Seit September 2022 protestieren weltweit Menschen gegen das Regime des Iran. Das Kollektiv „Mission: Keep the Revolution going!“ organisiert einen Soli-Rave und eine Spendenaktion. FINK.HAMBURG war vor Ort.
Um die Ecke von einem Parkhaus, in einer Straße voller Büros in Altbaugebäuden, scheint alles ruhig zu sein. Etwas weiter die Straße entlang hört man einen dumpfen, aber rhythmischen Bass. Es ist Samstagnacht und an einer der Türen der schicken Bürogebäude klebt ein handgeschriebener Zettel mit einer Handynummer an der Scheibe. Hier geht es wohl zum Soli-Rave.
Nach kurzer Zeit holt uns ein Mann in einer Weste über einem bunt gemusterten Hemd an der Tür ab. Er führt uns durch eine helle Eingangshalle und begleitet uns zum Aufzug. Oben angekommen, stehen wir in einem kleinen, etwas nebligen Vorraum, wo sonst vermutlich der Empfang ist. Empfohlen werden zehn Euro für den Eintritt.
Für die feministische Revolution in Iran
Die Veranstaltung in dieser Off-Location wurde von einer kleinen Gruppe ins Leben gerufen, unter anderem von Timo Schlee, selbständiger Unternehmer, und Yeliz Cakarcan, freiberufliche Beraterin in einer Werbeagentur. Beide kommen aus Hamburg und beide finden, dass die feministische Revolution in Iran zu wenig Aufmerksamkeit in den deutschen Medien bekommt. Der Soli-Rave hat eine Mission: Keep the Revolution going!
Im September 2022 löste der gewaltsame Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini Proteste gegen das Regime des Iran aus. Die 22-Jährige wurde von der iranischen Sittenpolizei festgenommen, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig getragen habe und so gegen das Hijab-Gesetz verstoße. Die Polizei soll Augenzeugenberichten zufolge auf den Kopf der Frau eingeschlagen haben. Seitdem gehen weltweit Menschen auf die Straße und demonstrieren gegen das Regime und die Sittenpolizei.
Alle Einnahmen, die vom Eintritt, der Garderobe und der Bar zusammenkommen, werden den Organisator*innen zufolge an Háwar.Help e.V. gespendet, einer Menschenrechtsorganisation, die sich ursprünglich für den Schutz von Jesiden gegründet hat. Sie bieten Entwicklungs-, Bildungs-, und Aufklärungsprogramme in Irak, Afghanistan und Deutschland an. Jetzt machen sie sich auch für die Revolution in Iran stark.
„Háwar.Help hat zwar ihre eigene Kampagne, wir wollten aber einen zusätzlichen Kanal generieren, um mehr Awareness zu schaffen,“ so Yeliz. „Wir sind viele private Leute, die ihre Instagram-Profile als Multiplikator einsetzen wollen.“
Soli-Rave im Großraumbüro
Nach Abgabe der Eintrittsspende wird uns ein Herzchen auf den Arm gemalt. Geradeaus geht es durch einen Türeingang zur Bar, links hinter uns geht es zur Garderobe. Man erkennt, dass man in einem Großraumbüro ist – auch mit den bunten Lichtern, die durch den Nebel scheinen und den quallen-artigen Dekorationen, die von der abgehängten Decke hängen. In einer Ecke stehen Sofas unter drei Plakaten. Auf dem Plakat in der Mitte steht in großen Buchstaben: „We have a dream, Iran is free.“
Aus dem nächsten Raum dröhnt harter Techno. Menschen tanzen dem DJ-Pult am anderen Ende des Raumes zugewandt – so eifrig, dass sich an einigen Stellen das Klick-Laminat vom Fußboden löst. Wer hier wohl normalerweise sitzt? An diesem Abend ist der Raum jedenfalls ein Ort zum Tanzen und um Solidarität zu zeigen.
Festnahmen, Todesurteile, Hinrichtungen in Iran
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete zuletzt von drei Protestierenden in Iran zwischen 18 und 31 Jahren, die im Dezember 2022 zu Tode verurteilt wurden. Nach ihrer Festnahme zwischen Ende September und Anfang Oktober 2022 sollen Handelnde der Iranischen Revolutionsgarde laut Amnesty die drei Männer auf brutale Art gefoltert, bedroht, teilweise auch vergewaltigt und sexuell missbraucht haben.
Seit Beginn der Proteste im September 2022 sind nach Angaben der Human Rights Activists News Agency (HRANA) mindestens 527 Menschen in Iran getötet worden, darunter auch 71 Minderjährige. Die Organisation HRANA geht außerdem von mehr als 20.000 Festnahmen aus, von denen mehr als hundert ein Todesurteil drohe.
„Wir wollen den politischen Forderungen Gehör verschaffen“
„Es war ein langer Weg herauszufinden, was man tun oder wo man spenden kann“, so Timo. Das Kollektiv „Mission: Keep the Revolution going!“ wollte ursprünglich vor Ort in Iran humanitäre Hilfe leisten. Allerdings mussten sie schnell feststellen, dass das nicht möglich ist.
„Das ist sanktioniert vom iranischen Regime. Deswegen wollen wir versuchen, von außen diesen Druck zu erhöhen,“ erklärt Yeliz. „Mit unserer Spendenaktion wollen wir Organisationen wie Háwar.Help unterstützen und diesen politischen Forderungen Gehör verschaffen. Wir vertrauen Háwar.Help, weil wir wissen, dass sie nicht nur Demos, Kongresse und runde Tische hier veranstalten, sondern auch Kontakt mit Menschen im Iran haben.“
Aus dem kleinen Gedanken, eine Veranstaltung in Solidarität mit der Revolution in Iran zu organisieren, ist laut Timo schließlich eine größere Spendenaktion entstanden. Das Kollektiv „Mission: Keep the Revolution going!“ hat sich bis Ende Februar 10.000 Euro als Spendenziel gesetzt. Die Spendenaktion läuft über betterplace.org und soll vorerst über den Instagram-Account @mission_revolution_iran verbreitet werden.
„Wir können uns auch vorstellen – wer weiß wie dynamisch die Sache wird –, dass wir vielleicht noch mehr Aktionen planen,“ überlegt Timo. „Das steht aber alles noch in den Sternen.“
Dynamisch ging es zumindest an dem Samstagabend des Soli-Raves zu. Um 4:12 Uhr morgens tanzten die Unterstützer*innen auf den zerstreuten Laminat-Stücken zu DJ Bärbel – ein rhythmisches „It’s time for revolution“ unter ihre Techno-Beats gemischt.