lotte: Für die Gründung vom Stoffdeck haben wir damals eine Anschubfinanzierung vom Stadtteilentwicklungsprogramm der Internationalen Bauausstellung (IBA) bekommen, bei der Conny gearbeitet hatte. Wir haben von unserem Beschäftigungsträger (Passage gGmbH), zu dem wir immer noch gehören, die Industriemaschinen bekommen. Da kostet eine neu circa 1.200 Euro.
Conny: Bei einem Social Business sagt man, dass man sieben Jahre bis zum Break-even braucht. Das heißt, wir haben nicht einmal die Hälfte. Deswegen ist uns die Wirtschaftlichkeit so wichtig. Aber das ist ein ganz schöner Eiertanz. Die Szene blüht, aber wir sind eben kein rein wirtschaftlicher Betrieb. Nicht alles was wir machen, lässt sich monetisieren. Wenn unsere Mitarbeiter*innen eine Wohnung suchen, bezahlt kein Kunde dafür.
Warum habt ihr euch für Denim entschieden?
Was ist Upcycling?
Upcycling (dt. Aufverwertung) meint das Umwandeln von Abfallstoffen oder nutzlosen Materialien in neuwertige Produkte.
Lotte: Erstmal, weil Denim mega schön ist. Blautöne passen immer gut zusammen. Außerdem ist auch immer sehr viel davon vorhanden. Es landet auch wahnsinnig viel Denim in der Altkleidersammlung. Je universeller ein Material ist, desto einfacher ist es, Nachschub zu bekommen.
Conny: Aber es begrenzt uns auch. Das Thema Upcycling am Körper ist ein anderes. Wir haben mit Fashion herumexperimentiert und gemerkt, dass es für Leute nicht so eine Hemmschwelle ist, einen Rucksack aus Used-Denim zu tragen. Aber wenn du es direkt am Leib trägst, ist das Gefühl anders. Deswegen fertigen wir Pullis und Blousons, da trägst du meistens auch was drunter.
Könnt ihr euch als Fair-Fashion-Business vorstellen, eure Ware auch aus anderen Ländern zu beziehen?
Woher kommen die Jeans?
Bridge and Tunnel bekommt bereits getragene Jeans hauptsächlich von Kleiderkammern. Darunter die Kleiderkammer Wilhelmsburg und Hanseatic Help. Aber auch private Spenden werden wöchentlich per Post zugeschickt.
Conny: Da sprechen wir wieder über die CO2-Bilanz. Wenn Leute von außen auf ein Fair-Fashion-Business schauen, erwarten sie, dass du zu hundert Prozent alles richtig machst. Aber das ist die falsche Herangehensweise. Erstmal ist es unrealistisch und es macht auch keinen Spaß. Das Material kann nicht durch Klatschen von A nach B kommen. Für uns ist aber glasklar, dass jeder sein Bestes gibt, weil wir den Kern der Modeindustrie verändern wollen.
“Es müsste ganz klar politische auflagen geben.”
Glaubt ihr, dass Slow und Fair Fashion die Zukunft der Modebranche sind?
Was ist Slow Fashion?
Slow Fashion ist das Gegenteil von Fast Fashion und steht für das bewusste Einkaufen von Mode.
Conny: Im Durchschnitt kaufen die Deutschen 60 Kleidungsstücke im Jahr. Das ist ganz schön viel. Wenn du dann nur Fair Fashion kaufst, aber weiterhin 60 Teile, dann läuft doch was verkehrt. Du bist doch kein besserer Konsument, wenn du Qualität shoppst, aber an der Quantität nichts änderst.
No Sales Ever
Bei Bridge and Tunnel gibt es keine Sales. Die Produkte sind über das Jahr immer gleich viel wert. Durch die Produktionsbedingungen wäre die Marge nicht groß genug, die Preise reduzieren zu können. Deshalb gibt es auch keine Kollektionsware.
Lotte: Viele große Fast-Fashion-Häuser merken, dass es anscheinend interessant ist, was aus nachhaltigen Materialien zu machen.
Conny: Ja, weil es jetzt ein Trend ist. Die Frage ist, fassen sie das als Trendprodukt auf, oder ist es eine ernst gemeinte Strategie?
Lotte: Da sind wir auch wieder bei der Frequenz. Kann sowas ernst gemeint sein, wenn ein Label trotzdem 50 Kollektionen im Jahr beibehält? So geht das irgendwie nicht weiter.
