Seit 2019 ist Burnout von der Weltgesundheitsorganisation als sogenanntes „Berufsphänomen“ anerkannt. Doch auch das Privatleben kann Menschen ausbrennen lassen. Über eine schwierige Diagnose und welche Symptome als Alarmsignal wahrgenommen werden sollten.
Burnout. Ein Begriff, der längst kein Tabu mehr ist. Sondern so präsent, dass die meisten Leute in ihrem Umkreis Personen kennen, die an Burnout gelitten haben oder noch leiden.
Der vorliegende Artikel ist im November 2021 als Radiobeitrag aufgezeichnet worden. Diesen Beitrag könnt ihr hier hören.
Burnout – ein schleichender Prozess
Burnout ist der passende englische Begriff für das Gefühl, das mit dem Symptom einhergeht: Ausgebrannt sein. Es entsteht durch andauernden chronischen Stress. Wie eine Kaugummiblase, die durch mehr Luft immer größer wird, halten auch die Psyche und der Körper einiges aus – aber irgendwann ist Schluss. Dann platzt die Blase. Die Luft entweicht. Und so auch die eigene Ausdauer und das Durchhaltevermögen. Das Fatale am Burnout-Syndrom: Es ist ein schleichender Prozess. Das musste auch Sarah erfahren (Name von der Red. geändert): „Es hat lange Zeit gebraucht, bis ich zum Arzt gegangen bin – weil ich es mir nicht erklären konnte. Weil ich sowas noch nicht kannte und mich nicht wirklich wieder erkannt habe.“
Merkmale eines Burnout-Syndroms
Bei Sarah häuften sich Heulkrämpfe, Reizbarkeit, Erschöpfung. Doch welche Beschwerden weisen auf ein Burnout-Syndrom hin? Es gibt in der Regel drei Hauptmerkmale, weiß Paul Hüsing. Er ist promovierter Psychologe und psychologischer Psychotherapeut am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE): „Das ist zum einen die Erschöpfung, die De-Personalisierung, also auch der einsetzende Zynismus in Bezug auf die eigene Arbeit, und das Erleben von Misserfolg – auch wenn die eigene Leistung sich vielleicht gar nicht im Vergleich zu vorher verändert hat.“
Paul Hüsing erklärt, dass man bei erhöhtem Leidensdruck und typischen Burnout-Phänomenen am besten fachgerechte Hilfe suchen solle. Im ersten Schritt sei das der/die Hausärzt:in oder auch ein/e ambulanter Psychotherapeut:in.
Man sollte nicht zu lange warten, wenn man bemerkt, dass Beschwerden auftreten, sondern frühzeitig das Gespräch suchen, um dann zu schauen: Kann man selbst Veränderung herbeiführen, braucht man weitere Unterstützung, oder handelt es sich tatsächlich um ein temporäres Belastungserleben, was sich von allein auch wieder reguliert. – Paul Hüsing.
Auch Sarah ist erst mal zu ihrem Hausarzt gegangen. Ihm schilderte sie ihre Probleme, die in den letzten Wochen aufgetaucht waren. Der Schritt war nicht leicht, denn sie konnte das Ganze für sich noch nicht ganz einordnen. „Es war dann aber auch sehr befreiend, dem Arzt das zu erzählen. Ich konnte einfach alles rauslassen und wusste: das ist ein Platz, wo das möglich ist,“ sagt Sarah. Sarahs Hausarzt schrieb sie wegen eines leichten Burnouts direkt zwei Wochen krank. Doch anschließend dauerte es nicht lange, bis sie wieder Überstunden machte und alte Verhaltensmuster bei sich erkannte.
Verhaltensweisen ändern
Äußere Umstände, wie Stress bei der Arbeit, im Alltag oder auch Druck durch soziale Kontakte begünstigen ein Burnout-Syndrom. Aber auch eigene Einstellungen und Verhaltensweisen wirken darauf ein. Um aus einer festgefahrenen Situation rauszukommen, wird Veränderung benötigt.
Paul Hüsing sagt: „Veränderung muss nicht immer nur durch externe Umstände, also einen Wechsel des Arbeitgebers oder Reduzierung der Arbeitszeit geschehen, sondern kann natürlich auch durch die Person selbst erfolgen. Also: Kann ich meine Einstellung zu der Arbeit verändern? Kann ich meine eigenen Ansprüche verändern? Meine Denkweisen?“
Burnout tritt oftmals in Kombination mit anderen Symptomen auf
Bei Sarah kamen jedoch schnell weitere Symptome hinzu. Anfang 2020 tauchten Panikattacken auf: Beim Fahrrad- und Autofahren oder beim Warten am Straßenrand. Irgendwann hatte sie die Attacken sogar, wenn sie am Schreibtisch saß oder im Bett lag. Dabei wurde ihr schwindelig, sie bekam Hitzewallungen, schlechter Luft und Herzrasen. Damit ging Sarah ein zweites Mal zu ihrem Hausarzt. Zusätzlich zur Diagnose leichtes Burnout, bekam sie nun auch Angststörung und Panikattacken diagnostiziert. Und den Hinweis, dass sie sich psychologische Hilfe suchen soll.
Und tatsächlich ist es ganz gut das so zu hören und das einfach mal richtig ins Gesicht gesagt zu bekommen. Weil man viel zu viel damit beschäftigt ist, anderen gerecht zu werden und die Arbeit zu erledigen und dann vergisst man seine eigenen Bedürfnisse. Wenn einem so eine Diagnose gesagt wird, ist das etwas Handfestes. Dann hat man auch nicht mehr das Gefühl, dass man sich das einredet. – Sarah
Die Kombination aus Burnout und Panikattacken sind keine Seltenheit. Psychotherapeut Paul Hüsing erklärt, dass das Burnout-Syndrom laut den Klassifikationen keine psychische Störung, also offiziell keine Krankheit sei. Daher übernimmt die Krankenkasse bei einem reinen Burnout-Syndrom keine Kosten für eine Behandlung.
