Queere Menschen erfahren auch bei Ärzt*innen häufig Diskriminierung. Die Website Queermed listet Praxen auf, in denen queere Menschen gute Erfahrungen gemacht haben. Gründer*in Sara Grzybek erklärt, wie Queermed funktioniert und was sich am Gesundheitswesen ändern muss.
Titelbild: Mirjam Bär
Triggerwarnung: In diesem Beitrag werden Erfahrungen mit Deadnaming nacherzählt.
Wenn man krank ist, lässt man sich medizinisch behandeln – für die meisten ein simpler Zusammenhang. Weniger einfach ist die Thematik für queere Menschen und People of Color: Menschen werden misgendert, in Erklärungsnot gebracht und diskriminiert. Das kann sogar dazu führen, dass einige den Gang zu Ärzt*innen komplett meiden.
Ein Beispiel für Diskriminierung bei Ärzt*innen ist die Geschichte von Benno. Er ist trans und teilt auf seinem Instagram-Kanal die Geschichte seiner Transition. Dazu gehören leider auch seine zum Teil schlechten Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem. Benno ist damit einer der wenigen, die ihre Erfahrungen veröffentlichen.
Ein Beispiel: Deadnaming
Er hat Deadnaming durch die Krankenkasse erlebt. Deadnaming bezeichnet die Ansprache einer Person, die einen neuen Vornamen angenommen hat, mit dem alten, von der betreffenden Person nicht mehr verwendeten Vornamen (“Deadname”). Deadnaming passiert also, wenn Benno nicht mit Benno, sondern seinem früheren weiblichen Vornamen angesprochen wird.
Benno: Ich konnte meinen Namen bisher noch nicht amtlich ändern lassen. Deshalb steht bei der Krankenkasse auch mein Deadname nach wie vor auf allen Dokumenten. Für die Kostenübernahme der geschlechtsangleichenden Operation musste ich dann einen Antrag stellen. Da habe ich auch nochmal gesagt, dass es mich freuen würde, mit meinem männlichen Namen und “er” angesprochen zu werden. In der Kostenzusage der Krankenkasse stand dann trotzdem wieder “Frau” und mein weiblicher Vorname. Das wurde komplett ignoriert.
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Diskriminierung ist statistisch erfasst
Der Verein Transgender Europe e.V. meldet im Trans Discrimination Report von 2021, dass 30 bis 46 Prozent der befragten trans* Personen Diskriminierung im Gesundheitswesen erlebt haben. Die Zahlen waren am höchsten bei den Betroffenen, die angaben, offen mit ihrer trans* Identität umzugehen. Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Deutschland gingen 2021 im Zusammenhang mit Geschlecht 1.151 Meldungen von Diskriminierungserfahrungen ein. Bezüglich sexueller Identität gab es 240 Meldungen.
Intersektionalität ist wichtig
Die Website Queermed-Deutschland.de listet Praxen auf, in denen unter anderem queere Menschen und People of Color gute Erfahrungen gemacht haben. Eine gute Erfahrung kann zum Beispiel eine hilfreiche Behandlung sein, bei der sich Patient*innen wohl und im besten Fall nicht diskriminiert gefühlt haben. Dabei kommt auch Intersektionalität zum Tragen. Intersektionalität beschreibt die Überschneidung mehrerer Diskriminierungsformen.
Sara Grzybek hat Queermed Deutschland gegründet und betreibt die Website. Grzybek möchte ohne Pronomen angesprochen und vorgestellt werden. Daher kommt der Name Sara Grzybek im folgenden Interview in der indirekten Rede über Queermed häufiger vor.
FINK.HAMBURG: Sara Grzybek, wofür ist Queermed da?
Sara Grzybek: Queermed ist ein Verzeichnis, in dem Menschen, die Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitswesen gemacht haben, Safer Spaces finden. Anhand eines mehrseitigen anonymen Fragebogens können Menschen eine positive Empfehlung für eine Praxis oder eine Klinik abgeben. Das gilt für alle möglichen medizinischen und therapeutischen Fachbereiche. Danach ordnet man sich selbst Personengruppen zu, denen man sich zugehörig fühlt. Die reichen von non-binär, trans, inter bis hin zu Migrant*innen, Muslim*innen, Schwarzen Personen, People of Color oder bis hin zu Menschen mit positivem HIV-Status, Menschen mit chronischen Erkrankungen, Menschen, die Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gemacht haben, mehrgewichtige oder wenigergewichtige Menschen.
