Ein Haustier nimmt die Einsamkeit, besonders während der Corona-Pandemie. Doch gerade in dieser Zeit brauchen sie auch Schutz und Hilfe, wenn ihre Halter*innen in finanzielle Not geraten. Ein Nachmittag bei der Tiertafel.
Eine Katze die während des Online-Meetings auf dem Schoss liegt, ein Hund der das Homeoffice durch Gassirunden unterbricht: Gerade während der strengen Kontaktbeschränkungen Anfang März nahmen Haustiere eine ganz besondere Rolle im Alltag vieler Menschen ein. Die Coronakrise führte nicht nur zu spontanen Tierkäufen sondern brachte manche Tierhalter*innen auch in eine finanzielle Schieflage.
Es ist heiß an diesem Mittwochnachmittag. Die Sonne brennt auf die Wartenden vor der Tiertafel Hamburg herab. Schweißperlen stehen den Menschen auf der Stirn, die vorn an der Schlangenspitze stehen. Eine Dame mit großer Tasche hält sich einen Regenschirm über den Kopf. Zwei große Hunde liegen im Schatten eines Autos und dösen. “Der nächste bitte”, ruft eine blonde Frau, die hinter ihrem Laptop sitzt. Ein Herr mit mehreren leeren Stoffbeuteln zeigt sein Kundenkärtchen vor, wirft einen Euro in das Tongefäß vor sich und tritt an die lange Tischreihe. Die Schlange rückt auf.
Ein Haustier als Familienmitglied
Weiter hinten und noch im Schatten geht auch Kendra ein paar Schritte nach vorn. Neben ihr flätzen Turbo und Azadî, ihre Hunde. Beide stammen aus einem spanischen Tierschutzverein. Vor sechs Jahren ist Kendra aus Spanien für die Arbeit nach Deutschland gekommen: “Erst war ich in Niedersachsen. Vor zwei Jahren bin ich nach Hamburg gezogen, weil es hier leichter Arbeit für mich gab.” Das ihre Haustiere mit ihr auswandern, war eine Selbstverständlichkeit. “Ich habe Deutsch erst hier gelernt und meine Hunde haben mir sehr geholfen in den ersten Jahren, rauszugehen und Leute kennen zu lernen.” In Hamburg lebt sie nun auf einem Wohnwagenplatz: finanziell günstig und für die Hunde viel Platz zum austoben. Zu den Futterausgaben der Tiertafel kommt sie seit knapp einem Jahr. Turbo und Azadî sind für Kendra Familienmitglieder. Dass es ihnen an nichts fehlt, ist ihr wichtig: “Wir gehen jeden Tag ein bis zwei Stunden im Volkspark Gassi. Ich versuche mit Azadî auch Fahrrad zu fahren, aber sie ist einfach zu faul.”
Die Tiertafel-Hamburg e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der seit 2015 Menschen in finanzieller Notlage bei der Versorgung ihrer Haustiere unterstützt. Alle zwei Wochen werden Futter und Zubehör ausgegeben. Auch ein Tierarzt ist dabei vor Ort und kümmert sich um die Gesundheit der Vierbeiner.
Von der Pandemie hat Kendra nicht viel mitbekommen. Schon früher ist sie nur einmal in der Woche einkaufen gegangen. Sie lebt zurückgezogen. “Nur am Volkspark habe ich es gemerkt. Dort war es leerer als sonst.”
Tiertafel trotzt Corona
Im Gegensatz zu vielen anderen Einrichtungen hat die Tiertafel Hamburg auch während der strengen Pandemieauflagen durchgängig geöffnet. Rund 600 Haustiere werden derzeit von den Helfer*innen versorgt: Vor allem Hunde und Katzen, aber auch Nager und vereinzelt Vögel. Durch eine Kooperation mit der Hamburger Tafel e.V. geben die Ehrenamtlichen nicht nur Tierfutter, sondern auch Nahrungsmittel für die Besitzer*innen aus. “Die Tafel kann viele ihrer Ausgaben gerade nicht machen, weil unter den Helfern so viele Risikopatienten sind. Deshalb können wir den Kunden viele gepackte Tüten mitgeben”, erklärt Lotte, sie ist bei der Tiertafel mit für die Organisation zuständig.
