Mit dem Flugtaxi über die Elbe – Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? FINK.HAMBURG hat sich über den Forschungsstand speziell in Hamburg informiert und mit Expert*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Behörden gesprochen.
Wie wollen wir uns in Zukunft auf diesem Planeten bewegen? Diese Frage betrifft unsere Umwelt, geht aber über den Kampf Verbrennungsmotor gegen erneuerbare Treibstoffe hinaus. Denn wenn es nach den großen Visionär*innen geht, stehen wir momentan an der Schwelle nicht nur zu grüneren, sondern auch zu schnelleren und effizienteren Technologien.
Einig sind sich fast alle Expert*innen der Mobilitätsindustrie darin, dass die Maschinen, die wir zur Fortbewegung nutzen werden, künftig nicht von Menschenhand gesteuert, sondern autonom fahren sollen. Uneinig dagegen sind sie sich, wo wir uns bewegen werden.
Unter der Erde oder in der Luft?
In den USA sehen große Tech-Visionäre wie Elon Musk und Richard Branson die Mobilität der Zukunft eher unterirdisch: Im November wurde dort der erste Prototyp eines Hyperloops getestet – einer Magnetschwebebahn, die in einer vakuumierten Röhre aufgrund des fehlenden Luftwiderstands theoretische Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 1.200 Stundenkilometer erreichen kann. In Las Vegas wird zudem aktuell der Vegas Loop gebaut: Autonom fahrende Teslas sollen künftig die Bewohner*innen der Stadt durch ein Tunnelsystem sicher und schnell transportieren – auch während der Hauptverkehrszeit.
Der Gegenentwurf: Unsere Mobilität stärker in die Lüfte verlagern. Mit Volocopter und Lilium sitzen gleich zwei führende Unternehmen aus diesem Bereich in Deutschland und entwickeln Flugtaxis. Flugtaxis, das sind Drohnen für den Personentransport auf Kurzstrecken und innerhalb von Städten. Sie bewegen sich autonom, ohne menschliche Pilot*innen, auf festgelegten Flugrouten. Nicht erst seit „Zurück in die Zukunft“ und „Blade Runner“ sind fliegende Autos eine Ambition vieler Ingenieur*innen. Jetzt scheint es zumindest technologisch endlich umsetzbar. Sowohl Volocopter (Baden-Württemberg) als auch Lilium (Bayern) haben ihren Hauptsitz im Süden Deutschlands, wo die Bayern dreistellige Millionensummen in die Entwicklung für Infrastruktur dieser Technologie investieren. In Hamburg steht dafür weit weniger Geld bereit.
Und das obwohl Hamburg eigentlich als Hochburg der Luftfahrt in Deutschland gilt. Mit Lufthansa Technik und Airbus haben gleich zwei europäische Großkonzerne der Branche Sitze und Werke in der Hansestadt.
Anfang November vergangenen Jahres hat die Wissenschaftsbehörde das Verbundprojekt Innovative Luftgestützte Urbane Mobilität (iLUM) aus Hochschulen und Wirtschaft mit einem Betrag von zwei Millionen Euro gefördert. Das wirkt jedoch im Vergleich zu den bayrischen Investitionen eher wie ein symbolischer Betrag.
Hamburg und Flugtaxis: Uneinigkeit unter den Expert*innen
FINK.HAMBURG hat dies zum Anlass genommen, um mit Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu sprechen. In der Frage, wie geeignet Hamburg als Modellstadt für Flugtaxis ist, sind sich Expert*innen uneinig: Volker Gollnick, Professor am Institut für Lufttransportsysteme der TU Hamburg, sagt: Unbedingt!
„Geografische Hürden wie die Elbe machen direkte und schnelle Wege über die Luft auch in Hamburg interessant.“ Insbesondere für Geschäftsreisende gelte: Reisezeit ist tote Zeit. Hier könne das Flugtaxi ansetzen, so Gollnick: „Hamburg muss zudem als Metropolregion betrachtet werden – und insbesondere in den eher ländlichen Stadtrandgebieten können Flugtaxis ihre Stärken ausspielen.“ Das gelte beispielsweise für Verbindungen zwischen dem Hamburger und dem Lübecker Flughafen bzw. dem Hauptbahnhof und den größeren Städten im Umland wie zum Beispiel Lüneburg.
Urbane luftgestützte Mobilität bedeutet mehr als fliegende Taxen
Klaas Jacob Klasen arbeitet bei Lufthansa Technik und ist dort für sämtliche Drohnenaktivitäten der Lufthansa Gruppe verantwortlich. Er ist weniger optimistisch: „Wenn wir mal über den Einsatz von Lufttaxis nachdenken, müssen wir folgendes kritisch hinterfragen: Hat das Ganze in einer Stadt wie Hamburg einen Mehrwert? Niemand wird deren Einsatz forcieren, nur weil es technisch möglich ist. Wahrgenommener Kundennutzen ist hier die Voraussetzung für Nachfrage“.