WHO klassifiziert organische und psychische Störungen
Aber wer definiert, was eine psychische Störung ist und was nicht? Das macht die WHO, die Weltgesundheitsorganisation. Sie gibt die Klassifizierungen für alle organischen und psychischen Störungen heraus, die sogenannte ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). „Aktuell haben wir in Deutschland die zehnte Version, die wir auch für alle Abrechnungszwecke verwenden. Das heißt, wenn ich zum Arzt gehe und eine Behandlung in Anspruch nehmen will, muss irgendeine Diagnose aus diesem Katalog an die Krankenkasse übermittelt werden,“ sagt Paul Hüsing.
In der aktuellen zehnten Version, der sogenannten ICD-10, ist Burnout keine eigenständige Diagnose. Das ändert sich laut Hüsing auch in der neuen ICD-11 nicht, die ab 1. Januar 2022 gültig ist und auch in Deutschland zeitnah eingeführt werden soll. „Die Diagnose Burnout kann nicht als eigenständige Diagnose vergeben werden, sondern immer als Zusatzcodierung zu einer anderen Störung,“ sagt der Experte.
Zusätzliche Störungen zum Burnout
Die häufigsten Störungen, die in Kombination mit Burnout als Zusatzdiagnose vorkommen, sind laut Hüsing: Depressionen und Angststörungen. In der Literatur werden zum Teil über 130 mögliche Symptome oder Erscheinungen genannt, die auf ein Burnout hinweisen, sagt der Experte.
Deshalb ist es wichtig, nicht sofort zu sagen es ist ein Burnout, sondern genauer hinzuschauen: Gibt es organmedizinische, somatische und/oder psychologische Faktoren, die auch eine Rolle spielen, im Sinne eines biopsychosozialen Modells. – Paul Hüsing
Wer leidet unter einem Burnout?
Sarahs Burnout und die Panikattacken kamen im ersten Lockdown 2020. Durch die Homeoffice-Situation musste sie ihren Rückzugsort und Schlafplatz mit dem Arbeitsplatz teilen. Gerade die langen Monate während der Corona-Pandemie forderten von vielen Arbeitnehmer:innen einiges ab. Laut Hüsing leiden bestimmte Berufsgruppen häufiger unter dem Burnout-Syndrom als andere – vor allem soziale Berufe wie medizinisches Personal oder Lehrkräfte.
Aber auch der Charakter und die Persönlichkeit spielen eine Rolle. Das erläutert Paul Hüsing: „Zum Beispiel ein erhöhter Perfektionismus. Also der Drang alles wirklich immer zu hundert Prozent korrekt zu machen, kann natürlich – gerade in Phasen wie zum Beispiel Corona – zu einem erhöhten Druck führen, wenn diese hundert Prozent einfach nicht mehr leistbar sind.“
Burnout: Schamgefühl oder Erfolg?
Doch Burnout kann nicht nur Schamgefühl hervorrufen, wie es bei Sarah der Fall war. Psychologe Paul Hüsing berichtet, dass die Burnout-Diagnose von manchen Personen fast schon positiv belegt sein kann: „In einzelnen Fällen ist die Burnout-Diagnose fast schon positiv konnotiert. Weil man sich ein Burnout natürlich erarbeitet. Eine Depression holt einen ein, reist einen raus. Für ein Burnout muss man erstmal was geleistet haben.“
Beruflich wie privat: Burnout kann überall passieren
Auch wenn die WHO das Burnout-Syndrom ausschließlich auf berufsbedingten Stress bezieht, zeigt die Recherche, dass viele Praxen und Anlaufstellen darauf hinweisen, dass das Syndrom auch durch privaten Alltagsstress entstehen kann. So vergibt auch das UKE eine Burnout-Zusatzkodierung an Personen, die nicht nur im beruflichen Alltag unter massiver Mehrbelastung leiden. „Diese Mehrbelastung kann zum Beispiel durch familiäre Umstände, Krankheiten im engen Familienkreis, ein Häuserbau oder ähnliches sein“, so Hüsing.
Bei Sarah führte neben dem Arbeitsstress der soziale Druck unter Kolleg:innen dazu, dass es ihr nicht besser ging und sie eine Überweisung zu einem Psychologen/einer Psychologin bekam. Mit einer langen Liste an Therapeut:innen in der Hand, fing sie an, die Praxen in ihrer Nähe durch zu telefonieren. Aber niemand hatte in den nächsten vier bis sechs Monaten einen Termin frei für sie.
Psychologische Hilfe suchen
Über ein Portal konnte Sarah sich einen Ersttermin bei einem Psychologen geben lassen. Dieser hat Sarah konkret gesagt, welche Probleme er sieht, die angegangen werden müssen. Er hat ihr Bücher empfohlen, hilfreiche Tipps gegeben und sie beim weiteren Vorgehen unterstützt. Denn er selbst hatte ebenfalls für die nächsten Monate keinen Platz für neue Patient:innen. Sarah musste also weiter telefonieren. Obwohl die Wartezeit auf einen Therapieplatz Monate dauern kann, hatte Sarah vergleichsweise Glück. Nach ein paar Tagen hat es schließlich doch geklappt: ein Verhaltenstherapeut hatte einen Platz für sie frei.
Illustration: Stephanie Windt