125 Mitarbeiter:innen der katholischen Kirche outen sich gemeinsam als queer und fordern Gleichberechtigung. Jens Ehebrecht-Zumsande, Referent im Generalvikariat des Erzbistums Hamburg, hat die Outing-Aktion #OutInChurch angestoßen.
Die katholische Kirche hat viele Baustellen. Noch in der vergangenen Woche wurde dem emeritierten Papst Benedikt XVI die Vertuschung des Missbrauchsskandals vorgeworfen. In der Nacht von Sonntag auf Montag erschüttert ein neues Beben die konservative Lehre der Kirche. 125 Mitarbeiter:innen outen sich als LGBTIQ+, also als lesbisch, schwul, bi, trans*, inter, queer und non-binär. Was normalerweise bedeutungslos für den Arbeitgeber sein sollte, ist in der katholische Kirche noch immer ein Kündigungsgrund: die sexuelle Identität.
Ein Leben ohne Angst
Priester, Gemeinde- und Pastoralreferent:innen, Religionslehrer:innen, aber auch Mitarbeiter:innen aus der kirchlichen Verwaltung wollen nicht länger hinnehmen, dass sie wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Mit der Aktion #OutInChurch fordern sie die Streichung von diffamierenden Aussagen zu Geschlechtlichkeit und Sexualität aus der kirchlichen Lehre.
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Die Teilnehmenden der Aktion wollen ohne Angst leben und ihre sexuelle Identität nicht verstecken. Die Aktion fordert zudem einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen Handlungs- und Berufsfeldern in der Kirche. Noch müssten sie ihre Sexualität verstecken, kritisieren die Unterzeichner:innen. Eine gleichgeschlechtliche Ehe kann sogar ein Kündigungsgrund sein, das soll sich mit der Erklärung ändern. Sie wollen gleichberechtigt wie andere Gemeindemitglieder den Segen und Sakramente empfangen können und fordern von ihrer Kirche Diversität. Aber eine Änderung in der Zukunft reicht der Gruppe nicht. Sie fordert, dass die Bischöfe im Namen der Kirche Verantwortung übernehmen und die Schuldgeschichte aufarbeiten.
Hamburger startet #OutInChurch
Als Jens Ehebrecht-Zumsande, Referent im Generalvikariat des Erzbistums Hamburg, vor einem Jahr das Manifest #actout las, bei dem sich 185 queere Schauspieler:innen outeteten, verfasste er einen Tweet: “Vielleicht sollten wir auch einen #churchout starten.” Dass sich diese Idee nichtmal ein Jahr später mit der Aktion #OutInChurch verwirklichen würde, ahnte er zu dem Zeitpunkt noch nicht.
#actout 🏳️🌈 So genial! Vielleicht sollten wir auch ein #churchout starten 💥💪🌈⚡️@szmagazin @C_Emcke pic.twitter.com/O6WIHoP5Lj
— Jens Ehebrecht-Zumsande (@ZumsandeJens) February 5, 2021
Gemeinsam mit Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus Hamm machte er sich Gedanken. “Wir waren am Anfang sehr naiv und dachten, mit zwei bis drei Konferenzen lässt sich das umsetzen”, so Ehebracht-Zumsande. Die Idee stellte sich allerdings als komplex heraus. Zudem schlossen sich immer mehr Menschen an und wollten der Öffentlichkeit mitteilen, dass sie nicht heterosexuell sind.
ARD dokumentiert Outing
Einige von ihnen hatten schon vor längerer Zeit Kontakt zu Hajo Seppelt. Der Journalist recherchiert bereits seit zehn Jahren zu dem Thema. Lange allerdings ohne Erfolg. Zu groß war die Angst vor den Konsequenzen. Hajo Seppelt begleitet #OutInChurch mit der TV-Dokumentation “Wie Gott uns schuf.” Heute Abend um 20:30 Uhr zeigt das Erste die Investigativ-Recherche.
Jens Ehebrecht-Zumsande hat die Dokumentation schon im Voraus gesehen. “Ich bin bewegt und hatte feuchte Augen”, sagt er im FINK.HAMBURG-Interview. “Es war einfach krass, diesen Mut zu sehen.”
Angst vor Konsequenzen
Nicht alle Unterstützer:innen der Aktion wollen ihren Namen preisgeben und ihr Gesicht zeigen, denn sie fürchten Anfeindungen. Sogar eine Kündigung könnte die Konsequenz der Aktion sein.