Conny: Es müsste ganz klar politische Auflagen geben, die beispielsweise sagen: Dort sind gewisse Mindestlöhne und Arbeitsstandards ein Muss und gewisse Textilien sind nicht mehr erlaubt. So würden automatisch eine höhere Qualität und kleinere Stückzahlen entstehen.
Meint ihr, dass Upcycling zum Standard in der Modebranche wird?
Lotte: Ich glaube das ist nach wie vor eine Nische. Man ist noch nicht soweit zu sagen: Es gibt im Grunde genug Material auf der Welt, wir müssen es nur zirkulieren. Dafür sind auch die Technologien zum Teil noch nicht vorhanden. Es wäre toll, wenn es wirklich gute Technologien gäbe, um aus alten Stoffen neue Garne zu spinnen, die dann auch haltbar sind. Soweit ist es aber noch nicht. Aber ich glaub schon, dass das kommt. Solange bleibt das eine Nische, die aber durch sehr interessante Firmen schon besetzt wird.
Werden eure Produkte auch von jüngeren Kund*innen gekauft?
Lotte: Die hochpreisigen Artikel, die man vielleicht nicht so impulsmäßig kauft, sind eher für eine qualitätsbewusste ältere Zielgruppe. Das sind die Leute, die Handwerk und Qualität zu schätzen wissen.
Conny: Das kann man steuern. Durch unseren Produktionsaufwand ist klar, dass unsere Produkte nicht 50 Euro kosten können. Wir versuchen aber, unsere Produktionsprozesse zu optimieren, sodass manche Produkte schneller und auch ein bisschen günstiger produziert werden können. Bei uns ist zwar das Material umsonst, aber die Materialaufbereitung aufwendig: Waschen, Schnittteile anpassen und Material komponieren.
Lotte: In der Fabrik muss keiner viel nachdenken. Bei uns ist wirklich Womanpower gefragt. Wir finden es nach wie vor aussichtslos, mit der Billiglohn-Industrie in Konkurrenz treten zu wollen.
Conny: Wir können nicht billig und wir wollen auch nicht billig. Wir sind nicht zu teuer, sondern konventionelle Mode ist zu günstig.
Auch in Bangladesch sitzen echte Menschen an den Maschinen. Die seht ihr nur nicht.
Glaubt ihr, dass die Menschen genau vor diesen Bedingungen in der Billiglohnindustrie die Augen verschließen?
Lotte: Ja. Über alles was sehr weit weg ist, muss man sich nicht ganz so viele Gedanken machen. Hier bei uns ist es interessant für Leute tatsächlich so nah dran an der Produktion zu sein. Es gibt ein gesteigertes Interesse der Konsumenten, zu sehen, wo Sachen herkommen. Sie denken: Ach, da sitzen echte Menschen an den Maschinen. Sehr interessant. Wir müssen dann auch sehr häufig sagen: Auch in Bangladesch sitzen echte Menschen an den Maschinen. Die seht ihr nur nicht.
Warum habt ihr euch Wilhelmsburg als Standort ausgesucht?
Conny: Wilhelmsburg ist wichtig. Wir heißen Bridge and Tunnel, weil man nur über Brücken und durch Tunnel zur Werkstatt kommt. Und weil wir auch im übertragenden Sinne Brücken bauen wollen. Also ist der Ort entscheidend für den Labelnamen. So einen Coworking Space in Wilhelmsburg zu machen, war eine bewusste Entscheidung. Es ist ein Stadtteil, der sehr international ist.
Was zeichnet Bridge and Tunnel aus?
Conny: Man kann die Geschichte von Bridge & Tunnel auch schön als Geschichte der Wiedergeburt erzählen. Menschen bekommen bei uns Arbeit, wenn alle anderen sie schon abgeschrieben haben. Und Jeansreste, die eigentlich als untragbar oder zerrissen gelten, bekommen bei uns eine zweite Chance, indem wir aus ihnen ein neues Design fertigen.
Bridge and Tunnel Designs könnt ihr im Online Shop, sowie in 27 Läden in Deutschland und Dänemark kaufen. In Hamburg findet ihr Bridge and Tunnel Produkte hier:
- Rosenblatt und Fabeltiere auf dem Kiez
- Schön und ehrlich in Winterhude
- Clue in Eppendorf
- Walker in Ottensen
- Captain Svenson in der Sternschanze
- Quiddje in Wilhelmsburg
Für Studenten bietet Bridge and Tunnel auch mehrmonatige Praktika an.
Titelfoto: Laura Bieler