Queerer Genre-Mischmasch aus Pop, Elektro und Rap, garniert mit fantastischen Kostümen und Bühnenbildern – Flirt entführen ihre Zuschauer*innen in ganz eigene Utopien. Im Oktober erscheint ihr neues Album. FINK.HAMBURG hat mit dem Duo vor ihrem Auftritt auf dem Vogelball 2022 gesprochen.
Von Pauline Knappschneider und Eric Ganther
Seit letztem Jahr stehen Vivi und Paul als Flirt auf der Bühne. Kennengelernt haben sie sich im Studium. Im Oktober erscheint das neue Album und sie gehen auf ihre erste Tour. Im Interview sprechen sie darüber, was ihre Musik ausmacht, wie sie durch das letzte Jahr gekommen sind und wie Künstler*innen sich für mehr Diversität bei Auftritten einsetzen können.
FINK.HAMBURG: Flirt – Verspricht der Name das, was man von eurer Musik auch bekommt?
Vivi: Klar. Wir haben uns für den Namen entschieden, weil sich darunter jeder etwas vorstellen kann. It’s a vibe. Mit “Flirt” assoziiert man eigentlich nur schöne Gefühle. Außerdem hatten wir schon den Titelsong zu unserem Album – unsere letzte Single “Planet Flirt”. Als wir dann über einen griffigeren Namen nachgedacht haben, kam uns der Begriff Flirt so prägnant, schön, knackig und wiedererkennbar vor. Und tatsächlich gab es in Deutschland noch keine Band, die so heißt. Deswegen dachten wir uns dann, let’s go for it.
Welche Gefühle habt ihr bei einem Flirt?
Vivi: Planet Flirt, worauf der Name ja basiert, ist eine Welt, die wir uns erdacht haben und die wir uns wünschen. Alle sind entspannt und können sie selbst sein und man hat eine gute Zeit zusammen. Alle sind an der Beach-Bar und machen Aqua-Gym und trinken Ice-Tea.
Und wie seid ihr dazu gekommen, zusammen Musik zu machen?
Vivi: Unsere Inspiration war der Erdbeermund von Culture Beat. Auf einem Konzert von einer Freundin haben wir Witze gemacht, im Sinne von: “Haha, lass das doch zusammen machen.” Wir kennen uns ja aus dem Studium. Der Rest ist Geschichte.
Paul: Wir fanden vor allem das Musikvideo dazu gut. Alles findet in einer kleinen Welt statt, die extra dafür in einem Studio gebaut wurde. Jemand schwingt auf einer mit Rosenranken bewachsenen Schaukel, an anderer Stelle tanzen Leute. Das war die Einstiegsidee: Theater zusammen mit Popmusik und 80s-Gefühl.
Vivi: Lyrisch ist Erdbeermund auch so toll. Es ist ja ein Gedicht mit einem prägnanten Beat drunter. Deswegen klangen unsere ersten Songs auch so, viel Sprechgesang und viel Prosatexte.
Seid ihr Vollzeitmusiker?
Paul: Das ist das Ziel. Ich arbeite gerade daran. Die Band ist eigentlich ein Vollzeitjob. Aber gut, wir müssen noch irgendwie die Miete verdienen.
Vielleicht bringt euch ja euer neues Album dahin. Habt ihr euch auf euer kommenden Platte neu erfunden?
Vivi: Wir haben gerade letztes Jahr, “Wenn du willst” veröffentlicht und jetzt gerade “Planet Flirt”. Das ist die musikalische Richtung, in die wir gehen wollen – super dancey, ich rappe. Die Texte sind deutlich anders. Einiges ist inzwischen auf Englisch.
Paul: Wir haben uns in die 1990 und 2000er fortbewegt. Es ist nicht mehr dieser lyrische Stil. Von der Struktur her eher Popsongs. Mit den letzten beiden Liedern haben wir uns sehr gut gefühlt, was Stil, Lyrics und Vocals angeht. Das haben wir als Blaupause genommen. Für das neue Album wollten wir uns mehr Zeit lassen. Beim ersten sind wir einfach drauflos gestürmt und sobald wir neun Songs zusammengetragen hatten, haben wir veröffentlicht.
Seid ihr inzwischen routinierter, auch bei Live-Auftritten?
Paul: Wir haben eine eingespielte Dynamik vor Auftritten. Ich bin eher aufgekratzt und springe ein bisschen durch den Raum. Vivi eher nicht. (lacht) Wir müssen aufpassen, dass ich nicht zu viel koffeinhaltige Limo trinke. Sonst gehe ich erst recht durch die Decke. Wir versuchen gerade zu etablieren, gemeinsam vor dem Auftritt ein paar Übungen zusammen zu machen. Einerseits für die Stimme, aber auch, um den Körper zu entspannen.
Ihr lasst euer aktuelles Album gerade per Crowdfunding auf Vinyl pressen. Wieso auf diese Art und Weise?