Denn in der Moral der katholischen Kirche dient Sex nur der Fortpflanzung in der Ehe. Jegliche andere sexuelle Identitäten lehnt die Kirche ab. Dabei leugnet sie nicht, dass es Homosexualität gibt, unterscheidet aber zwischen dem Empfinden und der Praxis. Die Neigung ist nicht sündhaft, wohl aber ihre Ausübung. Weil aus homosexuellen Beziehungen kein Leben hervorgehen kann, widersprechen sie nach kirchlicher Sicht der natürlichen Ordnung. Die Glaubenskongregation im Vatikan hat daher im März 2021 gleichgeschlechtliche Segnungen verboten. Denn diese seien Sünde.
Wie verrückt muss eine Kirche sein, auf solche tollen Mitarbeiter:innen zu verzichten?
Hamburger Erzbistum solidarisiert sich
“Wie verrückt muss eine Kirche sein, auf solche tollen Mitarbeiter:innen zu verzichten”, sagt Ehebrecht-Zumsande. Sein Chef ist da einer Meinung mit ihm: “Eine Kirche in der man sich wegen seiner sexuellen Orientierung verstecken muss, kann in meinem Dafürhalten nicht im Sinne Jesu sein”, so Erzbischof Stefan Heße auf Twitter.
Mit der Initiative „#OutInChurch. Für eine Kirche ohne Angst“ outen sich heute 122 LGBTIQ+-Personen, die haupt- oder ehrenamtlich in der katholischen Kirche im deutschen Sprachraum tätig sind. 🏳️🌈 #WieGottUnsSchuf #ebhh pic.twitter.com/WLtMvhZuU9
— Erzbistum Hamburg (@ErzbistumHH) January 24, 2022
Die Reaktionen auf die Aktion sind durchweg positiv. Die Seite von #OutInChurch ist am Montag nicht erreichbar. Zu viele Personen sind interessiert. “Der Server ist zusammengebrochen, aber wir ziehen auf einen anderen um, der mehr Kapazität hat”, sagt der Initiator.
Die Aktion wird von vielen Verbänden unterstützt. Die Erklärung von #OutInChurch haben unter anderem das Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB), die Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), die Arbeitsgemeinschaft katholischer Hochschulgemeinden (AKH) und viele andere unterzeichnet.
Die Kirche, der “größte Schwulenverband der Welt”
Auch Norbert Kiencke, Wirtschaftsreferent im Bistum Hamburg, ist Teil des großen Outings. Er selbst hat nicht das Gefühl, dass an ihm als schwuler Mann etwas sündhaft ist. Die Kirche sei der “größte Schwulenverband der Welt” sagt er in der ARD-Doku. Für ihn ist die katholische Kirche ein Stück Heimat. “Ich glaube wirklich, dass Gott sich einen Plan gemacht und auch die sexuelle Vielfalt geschaffen hat.”
Ihn stört vor allem die Doppelmoral der Kirche. Als er im Erzbistum Freiburg gearbeitet hat, wusste jeder von seiner Sexualität. “Mein Partner ist in meiner Dienstwohnung ein und aus gegangen”, öffentlich zu seiner Sexualität stehen, durfte er trotzdem nicht. “Diese Doppelmoral kostet Kraft.”
Seine Kolleg:innen wissen schon lange, dass er schwul ist. Angst vor Konsequenzen hatte er deshalb bei #OutInChurch nicht. Als er das erste Mal einen Vertrag unterschrieb, in dem er zusicherte, nach der christlichen Lehre zu leben, hatte er ein mulmiges Gefühl. “Später habe ich dann nur noch mit einem Schmunzeln unterschrieben.” Kirche könne sich nur von innen heraus reformieren, sagt er, und deshalb bleibt Norbert Kiencke seinem Arbeitgeber treu.
#OutInChurch soll Veränderung bringen
“Es hat so etwas in der Kirche weltweit noch nie gegeben und wir hoffen damit eine breite Diskussion anzustoßen”, so Jens Ehebrecht-Zumsande. Auch Norbert Kiencke ist optimistisch: “Die Kirche muss aus dem tiefen Mittelalter herauskommen und Grundsätzlichkeiten wie die sexuelle Ausrichtung oder Scheidungen anerkennen.”
Es tue gut, dass Zuspruch aus dem eigenen Erzbistum komme. Der Bischof habe zu einem Gespräch eingeladen und seine Unterstützung zugesichert. “Hamburg ist da sehr liberal.” Dennoch ist Kiencke bewusst: “Kirchenmühlen mahlen sehr langsam und nur der Papst kann global etwas verändern.”