Zwei Monate lang auf acht Quadratmetern: Seit 15 Jahren stehen Regina und Hans Mantau mit ihrem Kinderkarussell auf dem Weihnachtsmarkt in Wandsbek. Aus dem Leben eines Schausteller-Ehepaars.
Titelbild: Sarah Lindebner
Der “Wandsbeker Winterzauber” ist wohl weder Hamburgs glamourösester noch größter Weihnachtsmarkt. Eine niedrige Holzumzäunung umrandet eine Kunsteisbahn und einige kleine Holzhütten. Im warmen Licht von Lichterketten werden dort Glühwein, Bratwurst und Schmalzgebäck verkauft. Die Besucher*innen scharen sich um kleine offene Feuerstellen, dampfende Tassen in den Händen.
Von einem der Eingänge schallt Kindermusik über den Platz. Ein Kinderkarussell dreht dort seine Runden. Unzählige Lichter – eine Infotafel spricht von 800 Leuchtquellen – erhellen die hölzerne Fahrbahn. Die Fahrzeuge darauf erinnern an eine Oldtimer-Ausstellung: Ein Bulli, mehrere Motorräder, zwei Traktoren und rote Feuerwehrautos drehen ihre Kreise. Vergnügte Kinder winken den Erwachsenen zu, die mit gezückten Handys vor der Fahrbahn stehen.
Man sieht dem Karussell auf dem ersten Blick an, dass es ein altes Modell ist: Das knallrote Dach ist mit Holztafeln verziert, die mit Szenen aus Grimms-Märchen bemalt sind. Der hell strahlende Mittelteil ist mit Disney-Figuren bemalt, von den Streben, die das Dach halten, baumeln Verkehrsschilder. 1951 wurde das Karussell in Handarbeit von der Firma Hennecke in Uelzen hergestellt, die Fahrzeuge sind Originale von damals.
Schausteller seit Generationen
In dem angrenzenden Kassenhäuschen trifft man das Ehepaar Mantau. Hans, mittlerweile 72 Jahre, und Regina Mantau, 67, haben sich vor etlichen Jahren auf einem Ball in Lüneburg kennengelernt und wenige Monate später geheiratet. Beide kommen aus Schaustellerfamilien – in der Szene sei es typisch, den Beruf zu “erben”, sagen sie. Ihre Tochter besitze eine Achterbahn, ihr Sohn werde irgendwann das Karussell übernehmen.
Die Mantaus sind seit den 1980ern gemeinsam selbstständig. An ihrem Umgang merkt man, wie gut sie sich kennen. Hans Mantau sagt wenig: Seit einer Operation am Kehlkopf strengt ihn das Sprechen an. Die beiden scheinen auch mit wenigen Worten zurechtzukommen.
Während Regina Mantau erzählt, sitzt ihr Mann an der Kasse, verkauft Tickets, startet Fahrten und folgt dem Gespräch. Gelegentlich wirft er seine Meinung ein. Seine Stimme ist rau, aber es schwingt ein Lachen mit. Der Ton zwischen den beiden ist vertraut, manchmal etwas ruppig. “Aber wir wissen, wie das gemeint ist”, sagt Regina Mantau.
“Hauen sie gegen das Karussell, hauen sie gegen uns”
Das Karussell haben sie Mitte der 1980er gekauft. “Wir haben ein Kinderkarussell gebraucht und von einem Kollegen gehört, der eines verkauft”, erzählt Regina Mantau. Über Mundpropaganda erfahre man von Kolleg*innen, die in Rente gehen oder ihr Geschäft aufgeben – insbesondere vor der Zeit des Internets. Mittlerweile gäbe es Online-Plattformen, über die man an Fahrgeschäfte komme, aber es sei noch immer eine eigene Gemeinschaft. Ohne Kontakte in der Branche komme man an so alte Fahrgeschäfte wie das Karussell der Mantaus nicht.
Die Karussellfabrik Hennecke, von der auch das Karussell der Mantaus stammt, hat bereits vor etwa 50 Jahren geschlossen. Ersatzteile zu bekommen sei dementsprechend schwierig. Trotz seines Alters ist der materielle Wert nicht besonders hoch – der ideelle dafür umso größer. Das Karussell sei einfach ein Liebhaberstück, das man nicht mehr hergebe. Die Mantaus hängen an ihm – über die Jahre ist es ein bisschen wie ein Stück von ihnen geworden.
Die Fahrzeuge des Karussells sind alle noch original. Alle paar Jahre bekommen sie einen neuen Anstrich. Fotos: Sarah Lindebner
Regina Mantau erzählt von dem Besuch eines TÜV-Mitarbeiters, der die Stabilität der Fahrzeuge testen wollte – indem er gegen ein Auto trat. “Ich habe ihn gefragt, wo er parkt, damit ich auch gegen sein Auto treten kann. Das ist doch auch nicht okay”, sagt Mantau. “Hauen sie gegen das Karussell, hauen sie gegen uns.”
