Am Montag hat die Hamburger Staatsanwaltschaft Anklage gegen den HSV-Profi Bakery Jatta erhoben. Der Vorwurf: Mehrere Vergehen gegen das Aufenthaltsgesetz und Falschbeurkundung. FINK.HAMBURG-Redakteur Ole-Jonathan kommentiert eine Debatte, die am eigentlichen Thema vorbeiläuft.
Im August 2019 berichteten deutsche Medien erstmalig über Zweifel an der Identität des damals aufstrebenden HSV-Talents Bakery Jatta. Demnach solle er 2015 bei seiner Einreise nach Deutschland seinen Namen von „Daffeh“ in „Jatta“ geändert haben. Außerdem habe er sich jünger ausgegeben als er war, um ein Duldungsrecht als „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ erhalten zu können.
Den Medienberichten folgte anfängliche eine Welle der Solidarität. In den vergangenen zwei Jahren zog diese jedoch eine schäumende Brandung aus Anschuldigungen und Unterstellungen nach sich. Mitverantwortlich dafür: die Berichterstattung einer großen deutschen Zeitung.
Schon 2019 war für mich nur schwer nachzuvollziehen, warum die Debatte um Bakery Jattas Identität die Gemüter von Staat und Presse so erhitzte. Fakt war damals schon: Jatta arbeitet für eine große Fußball-AG, zahlt sicherlich Steuern und ist in der Gesellschaft angekommen. Nach der Logik von den Journalist:innen der großen Zeitung, die in ihren Texten gebetsmühlenartig “qualifizierte Zuwanderung” fordern, müsste er damit doch eigentlich ein Musterbeispiel für gelungene Integration sein, oder? Anscheinend nicht. Die Stadt Hamburg begann die Vorwürfe zu überprüfen – die große deutsche Zeitung ermittelte parallel auf eigene Faust in Gambia.
Hätte Jatta damals wie heute nicht eine große Lobby aus Fußballfans, Vereinen und anderen Sympathisant:innen hinter sich gehabt, wäre es ihm wohl wie vielen anderen jungen Geflüchteten ergangen: Der Staat hätte ihm vermutlich einen buchstäblichen kurzen Prozess gemacht und möglichst abgeschoben.
Fehlende Solidarität mit Bakery Jatta
Trotz großem Zuspruch von sportlicher Seite, gab es jedoch auch hier Akteure, die sich zugunsten sportlicher Vorteile zweifelhaft verhielten. Statt Größe zu zeigen, sich gesellschaftlich zu positionieren und Jatta und dem HSV von Beginn an solidarisch den Rücken zu stärken, legten die damaligen Zweitligaklubs 1. FC Nürnberg, VfL Bochum und Karlsruher SC beispielsweise Einspruch gegen die Aufeinandertreffen mit dem HSV (alle drei Spiele hatte der HSV gewonnen) ein, bei denen der Gambier auf dem Feld stand. Erst nachdem das Bezirksamt Hamburg-Mitte Ende 2019 aufgrund mangelnder Beweise die Ermittlungen gegen Jatta eingestellt hatte, zogen die drei Klubs ihre Klagen zurück, die sonst wohl sportliche Folgen für den HSV nach sich gezogen hätten. Der VfL Bochum begründete seinen Einspruch damals übrigens auch mit der Darstellung des Falls in den Medien.
Eine schmutzige Kampagne
Die von Max Goldt einst als „Organ der Niedertracht“ bezeichnete große deutsche Zeitung der Springer-Presse zeigt sich im Fall Jatta besonders berichterstattungsfreudig. Auch die Verfahrenseinstellung 2019 änderte nichts daran. Die „Hexenjagd“, wie Jatta das öffentliche Vorgehen gegen ihn in einem Instagrampost nannte, ging weiter.
Schon lange scheint es bei der Berichterstattung im Fall Jatta nicht mehr nur um einen juristischen Tatbestand zu gehen, geschweige denn um das Schicksal eines jungen Menschen, der aus Angst um sein Leben aus seiner Heimat flüchtete. Die Strafen, Vergehen und die daraus resultierende Konsequenzen für einen Geflüchteten, der den Staat betrogen haben soll, stehen im Fokus und fördern ein Narrativ, das in bestimmten Zeitungen nicht zum ersten Mal auftaucht (diverse Beweise dafür gibt es bei BILDblog oder im Buch „Ohne Rücksicht auf Verluste“). Die aktuelle Anklage der Hamburger Staatsanwaltschaft wurde nun mit der Schlagzeile “Staatsanwalt: Er ist Daffeh! – Anklage gegen HSV-Star Jatta!” gefeiert und in sechs Artikeln innerhalb von zwei Tagen breitgetreten (Stand 8. Dezember 15:52 Uhr).
Aus meiner Sicht sollte nicht Jattas Identität infrage gestellt werden, sondern viel mehr die menschenfeindlichen Aufenthaltsgesetze, die in Deutschland für Asylsuchende gelten. Vor dem Hintergrund des Jatta-Falls sollte sich damit auseinandergesetzt werden, dass für viele alleinstehende Menschen in der Vergangenheit häufig nur der Duldungsstatus als “unbegleiteter minderjähriger Flüchtling” vor einer Abschiebung schützte. Diese Auseinandersetzung passierte gesamtgesellschaftlich bisher jedoch viel zu selten (mehr Informationen zu den Asylbedingungen für Geflüchtete gibt es bei PRO ASYL).
Wie soll es weitergehen?
Wie Identitätsfragen im Fußball letztendlich gelöst werden können, zeigt der Fall Silas. Im Sommer gab der Rechtsaußen vom VfB Stuttgart nach der Recherche einer französischen Zeitung zu, einen (wenn auch aus anderen Gründen als Jatta) falschen Nachnamen zu tragen und ein Jahr älter zu sein, als in seinem Spielerpass angegeben. Der Fall wurde aufgeklärt, Name und Alter von Silas wurden angepasst. Nach einer dreimonatigen Sperre steht er heute wieder auf dem Platz und kann sich ohne mediale Dauerbeleuchtung auf seine sportlichen Leistungen fokussieren. Es bleibt zu wünschen, dass auch Jatta dies bald wieder kann – egal ob er nun in Wirklichkeit Daffeh heißt oder nicht.
Für mich steht fest: Kein Mensch ist illegal. Egal wie er heißt, egal woher er kommt, egal wie alt er ist.
Natürlich kann man der Meinung sein, dass kein Mensch illegal ist, wir haben allerdings Gesetze, die Asyl und Einwanderung regeln. Diese Gesetze gelten für alle, die nach Deutschland kommen. Und Jatta oder Dafeh aus Gambia hatte von Anfang an keinen Fluchtgrund außer die Suche nach einem besseren Leben. Er hätte, wäre er vom HSV angeheuert worden, ganz legal einwandern können. Es fehlten ihm wohl doch die nötigen Kontakte, so kam er über ein Asylgesuch und vermutlich mit falschem Namen und falschem Geburtsdatum (er ist wie andere auch unschuldig, bis ihm die Schuld nachgewiesen wurde). Wenn dem tatsächlich so ist und er hat tatsächlich seine Identität verändert, so ist nicht nur eine Strafe fällig sondern auch die Abschiebung. Wir dürfen es uns von niemanden gefallen lassen, ein Bleiberecht durch Betrug zu erwirken, sei er ein noch so guter Fußballspieler!