Forschung und Ausbildung muss diverser werden
Sara Grzybek erwähnt, dass die Medizin seit Jahrhunderten eigentlich nur von weißen Menschen für weiße Menschen gemacht worden sei und auch die Forschung sich nur an diesen orientiert habe. Grzybeks Meinung nach muss sowohl Ausbildung als auch Forschung im Gesundheitsbereich dringend diversifiziert werden.
Grzybek: Die medizinische Ausbildung und Forschung findet immer noch überwiegend in einer weißen privilegierten Bubble statt. Es werden hauptsächlich Studien mit weißen jungen cis Männern gemacht, die medizinischen Bücher zeigen nur weiße Idealkörper. Das ist ja ein extrem kleiner Blick. Daraus ergibt sich ein Konglomerat an Problematiken, vor denen dann Patient*innen, die Diskriminierungserfahrungen machen, dann stehen. Hier überlagern sich Vorurteile gegenüber bestimmten Personengruppen mit dem fachlichen Unwissen.
Was wäre die Lösung?
Grzybek: Wir müssen mehr Forschung in bestimmten Themen betreiben, um dem eigentlichen Ziel von Ärzt*innen und Therapeut*innen gerecht zu werden: allen Menschen nach besten Gewissen und Ermessen zu helfen.
Wann ist eine Praxis eine gute Praxis?
Grzybek: Idealerweise wäre es so, dass Patient*innen inklusiv angesprochen werden. Vor allem auch in Praxen, die nur von einem bestimmten Gender besucht werden. Jetzt ganz krasses Beispiel: gynäkologische Praxen. Die müssen jetzt nicht unbedingt als “Frauenärzte” betitelt werden. Es gibt dafür auch medizinische Begriffe, die nicht gegendert sind. So etwas sind einfache Möglichkeiten, eine gute Praxis zu sein. Das geht von der Präsenz auf der Website bis hin zu den Praxisräumen: Was gibt es für Auslegematerial, wie wird gegendert, wie weiß und heteronormativ sind Fragebögen?
Besonders wichtig sei auch Allyship, sagt Sara Grzybek. Bedeutet: Wie befasse ich mich allgemein mit dem Thema? Nach welchen Kriterien stelle ich mein Personal ein? Reflektiere ich meine unterbewussten Vorurteile, bilde ich mich weiter?
Eine erste Anlaufstelle dafür bietet zum Beispiel der Praxisleitfaden auf der Queermed Deutschland-Website. Außerdem gibt es auf der Website eine Bücherliste mit Empfehlungen zum Beispiel zum Reflektieren von rassistischem Verhalten.
Warum es so schwierig ist, darüber zu sprechen
Bei der Recherche für diesen Beitrag war es schwierig, Menschen zu finden, die ihre schlechten Erfahrungen teilen wollten. Warum ist es für Betroffene so schwierig, darüber zu sprechen?
Grzybek: Ich denke, das hat damit zu tun, dass sich Menschen besonders in diesem Ärzt*innen-Patient*innen-Verhältnis in einem Machtgefälle befinden. Sie sind in dem Moment sozusagen ausgeliefert, weil sie auf die fachliche Expertise einer anderen Person angewiesen sind. Und natürlich ist es auch ein verständliches Verhaltensmuster, dass Menschen Diskriminierung vermeiden möchten. Weil sie wissen, wie es sich anfühlt und damit tagtäglich leben, damit vielleicht sogar aufgewachsen sind. Und dann kann es natürlich auch für viele Menschen triggernd oder traumatisierend sein, über bestimmte Erfahrungen zu sprechen.
Queermed Deutschland wird von Sara Grzybek allein betrieben. Grzybek hält die Website aktuell, bearbeitet Empfehlungen, betreut die Social-Media-Kanäle und designt Flyer und anderes Informationsmaterial. Viele Arbeitsabläufe kennt Sara schon aus der Arbeit im Online-Marketing. Queermed finanziert sich ausschließlich durch Spenden.
Weitere Informationen über Anlaufstellen für queere Menschen speziell in Hamburg sind hier aufgelistet. Erfahrungen von People of Color mit Rassismus im deutschen Gesundheitswesen teilt zum Beispiel der Instagram-Kanal “Was ihr nicht seht” .
Um diesen und weitere Beiträge zum Thema Gender und Queeres Leben geht es auch im FINK.FUNK-Podcast. Die Redakteurinnen Anita Stall, Joana Kimmich, Maria Gassner, Laura Reichhart und Mirjam Bär untersuchen die Phänomene Queerbaiting, Gender Pay Gap und Pink Tax und informieren über die Initiative Queermed und das Gleichbehandlungsgesetz.