Weihnachtsmarkt Wandsbek: 15 Jahre Tradition
Früher haben die Mantaus das Karussell öfter aufgestellt, mittlerweile rentiere sich das nicht mehr. Der Verschleiß sei zu groß. Zudem sei es aufwendig, das alte Karussell aufzubauen. Zwölf Meter Durchmesser, 16 Pfosten, gut 20 verschiedene Fahrzeuge: Allein mit dem Aufbau sind vier starke Menschen etwa neun Stunden beschäftigt. Für den Transport wird die Straße gesperrt, damit der Transporter die Einzelteile auf dem Marktplatz abliefern kann.
Zum 15. Mal sind die Mantaus am Wandsbeker Weihnachtsmark zu Gast. Regina Mantaus Cousine habe die beiden damals gefragt, ob sie Zeit hätten, ihr Karussell dort aufzubauen. In der Zeit habe der Weihnachtsmarkt ein Mal den Betreiber gewechselt, die Mantaus behielten aber ihre Verträge. Diesen bleiben sie bis heute treu. Das Schöne daran: Manche der Gäste kommen jedes Jahr – nicht nur die Mantaus verbinden eine lange Tradition mit dem Weihnachtsmarkt.
Zwölf Stunden auf acht Quadratmetern
Etwa zwei Monate verbringt Ehepaar Mantau jeden Winter auf dem Wandsbeker Weihnachtsmarkt. Um 12 Uhr öffnet der Weihnachtsmarkt. Damit die Mantaus rechtzeitig für die ersten Gäste bereit sind, brechen sie gegen 10 Uhr aus Niedersachsen auf. Ein normaler Arbeitstag dauert schon mal zwölf Stunden. Den Großteil davon verbringen Regina und Hans Mantau in ihrem Kassenhäuschen. Es ist der einzige Teil des Karussells, das nicht zum Original aus den 50ern gehört – die ursprüngliche Kasse wäre zu klein gewesen.
Das Häuschen misst acht Quadratmeter und ist mit dem Notwendigsten ausgestattet: Technik für das Karussell, ein kleiner Tresen, von dem aus sie Fahrkarten verkaufen, ein Herd, ein Kühlschrank, ein Sofa und ein Fernseher finden darin Platz. Fließendes Wasser gibt es nicht, dafür einen großen Kanister. Ein Heizstrahler arbeitet auf Hochtouren, um den Raum angenehm warm zu halten. “Man hat Geschäftliches und Privates hier, man arrangiert sich”, erzählt Regina Mantau. Sie kocht zuhause, sodass das Mittagessen im Wagen aufgewärmt werden kann. Schmutziges Geschirr nehmen sie nach einem Arbeitstag wieder mit.
Zuhause bleiben ist ungewohnt
Den Rest des Jahres touren die beiden mit ihrem Autoscooter über kleinere Schützenfeste rund um Hannover, Braunschweig und Goslar. Normalerweise sind sie fast elf Monate im Jahr unterwegs. Die Corona-Pandemie bedeutete einen scharfen Einschnitt in das Leben des Paars: Zuhause bleiben war ungewohnt, sie fühlten sich eingesperrt. “Irgendwann kannte ich jeden Grashalm”, sagt Mantau. “Besonders schlimm war, dass man nicht wusste, wann es wieder weiter geht.” Der vergangene Winter war von Unsicherheit geprägt: Zwar durften sie ihr Karussell aufbauen, aber es war nie sicher, wie lange der Weihnachtsmarkt noch geöffnet haben würde. Dazu kamen komplizierte Sicherheitsauflagen.
Zudem stellte die Pandemie viele Schausteller*innen vor finanzielle Probleme. “Aber man ist sehr kollegial und hilft sich, man baut sich gegenseitig auf”, sagt Mantau. Generell sei Gemeinschaft in der Branche wichtig. “Vor kurzem wurde in den Wagen eines Kollegen eingebrochen und alles verwüstet. Für ihn wurde schnell ein Spendenkonto eingerichtet”, erzählt sie.
“Selbst und ständig”
Auf die Frage, ob sich das Geschäft lohnt, überlegt Regina Mantau nur kurz: “Wir kennen es nicht anders. Unsere Großeltern haben das schon gemacht.” Die Selbstständigkeit gebe ihnen Freiheit: Theoretisch muss der Betrieb um 12 Uhr laufen – wenn nicht, wäre das aber dennoch die Sache der Mantaus. „Selbstständig setzt sich aus ‘selbst’ und ‘ständig’ zusammen”, sagt Regina Mantau. “Man ist immer parat, aber man kann auch selbst entscheiden.”
Natürlich sei das manchmal anstrengend. “Aber jeden Tag zur gleichen Tag ins Büro fahren könnte ich mir nicht vorstellen. Es ist ein sehr menschennaher Beruf, und jeden Tag passiert etwas Anderes. Das Leben ist schön”, findet Regina Mantau.