Mehr Stamm- als Neukund*innen während Corona
Durch die Corona-Krise hat die Tiertafel mehr Bekanntheit erlangt, besonders viele Neukunden gebe es jedoch nicht. “Es gibt keine Futterausgabe, an der ich keine Gespräche zur Aufnahme führe. Das liegt aber nicht an Corona. Oft ist die Allgemeinsituation, in der die Menschen sich befinden, der Grund.”, erzählt Sandra. Die Koordination der Neuanmeldungen ist ihre Aufgabe. Allerdings gäbe es immer wieder Fälle in denen ehemalige Kunden wiederkommen, weil sie corona-bedingt gekündigt worden sind. Dort ist dann auch Sozialarbeit wichtig, wie Sandra erzählt: “Es ist nicht nur Hilfe für Tiere. Wir helfen hier definitiv auch den Menschen. Viele wollen mit uns klönen und erzählen, was so neues passiert ist. Das ist schon schön an der Arbeit hier.” Sie lächelt breit.
Auch wenn das Team der Tiertafel immer ein offenes Ohr hat – es gibt Dinge, bei denen es keinen Raum für Diskussionen gibt. “Wir haben hier auch gewisse Spielregeln. Dazu zählt, dass das Haustier angeschafft worden sein muss, bevor der Besitzer in Not geraten ist. Wir versorgen auch keine Jungtiere unter einem Jahr. Die können noch sehr gut weitervermittelt werden.”, erklärt Lotte. Sandra ergänzt: “Wer bei uns Kunde ist, darf sich auch kein neues Tier anschaffen. Das muss man sich vorher überlegen, dass ein Tier Geld kostet.” Für die Tiertafel bedeutet das auch Schutz vor jahrelangen Kosten. Denn im schlimmsten Fall sind die Besitzer*innen das Tierleben lang auf die Tiertafel angewiesen. Hunde und Katzen können 16 Jahre alt werden. Die Tiertafel will nur ein temporäres Hilfsangebot sein.
Mehr Adoptionswünsche im Hamburger Tierheim
Damit Einrichtungen wie die Tiertafel nicht in Ausnahmesituationen wie der Coronakrise überrannt werden, gilt es bei dem Verkauf und der Vermittlung von Tieren genau hinzusehen. Besonders in der Coronazeit sehnen sich Menschen nach tierischer Gesellschaft. Das bestätigt auch Sven Fraaß, Pressprecher des Hamburger Tierschutzvereins. “Tatsächlich kriegen wir in der Coronazeit mehr Anfragen, weil die Leute jetzt die Zeit haben, ein Tier an sich zu gewöhnen beziehungsweise erst auf die Idee kommen, eines aufzunehmen.” Haustiere vermittelten soziale Nähe. Zwar anders als Menschen, aber es nimmt ein Stück weit die Einsamkeit. Dies bestätigen ihm auch Ehrenamtliche, die sich unter Pandemieauflagen weiter für den Verein engagieren und mit Hunden Gassi gehen.
Der Hamburger Tierschutzverein e.V. beschäftigt rund 100 Mitarbeiter*innen im Tierheim in der Süderstraße. Es ist das zweitgrößte Deutschlands. Zu dem Tierheim gehört auch eine Hundeschule und eine Wildtierstation.
Keine Haustiervermittlung auf Zeit
Jedoch wird nicht nach jeder Anfrage auch ein Tier vermittelt. Von Anfang März bis Mitte Juni diesen Jahres wurden 628 Tiere in private Hände abgeben. Im gleichen Zeitraum waren es 2019 sogar 648. Gerade jetzt werden Interessent*innen auf ihre Absichten geprüft: Hören die Mitarbeiter*innen des Tierheims heraus, dass jemand aus Langeweile oder temporärer Einsamkeit ein Haustier haben möchte, wird von einer Vermittlung abgesehen. Auch Abgaben auf Zeit, an Menschen, die gerade im Homeoffice arbeiten, finden nicht statt. Denn das bedeutet Stress für die Tiere.
