Eine Welt ohne Smartphones und Tablets? Unvorstellbar, wie die vergangenen Monate gezeigt haben. Online wird kommuniziert und informiert. Doch was ist mit älteren Menschen, die nicht digital aufgewachsen sind? Der Verein Wege aus der Einsamkeit e.V. kümmert sich um sie.
Ursprünglich verfolgte Dagmar Hirche, Gründerin des Vereins Wege aus der Einsamkeit e.V. in Hamburg, ein ganz anderes Ziel: das Image des Alters aufbessern. In ihren Augen hat die Gesellschaft ein viel zu negatives Bild vom Altsein in Deutschland. Deshalb organisiert die Initiative seit 2007 bundesweit Ausflüge für Senioren*innen und Diskussionsrunden über das Alter. Doch 2015 stellte sie noch ein weiteres Problem fest: Die Welt wurde immer digitaler. Um im Alter langfristig den Anschluss nicht zu verlieren, müssen laut Hirche auch Senioren*innen digital ausgebildet werden. Aber für die ältere Generation fehlte das entsprechende Angebot. “Was keiner macht, machen wir”, dachte sie sich und seitdem bringt sie Senioren*innen das “1×1 der Tablets und Smartphones” bei.
Normalerweise schult Hirche ihre Teilnehmer*innen vor Ort. 6.500 Senioren*innen nutzten das Angebot des Vereins bereits. Doch dann kam die Corona-Pandemie. “Das hat uns hundertprozentig ausgebremst”, sagt Hirche. Daraufhin verlegte der Verein die Angebote auf die Online-Konferenzplattform Zoom. Dazu drehte Hirche zuhause Erklärvideos, die sie dann auf die Website des Vereins und auf Youtube stellte. In den Videos zeigt sie Schritt für Schritt, wie die Teilnehmer*innen Zoom auf ihren Tablets und Smartphones nutzen können. Die erste “Versilberer-Zoom-Runde” startete im März. 30 Senioren*innen aus ganz Deutschland nahmen teil.
Senioren*innen machen Party – digital
Das Feedback sei großartig gewesen, sodass der Verein die Zoom-Treffen dann täglich angeboten hätte. “Ab und zu wurde durcheinandergeredet oder ein Mikro war stumm. Aber man sieht sich gegenseitig, hat Spaß und lacht miteinander, was so wichtig ist”, berichtet Hirche und erklärt: “Alleinstehende Personen waren zuhause völlig isoliert und die Runden haben ihnen eine Struktur in den Alltag gebracht.” Zu den Routinen zählten sonst Sport, die Chorprobe oder auch das Gespräch an der Kasse beim Einkauf.
Nach zwei Wochen intensiver Zoom-Schulung erweiterte der Verein deshalb das Programm: Spielrunden mit Stadt, Land, Fluss oder Mensch ärgere dich nicht, Sitzyoga und Lesungen von Autoren*innen. Zum Beispiel besuchte das Landeskriminalamt die Senioren*innen digital. Auch eine Rechtsanwältin informierte die Senioren*innen über Vorsorge und Vollmachten. Inzwischen steht sogar Feiern regelmäßig auf dem Programm: Bei den “Versilberer-Partys” tanzen 30-50 Senioren*innen vor dem Bildschirm, äußern Musikwünsche und stoßen mit Sekt online an.
Digitales Wissen für die ältere Generation
Damit die Senioren*innen auch weiterhin fit bleiben im Umgang mit Smartphone und Tablet, bleiben Mittwoch und Samstag für Digital-Schulungen reserviert. Zwischen 15 und 50 Gäste im Alter von 65 Jahren oder älter seien online dabei. Hirches ältester Teilnehmer war 94 Jahre alt. Die meisten seien jedoch Frauen. “Das liegt zum Teil an den eher traditionellen Ehen in der Generation. Die Männer sind älter und versterben früher”, sagt Hirche und fügt hinzu: “Frauen sind kommunikativer und wollen das Digitale dann auch lernen.” Die Männer würden aber stark nachziehen. “Neulich hatten wir fünf Männer unter 35 Leuten. Das war auffällig”, so Hirche.
Beliebte Apps
In den Schulungen zeigen die Ehrenamtlichen des Vereins alles von Anfang an: Handy aufladen, Selfies machen, Apps herunterladen. Whatsapp sei am beliebtesten. “So können die Teilnehmer*innen mit ihren Enkeln kommunizieren oder einfach mal ein Foto verschicken”, erklärt Hirche. Danach folgen die Apps der öffentlichen Verkehrsmittel, Google Maps, die Toilettenfinder-App und die Audio- und Mediatheken von ARD und ZDF.
Laut einer Studie der Bertelsmann Stifung, “Digitale Kompetenzen im Alter”, schätzen 50 Prozent der 60 bis 69-Jährigen ihre Kenntnisse im Bereich digitaler Technologien und dem Internet eher gut bis sehr gut ein. Bei den über 70-Jährigen sind es nur noch 36 Prozent. Umso wichtiger ist es dem Verein, alle Interessen der Senioren*innen zu besprechen. Deshalb werden auch aktuelle Themen geschult, wie der Umgang mit Fake-Shops oder das Erkennen von Fake-News. Auch die Corona-App sei bei den Teilnehmer*innen sehr gefragt gewesen. “Die Teilnehmer haben schon Tage davor gefragt, wann wir denn endlich die App durchgehen”, sagt Hirche.