Paul: Wir hatten letztes Jahr das erste Mal die Situation, dass die Band sich finanziell selbst getragen hat. Das lag aber hauptsächlich an den Corona-Förderungen für Bands und Veranstaltende. Wir konnten unsere unterfinanzierte Gagen mit staatlichen Mitteln aufstocken lassen. Und die Veranstaltenden waren ihrerseits mit mehr Budget ausgestattet und konnten uns mehr Gage zahlen. Dieses Jahr gibt es aber sehr viele Gelder nicht mehr. Und die Gagen sind wieder in den Keller gerutscht.
Vivi: Dieses Jahr ist es wirklich unglaublich. Aber ich meine, die Veranstaltenden, die uns buchen sind ja oft selber nicht gut aufgestellt. Wir haben zwar eine Förderung von der Initiative Musik bekommen, aber wir sind ohne Label unterwegs, allein, was wir in die Band stecken sind tausende Euro. Um das Album auch auf Vinyl pressen zu können, haben wir Crowdfunding gemacht. Und es hat funktioniert. Wir haben was zusammen bekommen. Wir freuen uns zwar riesig, aber es ist wirklich kein geiles Gefühl, die Leute, die man kennt, um Geld anzubetteln.
Ihr habt das Ganze auf Instagram vermarktet. Wie wichtig ist für euch der Social Media Auftritt?
Paul: Für Instagram gilt das gleiche wie für unsere Musikvideos. Die sind ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit und gehörten eigentlich auch schon von vornherein mit zur Grundidee unserer Band. Die Ästhetik war eigentlich schon klar bevor wir überhaupt Musik gemacht haben. Vivi macht Konzept, Regie, Styling alles selbst. Wir drücken uns mit Outfits und Make-up aus. Wir verkaufen nicht nur eine klangliche, sondern auch eine visuelle Fantasie. Und das macht einfach mega Bock.
Damit ihr euch finanzieren könnt, seid ihr größtenteils darauf angewiesen, dass Veranstaltende euch buchen. Muss man sich dabei viel gefallen lassen?
Vivi: Das ist unterschiedlich. Wir haben normalerweise einen Inklusion Rider. Darin schreiben wir den Veranstaltern vor, 50 Prozent FLINTA*-Quote einzuhalten. Man müsste den eigentlich noch erweitern, damit auch eine Quote für queere Menschen und BIPoC dabei ist, aber unser jetziger ist erst einmal auf FLINTA* beschränkt. Beim Vogelball mussten wir das zum Beispiel gar nicht erst anbringen, weil das schon im Line-up vorgesehen war. Wir versuchen ansonsten, von vornherein auch zu fragen: “Was ist euer Awareness-Konzept?” Und wenn da nicht viel kommt, fordern wir das schon ein.
Paul: Manche Veranstaltenden haben das Thema auf dem Schirm. Aber viele haben davon noch nie gehört, wenn wir den Inklusion Rider in der Anfrage erwähnen.
Inklusion Rider – zu deutsch “Inklusionsparagraph” – ist eine Vertragsklausel, die ursprünglich aus der US-amerikanischen Filmindustrie kommt. Darin wird festgelegt, dass für die Besetzung und innerhalb der Crew eines Films Gleichberechtigung herrschen soll, zum Beispiel dass mindestens 50 Prozent der Stellen mit Frauen, queeren Personen oder BIPoC besetzt werden sollen. Die Klausel stellt eine Möglichkeit für Künstler*innen dar, ihre Forderungen nach mehr Diversität vertraglich zu verankern.
Ist das etwas, wozu ihr euch als Künstler*innen verpflichtet fühlt?
Vivi: Es ist eigentlich etwas, das die Veranstaltenden mitbringen müssen. Und es ist nicht unser Job, uns darum zu kümmern. Aber gerade wenn es nicht um Themen geht, die uns selbst betreffen, ist es auch irgendwo unser Auftrag, darauf aufmerksam zu machen, dass bestimmte Personengruppen mit einbezogen werden sollten. Beispielsweise: Ihr macht ein queeres Festival oder eine queere Party – warum gibt es keine trans*Person auf dem Line-up? Warum ist das ganze Team weiß? Solche Fragen sind schon wichtig. Natürlich sprechen wir so etwas an. Nicht immer unbedingt als Künstler*innen, manchmal auch einfach als Menschen, die sich sehr privilegiert in der Welt bewegen. Das gleiche gilt natürlich für Themen, die uns direkt betreffen.
Wo würdet ihr am liebsten einmal auftreten?
Paul: Wenn wir realistisch bleiben, dann auf dem Internationalen Sommerfest vom Kampnagel. Zumindest für Hamburg ist unser Ziel, da mal wenigstens als Support spielen zu dürfen. Aber den Traum erfüllen wir uns bestimmt auch bald, wir sind dran.
Vivi: Support-Slot für Lady Gaga auch gern, falls es sich arrangieren lässt. Aber die hat ja leider nie Support-Acts. Noch nicht zumindest.