Der Tierbestand ist im Hamburger Tierheim trotz weniger Vermittlungen gesunken. Das liegt an vermehrten Umzügen der Bewohner, wie Fraaß erzählt. Während der Pandemiezeit sind 320 von ihnen in andere Tierschutzeinrichtungen verlegt worden, die mehr Platz haben und die Tiere womöglich besser vermitteln können. Das passiert zum Beispiel bei besonders scheuen Katzen. Diese stammen nicht selten aus ausgesetzten Würfen unerwünschtem Nachwuchs, die das Tierheim aufgenommen hat. Ziehen diese in ländliche Heime um, ist die Chance auf eine Adoption höher. “Dort leben Menschen, die eine Katze haben wollen, die auf dem Hof lebt und selbständiger ist. Hier in der Stadt werden eher Wohnungskatzen gesucht.”, begründet Fraaß die Umzüge.
Neue Abläufe durch Corona
Die Pandemie hat einige Abläufe im Hamburger Tierheim verändert. Vor allem in der Vermittlung der Tiere. Früher waren spontane Besuche möglich, heute geht das nur mit Termin. Wer Interesse an einer Adoption hat, muss sich zunächst durch das Online-Register auf der Webseite klicken und sich gezielt für ein Tier melden. Bei einem ersten Treffen werden alle Fragen zwischen zukünftigen Besitzer*innen und Tierpfleger*innen geklärt und es findet ein erstes Kennenlernen mit dem Tier statt. Das Tierheim hat damit laut Fraaß vor allem positive Erfahrungen gemacht: “Es wirkt im ersten Moment nach mehr Arbeit. Aber durch die getaktete Vermittlung läuft es geordneter, effizienter ab. Wir denken darüber nach, das Vermittlungskonzept nach Corona anzupassen.”
Keine Angst vor Corona-Übertragung
Dass Menschen ihr Tier beim Tierschutzverein abgeben mussten, kam nicht häufiger vor als sonst. Trotzdem rechnen die Mitarbeiter*innen mit einem Anstieg an ausgesetzten Tieren während der Sommerferien. Zu den Tieren, die nicht in den Familienurlaub mitkommen, könnten in diesem Jahr auch Tiere kommen, die während der Corona-Zeit unüberlegt im Netz über privater Anbieter*innen gekauft wurden. Dieser Boom zeige auch, dass zu keiner Zeit die Angst vor einer Corona-Ansteckung durch das Haustier bestand. “Diese Fälle sind uns bekannt, aber sie sind sehr selten. Der Mensch muss nicht Sorge haben sich durch sein Tier zu infizieren.”, sagt Fraaß. Er weist auf die neue Corona-Meldepflicht bei Haustieren hin. Wer häufiges Niesen und schweres Atmen bei Katze oder Hund feststellt, soll sein Tier testen lassen. Positive Ergebnisse müssen den Veterinärbehörden gemeldet werden.
Fotos: Aniko Schusterius
Corona, die perfekte Zeit um sich ein Haustier anzuschaffen?
- Überprüfe die Grundvorraussetzungen: Hast du genug Zeit und finanzielles Budget um dir eine*n tierischen Mitbewohner*in anzuschaffen? Erlaubt dein*e Vermieter*in Tiere? Denke darüber nach, wer dein Tier versorgt, wenn du einmal länger nicht daheim bist.
- Du möchtest ein Tier aus dem Tierheim adoptieren? In Hamburg kannst du das im Hamburger Tierschutzverein und dem Franziskus-Tierheim tun. Informiere dich vorab über die Abläufe einer Vermittlung.
- Es soll ein Welpe von einer*m Züchter*in sein? Vergleiche mehrere Züchter*innen am besten mit einer Checkliste, um seriöse von unseriösen zu unterscheiden.
- Du hast bereits ein Haustier und bist in einer finanziellen Notsituation? Lass dich bei der Tiertafel über ihr Angebot beraten.