Reisen und Kultur in der Digital-Welt
Neue Teilnehmer*innen sind nicht immer selbst engagiert, oft rufen die Kinder oder Enkel beim Verein an und schicken ihre Verwandten zu den Seminaren. “Es kann schon mal sein, dass jemand nur dem Enkel zuliebe zu uns kommt.” In solchen Fällen versuche sie die Personen abzuholen und fragt: “Was finden sie schade, das sie heute nicht mehr machen können, weil sie alt sind?” Meistens würde die Antwort dann auf das Reisen oder Kulturbesuche fallen. Dann zeige sie ihnen genau diese Möglichkeiten in der digitalen Welt: Online-Museumsbesuche, Live-Streams von Konzerten oder der Bundesliga. Die Gründerin holt sie so am “Kern ihrer Probleme” ab und biete ihnen die Lösungen.
Manche Senioren*innen haben Angst vor der unbekannten Welt des Internets, so Hirche. Andere würden sich bewusst entscheiden, im Alter nichts mehr lernen zu wollen. Diese Einstellung findet Hirche problematisch. “Die digitale Welt wird sich nicht mehr zurückdrehen lassen, sie wird immer digitaler und irgendwann bleiben die Älteren dann auf der Strecke”, erklärt sie und sagt: “Aber das sind erwachsene Menschen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen.”
Altersarmut: Für WLAN und Tablets fehle das Geld
Doch es gibt noch ein gravierendes Problem: Die Altersarmut. “Was ist denn mit den Menschen, die sich das nicht leisten können, weder Hardware, noch WLAN für zuhause?”, fragt Hirche. Bei Personen, die 65 Jahre oder älter sind, liegt die Armutsgefährdungsquote nach Sozialleistungen in Deutschland bei 16 Prozent, wie das Statistische Bundesamt im Februar 2020 mitteilte. Die Preise für ein Tablet liegen bei 150 Euro aufwärts. Geld, das älteren Menschen oft fehlt, weiß Hirche.
Die Welt wird digital, doch Schulungen fehlen
Online-Banking gab es schon vor Corona. Doch seit der Pandemie haben immer mehr Einrichtungen ihre Angebote ins Internet verlagert. Insbesondere die digitalen Sprechstunden von Ärzt*innen seien von vielen als ideal für die ältere Generation angesehen, so Hirche. Barrieren wie Transportwege könnten so überwunden werden. Neben den Chancen kritisiert die Vereinsgründerin die neuen Angebote aber auch. “Wer schult die ältere Generation? Wer stellt ihnen die Technik zur Verfügung?”, fragt sie sich und erklärt: “Wenn die Banken zumachen, dann müssen sie digitale Online-Schulungen machen. Wenn die Behörden sagen ‘Terminvereinbarung nur noch digital’, dann muss es Schulungen dafür geben. Auch bei Ärzt*innen in der Telemedizin.” Ihr fehle es an entsprechenden Schulungen.
„Man kann nicht alles digital stellen und erwarten, dass das Wissen irgendwie vom Himmel fällt." Dagmar Hirche, Gründerin des Vereins Wege aus der Einsamkeit e.V.
Internet zähle zur Grundversorgung
Internet-Cafés für Senior*innen, wie die Stadt Hamburg sie eingerichtet hat, reichen Hirche nicht. “Es heißt, wer sich das nicht leisten kann, der könne zu den kostenlosen Internet-Hotspots gehen”, sagt Hirche und erklärt: “Corona hat aber gezeigt, dass wenn alle zuhause bleiben müssen, sind Menschen ohne WLAN von der Welt abgeschottet.” Die Regierung müsse dafür sorgen, dass es in allen Senior*inneneneinrichtungen und Wohnungen für alle kostenlose WLAN Zugänge gibt. “So wie in jeder Wohnung Strom und Wasser zur Grundversorgung zählt, gehört Internet auch dazu”, vergleicht Hirche. Wer die Grundsicherung im Alter oder Hartz IV empfängt, solle mit digitalen Geräten ausgestattet werden. Nicht nur ältere Menschen betreffe das Problem, sondern auch Kinder und Geflüchtete.
Sie wünscht sich in jeder Nachbarschaft einen Treffpunkt, wo digitale Bildung kostenfrei zur Verfügung steht. Junge Leute könnten eine “Tablet- und Smartphone-Sprechstunde“ anbieten, in der Senioren*inne alles fragen dürfen, schlägt Hirche vor. Denn genau diese offene Einstellung fehle in manchen Familien. “Da kommt oft der Spruch ‘Mensch Omi, das habe ich dir doch schon sechs Mal erklärt'”, erzählt die Gründerin. Ihr Gegenargument sei dann: “Ich habe dir aber schon hundert Mal erklärt, wie du deine Schnürsenkel bindest.” Denn um älteren Leuten die digitale Welt näher zu bringen, gehöre auch immer eine Portion Geduld und Empathie.