Aus seiner Sicht gehört zur „Advanced Air Mobility“ ein ganzes Ökosystem, dass neben Flugtaxis, Lieferdrohnen und „Sensor-Carrying-Platforms“ – also Drohnen, auf denen Sensorik angebracht ist, um beispielsweise Inspektions-Dienstleistungen durchzuführen – auch die benötigte Bodeninfrastruktur umfasst. In diesem Gesamtbereich der „Advanced Air Mobility“ ist Hamburg Modellregion. Den Einsatz von Lufttaxis innerhalb der Stadt dagegen sieht er aufgrund des gut ausgebauten Personennahverkehrs eher skeptisch.
Der Hamburger Flughafen ist beispielsweise nah am Stadtzentrum. Aktuell sind Flugtaxi-Modelle auf lediglich zwei bis vier Passagier*innen ausgelegt. Sollten Flugtaxis im großen Stil eingesetzt werden, ist es zwar laut Klasen nicht undenkbar, dass man einen Flug zu den Preisen einer „Premium“-Taxifahrt buchen kann. Langfristig sind Flugtaxis für ihn vermutlich aber eher ein Nischenservice als ein Massentransportmittel. „Der teurere Preis muss deshalb einen Mehrwert durch Zeitgewinn reflektieren“, so Klasen. Sinnvoll sei deren Einsatz daher wohl eher in Gebieten, in denen die öffentliche Personentransportinfrastruktur innerhalb und zwischen Großstädten bisher noch nicht so gut ausgebaut ist, zum Beispiel in Teilen der USA oder in Asien. Gerade im asiatischen Raum wird entsprechend viel in die neue Technologie investiert.
Drohne Medifly soll Krankenhäuser vernetzen
Bei der Lufthansa beobachte man das Thema zwar, interessanter sind für das Unternehmen aber andere Drohnenprojekte. Die sind längst keine Zukunftsmusik, sondern bereits Realität. Transportdrohnen werden von großen Unternehmen wie Amazon bereits eingesetzt. Auch in Deutschland gibt es schon aktive Tests. Besonders vom Projekt Medifly berichtet Klasen mit Nachdruck: Gewebeproben von Patient*innen, die unter Vollnarkose auf dem OP-Tisch liegen, sollen via Drohne möglichst schnell ins Labor geschickt und analysiert werden. Bisher werden diese Transporte mit Blaulichtfahrten durchgeführt. Zeit ist hierbei jedoch ein kritischer Faktor und das Stauaufkommen innerhalb Hamburgs schwer einzuschätzen. Der Einsatz einer Transportdrohne würde hier viel Sinn ergeben, erklärt Klasen.
Davon überzeugt ist auch Daniela Richter vom Luftfahrtcluster Hamburg Aviation. Hamburg Aviation ist ein eingetragener Verein, der innerhalb der Hansestadt den Wissensaustausch zwischen den hiesigen Luftfahrtunternehmen und der Wissenschaft organisiert. „Wir sehen uns als Spinne im Netz zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Verwaltung“, so Richter. Auch sie verweist auf das Projekt Medifly und nennt den Einsatz von Drohen im medizinischen Sektor als vermutlich sinnvollsten ersten Schritt, den die Stadt umsetzen wird. Dass Patient*innen künftig in Flugtaxis in die Klinik kommen, hält sie durchaus für möglich.
Flugtaxis sind kein Massentransportmittel
Ähnlich wie Klasen bezweifelt jedoch auch Richter, dass in Hamburg große Notwendigkeit besteht, im Thema Flugtaxis voranzupreschen: „Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es kein Massentransportmittel ist, welches den öffentlichen Personennahverkehr in irgendeiner Form ersetzen kann“, so Richter. „Wenn man sich nur eine einzelne Buslinie anschaut: Die ist immer effizienter als ein Flugtaxi, in dem gerade einmal vier oder fünf Passagiere Platz finden.“ Für den Tourismus könne das Flugtaxi interessant sein, beispielsweise auf der Insel Sylt. Für sie ist neben der guten, bereits vorhandenen Infrastruktur auch die flache Topographie ein Faktor: „Passagierdrohnen machen vor allem Sinn, wenn man viele Höhenmeter überwinden muss.“
Gesellschaftliche Akzeptanz entscheidend
Der Weg zur Autonomie
Menschen müssen sich erst langsam an die Idee von autonomer Mobilität gewöhnen. Deshalb werden Flugtaxis zunächst weiterhin von Pilot*innen gesteuert werden, das sogenannte “Human-in-the-loop”. Schrittweise wird das dem “Human-on-the-loop” weichen: Jeder Flug wird aktiv von einer Kontrollinstanz am Boden überwacht. Beim finalen Schritt “Human-over-the-loop” wird nur noch passiv überwacht. Im Notfall kann die Kontrollinstanz eingreifen.
