Sprachnachrichten auf WhatsApp: Entschleunigung in meinen Ohren

Meinung

Seit Ende Mai können alle WhatsApp-Nutzer:innen Sprachnachrichten in 1,5- oder zweifacher Geschwindigkeit abspielen. Ein Gewinn, finden Sprachnachrichten-Muffel. FINK.HAMBURG-Redakteurin Chantal ist noch skeptisch.

Die längste Sprachnachricht, die ich bisher auf WhatsApp erhalten habe, tönte etwa 20 Minuten lang aus meinen Smartphone-Lautsprechern. Einigen läuft es jetzt wahrscheinlich eiskalt den Rücken runter, ich wiederum hatte dadurch damals eine erstaunlich aufgeräumte Küche.

Ich bin ein Fan von Sprachnachrichten: Wenn meine Daumen müde sind vom endlosen Scrollen auf Instagram, kann ich ihnen eine Pause gönnen und meinen Mitmenschen minutenlang das Ohr abkauen – „das kann sie gut“, werden sich jetzt viele denken. Meine Sprachnachrichten beginnen dann oft mit einem vorgeschobenen „Ich mach’ mal kurz ‘ne Memo, kann grad’ einfach nicht mehr tippen“. Sorry, not sorry.

WhatsApp-Sprachnachrichten sind was Tolles

Ich schätze diese Funktion, weil sie mir den Alltag erleichtert und zumindest den Anschein einer menschlichen Konversation erweckt. Einige meiner WhatsApp-Verläufe bestehen nur aus Sprachnachrichten: Sie sehen dadurch aufgeräumter aus als meine Küche damals und haben sicherlich auch schon so manches Treffen ersetzt. Ob das nun gut oder schlecht ist, steht auf einem anderen Blatt.

Längere Sprachnachrichten sind meine Aussicht auf eine abgehakte To-Do-Liste – Kopfhörer rein, auf „Play“ getippt und los: Die Lampe hängt wie von Zauberhand, die Wand ist in Nullkommanix gestrichen und das Bad blitzt wie in der Putzmittelwerbung. Zumindest im Idealfall helfen mir lange Sprachnachrichten aus der Prokrastination heraus.

Oder sie treiben mich noch tiefer hinein: Wenn eine Sprachnachricht zu einer stundenlangen Konversation mutiert. Ein Schlagabtausch aus minutenlangem Gesabbel, das sich auch in einem Telefonat klären ließe. Weil man aber erst im Nachhinein schlauer ist, könnte dagegen auch das neueingeführte Vorspulen nichts mehr ausrichten.

Eminem, bist du es?

Als das neue Feature kam, war auch ich natürlich erstmal neugierig: Wenn ich Sprachnachrichten vorspulen kann, vielleicht lässt sich dann auch das Putzen in meiner Wohnung beschleunigen? Der erste Testlauf war allerdings die pure Enttäuschung: Während man bei normaler Geschwindigkeit mühelos multitasken kann, ist in Highspeed plötzlich Konzentration gefordert. Da macht mein Vater in Sachen Verständlichkeit Rapper Eminem schon mal Konkurrenz und manche Freundinnen klingen Donald Duck erstaunlich ähnlich. 

Zugegeben: Die 1,5-fache Geschwindigkeit ist nur für die Sprachnachrichten einer Freundin zu schnell – die verstehe ich auch ohne Beschleunigung erst nach mehrfacher Wiederholung, sorry Lisa. Wer bei doppelter Geschwindigkeit allerdings noch was mitbekommt, statt sich vor Lachen kaum wieder einzukriegen: Hut ab.

Echtzeit als Zeichen für Entschleunigung

Bei all meiner Liebe für Sprachnachrichten möchte ich aber nicht ganz ausschließen, dass ich mal bewusst beschleunigen werde. Man wird schließlich nicht jünger, hat plötzlich „sooo viel um Ohren“ und viel zu wenig Zeit für langes Gerede.

Noch fühle ich mich mit Sprachnachrichten in Echzteit aber ziemlich wohl: Sie zeigen mir, dass ich mein Leben – zumindest manchmal – jenseits der Überholspur führe. Allerdings nicht ganz langsam auf der rechten Spur zwischen den LKW – da würde ich eher die klassischen Textnachrichten verorten.

car