Doch was untersucht die Stadt genau mit dem iLUM-Projekt? In erster Linie geht um die Erforschung eines großen Hindernisses abseits der eigentlichen Technologie: Wie kann man den Hamburger*innen die Angst vor einem Regelbetrieb von Flugdrohnen nehmen? Der Einsatz von Drohnen wird von einem großen Teil der Bevölkerung momentan primär mit zwei Dingen assoziiert: Krieg und Spionage. Ein autonomer Flugkörper ist theoretisch sicherer als einer, der von Menschenhand gesteuert wird. Menschliches Versagen ist für viele Flug- und Helikopterunglücke verantwortlich. Trotzdem stehen viele Menschen der Idee autonomer Mobilität skeptisch gegenüber. Im Notfall nicht eingreifen zu können, beunruhigt viele.
“Eine realistische Vision von urbaner luftgestützter Mobilität”
Neben Sicherheitsbedenken untersucht iLUM auch politische und institutionelle Rahmenbedingungen: Welche Vorgaben gibt es? Wie können Start- und Landeplätze aussehen und wo dürfen diese stehen? In welchen Höhen dürfen die Drohnen fliegen? Wenn die Gesellschaft kein Vertrauen in fliegende Taxen hat, werden die Anbieter es schwer haben.
In enger interdisziplinärer Zusammenarbeit forschen unter anderem Wissenschaftler*innen der TU Hamburg, der Helmut-Schmidt-Universität, der HAW Hamburg und auch des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Flugzeugingenieur*innen, Sozialwissenschaftler*innen und Städteplaner*innen arbeiten gemeinsam – das unterstreicht die Komplexität von urbaner luftgestützter Mobilität.
Professor Volker Gollnick ist auch an diesem Projekt beteiligt. Er hebt die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit hervor: „Gegen Projektende sollen sich alle Ergebnisse wie Puzzleteile zusammenfügen. Wir möchten den Bürgern eine realistische Vision von urbaner luftgestützter Mobilität ermöglichen.“
Luftgestützte Mobilität: Ein Thema der Wirtschaftsbehörde
Zwar wird das Projekt von der Wissenschaftsbehörde gefördert. Aber luftgestützte Mobilität ist doch ein Mobilitätsthema und passt viel besser zur Behörde für Verkehr und Mobilitätswende, oder? Tatsächlich ist das Thema originär in einer dritten Behörde angesiedelt – der Behörde für Wirtschaft und Innovation (BWI). Das ist auf den ersten Blick vielleicht verwunderlich, erscheint auf den zweiten Blick aber doch recht logisch.
Die Förderung und Implementierung neuer Mobilitätsformen berührt verschiedene Bereiche: Verkehr und Wissenschaft natürlich, aber eben auch viele wirtschaftliche Fragestellungen. Das bestätigt auch Franziska Biermann, stellvertretende Leiterin im Referat Clusterpolitik. Das Referat betreut und fördert vier Hamburger Industriecluster – darunter Hamburg Aviation. Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Wissenschaft den Standort Hamburg zu fördern und Innovationen voranzutreiben. Der Senat sieht seine Aufgabe im Bereich von Urban Air Mobility (UAM) vor allem in der Unterstützung des Netzwerkaufbaus.
2016 wurde dafür das Innovationsforum „Windrove – Wirtschaftliche Nutzung von Drohnen in einer Metropolregion – Hamburg“ gegründet, in dem Daniela Richter von Hamburg Aviation als Projektmanagerin fungiert. Der Name des Innovationsforums sagt es bereits: Drohnennutzung ist in erster Linie auch ein wirtschaftliches Thema.
Die Stadt Hamburg möchte allerdings nicht nur Wirtschaft und Wissenschaft in Hamburg und der Region vernetzen – auch der europäische und internationale Austausch stellen eine wichtige Säule dar. Im Rahmen des von der Europäischen Kommission geförderten „Smart Cities Marketplace“ tauscht sich die Stadt Hamburg mit anderen Vorreiterstädten wie Toulouse oder Stockholm aus. „Was alle Städte verbindet, ist das Ziel, erst einmal eine Akzeptanz für UAM zu generieren“, sagt Biermann.
Fliegen ohne Emissionsausstoß?
Wer über Mobilität der Zukunft nachdenkt, befasst sich zwangsläufig mit dem Emissionsausstoß. Fliegen gilt nicht als klimafreundlich. Hersteller wie Volocopter versprechen allerdings elektrisch – und damit klimaneutral – zu fliegen. Professor Gollnick erklärt, dass dabei jedoch der schädliche Herstellungsprozess der Batterien oft vergessen wird.
Wasserstoff könnte eine potentielle Alternative sein. Insbesondere in Hamburg wird die Wasserstoffproduktion bereits enorm vorangetrieben. „Wasserstoff macht Sinn im Zusammenhang mit Brennstoffzellen und Fliegen in niedrigeren Höhen. Insofern passt das für urbane Mobilität“, erklärt Professor Gollnick. Wasserstoff muss jedoch unter Druck und verflüssigt gespeichert werden – dies erhöht deutlich das Tankgewicht. Zudem ist eine vollständige Dichtigkeit technisch noch nicht dauerhaft zu gewährleisten, was eine Explosionsgefahr nicht vollständig ausschließe. Hierin würden derzeit noch große Herausforderungen liegen.
“Der Flaschenhals ist die Batteriespeicherkapazität”
Auf technischer Ebene stehen die Unternehmen vor mehreren Herausforderungen. Ähnlich wie Elektroautos sind auch elektrisch angetriebene Flieger noch in ihrer Reichweite dem klassischen Verbrenner unterlegen. „Der Flaschenhals ist die Batteriespeicherkapazität beziehungsweise die massenspezifische Energiedichte,“ so Professor Gollnick. Das bedeutet: Durch die im Verhältnis zu Kerosin oder Benzin recht geringe Energiedichte bräuchte es riesige und schwere Batterien, um vernünftige Reichweiten zu erzielen. Aktuell sind nur Reichweiten von bis zu 50 Kilometer realistisch. “Jüngste Arbeiten an unserem Institut deuten jedoch darauf hin, dass Reichweiten bis 500 Kilometer in den nächsten fünf Jahren doch möglich erscheinen”, sagt Professor Gollnick.
Neue Auftriebskonzepte notwendig
Außerdem erfordert eng bebauter, urbaner Raum ein neues Auftriebskonzept. Flugtaxis können nicht wie die großen Brüder über eine lange Startbahn Tempo aufnehmen. Daher setzt das Unternehmen Volocopter zum Beispiel auf senkrechtstartfähige Flugobjekte – ähnlich einem Hubschrauber. Konkurrent Lilium schlägt einen anderen Weg ein und benötigt etwas längere Startstrecken. Volocopter eignet sich dementsprechend eher für ein dicht besiedeltes Stadtgebiet, Lilium punktet mit größeren Reichweiten und ist dementsprechend eher in den Randgebieten und in der Metropolregion einsetzbar. Insgesamt sind Flugtaxis aber nicht konzipiert, um mit Flugzeugen oder anderen Transportmitteln für längere Strecken zu konkurrieren.
Der zu Beginn angesprochene Hyperloop, der in der Theorie mit 1.200 Stundenkilometer die Strecke zwischen Hamburg und München in 45 Minuten zurücklegen könnte, ist so wohl das geeignetere Massentransportmittel der Zukunft, besonders bei größeren Distanzen. Flugtaxis und Drohnen werden aber besonders für Spezialtransporte und wirtschaftlichen Einsatz innerhalb Metropolregion interessant sein. Und könnten früher Realität werden, als wir denken.
“Einfach machen geht in Deutschland nicht so einfach”
Trotz der weiterhin bestehenden technischen Probleme ist es laut Klaas Jacob Klasen aus technologischer Sicht realistisch, dass man Flugtaxis Mitte des Jahrzehnts regelmäßig zum Personenverkehr anbieten könnte. In China und in den USA sollen 2025, spätestens 2030, die ersten Flieger starten. Das ist in Deutschland nicht machbar. „Technisch wären wir in fünf Jahren soweit – auch in Hamburg“, sagt Professor Gollnick. Doch rechtliche Hürden würden dies nicht erlauben. „Einfach mal machen und Entwicklungen ermöglichen und dann mit Augenmaß prüfen, ob und in welchem Umfang Urban Air Mobility auch von der Gesellschaft getragen wird, geht in Deutschland nicht so einfach. Und ich gebe unumwunden zu, dass es das ist, was ich auch in Hamburg, vermisse. Ich wünsche mir, dass Hamburg hier leuchtet und nicht nur scheint.“
Titelfoto: 2017 The Foreign Office Collective, Volocopter