Vor dem Drob Inn hinterm Hamburger Hauptbahnhof treffen sich an manchen Tagen bis zu 200 Drogenabhängige, denn hier bekommen sie Hilfe. Für sie ist der Vorplatz ein Wohnzimmer, für viele Passanten aber ein Schandfleck. Nun soll der Platz endlich schöner werden.
Tiefe Stimmen, ab und zu lautes Rufen. Schon von weitem hört man die Menschenmasse murmeln. Es lässt sich nur erahnen, wie viele Menschen dort stehen. Im trüben Morgenlicht erkennt man nur einen Teil der Menschenansammlung auf dem Vorplatz. In der Ferne. Hinter dem Museum für Kunst und Gewerbe und neben der Zentralbibliothek. Denn Passanten trennt von diesem Ort eine weitläufige vermüllte Parkfläche mit noch kahlen Bäumen. Einige Gestalten trennen sich von der Gruppe und laufen über das offene Gelände. Gebückt, abgemagert, die Kapuze tief im Gesicht. Einer kniet mitten auf dem Platz und wühlt geistesabwesend in der Erde.
Als es zu nieseln beginnt, kommt nach und nach Bewegung in die Masse. Die nackten Äste der Eichen bieten im April noch keinen Schutz vor der kalten Nässe, trotzdem versuchen einige sich dort unterzustellen. Sie bleiben hartnäckig, obwohl es mittlerweile schüttet. Völlig durchnässt, als wäre jetzt auch alles egal. Andere rennen zu den gegenüberliegenden Gebäuden auf der anderen Straßenseite. Ein Mann ohne Jacke hält schützend eine dicke Wolldecke über dem Kopf, ein anderer hebt sie von hinten an und schlüpft unbemerkt dazu. Nun erst wird deutlich, wie leer der Platz eigentlich ist.
Dort, wo vor wenigen Minuten noch eine meterlange Menschenschlange stand, erkennt man jetzt den Eingang eines graubraunen Gebäudes. Die Wände besprüht mit Graffitis. Auf dem Vorplatz keine Bänke, keine Mülleimer, keine Lampen, kein Dach. Nur Müll, Matsch, harter Beton und ein metallener Zaun, über dem ein triefender Schlafsack hängt. Die Sicht ist plötzlich frei auf einen Ort, den die Stadt für ihre schwerkranken Menschen vorsieht.
Egal ob Crack, Heroin oder Kokain
In dem graubraunen Gebäude an den Gleisen hinter dem Hauptbahnhof befindet sich das Drob Inn. Hierher kommen drogensüchtige Menschen. Ob Crack, Heroin oder Kokain, in dem ehemaligen Bürogebäude am August-Bebel-Park erhält jede*r Hilfe. Und das so direkt und einfach wie möglich. Sie bekommen eine warme Mahlzeit, ein offenes Ohr, saubere Nadeln und einen sicheren Raum zum Konsumieren. Nur die Drogen müssen die Besucher*innen selbst mitbringen. Im Ernstfall ist immer Hilfe da.
Ins Drob Inn – von Klient*innen auch Drob genannt – kommt, wer sonst nirgendwo hin kann. Die meisten der Klient*innen sind nicht wartezimmertauglich, verwahrlost, werden schnell aggressiv und können deshalb in gewöhnlichen Krankenhäusern nur schwer behandelt werden. Viele hätten Doppeldiagnosen, erzählt Christine Tügel, Geschäftsführerin des Drob Inn Trägers, Jugendhilfe e.V., seien also zusätzlich zu ihrer Sucht auch psychisch krank. Körperliche Leiden kommen oft hinzu. Für die nötigste medizinische Hilfe ist im Drob Inn ist gesorgt – von offenen Wunden über amputierte Gliedmaßen bis hin zu extremen Infektionen.
Seit 2003 gibt es die Einrichtung bereits am Besenbinderhof. Seitdem habe sich vieles verändert, erzählt Tügel. Noch in den 1990ern lagen auf den Spielplätzen in St. Georg die Spritzen herum und Hamburg hatte ein großes Problem mit der offenen Drogenszene rund um den Hauptbahnhof. Das ist heute nicht mehr der Fall. Der Standort sei ideal, betont Tügel. Er sei nicht zu weit weg vom Bahnhof und abgesehen von der Zentralbibliothek und dem Museum für Kunst und Gewerbe (MGK) in keiner direkten Nähe zu Einwohnern. Tügels Büro befindet sich in einem Gebäude, das direkt an das Drob Inn angrenzt. Betritt man die Eingangshalle, schließt die Tür mit einem Summton automatisch.
Drob-Inn-Vorplatz als Wohnzimmer
Für die meisten Hamburger*innen ist der Platz eine schmutzige Ecke. Für viele Drogensüchtigen einer der wenigen Orte, an dem sie sich unbehelligt aufhalten können. Täglich besuchen das Drob Inn rund 400 Menschen, manchmal halten sich auf dem Platz bis zu 200 Menschen gleichzeitig auf. „Für unsere Klient*innen ist das ihr sozialer Kontaktraum, ihr Wohnzimmer“, sagt Tügel. Der Ort bietet den Drogenabhängigen einen Schutzraum, in dem sie von der Polizei größtenteils in Ruhe gelassen werden. Zwar fährt die Polizei regelmäßig Streife und hat ständige Einsicht auf das Gelände, allerdings wird häufig nur dann eingeschritten, wenn es zwischen Klient*innen zu Auseinandersetzungen kommt.
Streitereien finden häufig in Dunkelheit statt, wenn sich viele Menschen unter dem spärlichen Licht versammeln. „Keine einzige Lichtquelle gibt es auf dem Platz“, erzählt Tügel und lacht kopfschüttelnd. Nur am Gebäudeeingang seien zwei Lampen. Manche kochen dort nachts ihren Stoff auf, jemand wirf im Vorbeigehen einen Schatten, etwas wird verschüttet und es gibt Ärger. Beleuchtung sei dringend nötig, erklärt sie. „Wenn dort ein Drogennotfall ist oder auch eine Auseinandersetzung, dann gehen die Mitarbeitenden ins Dunkle und können nicht sehen, wie genau die Situation ist. Dasselbe gilt natürlich auch für die Polizei. Und auch für Passanten ist das ein unsicheres Gefühl, wenn man in die Dunkelheit horcht und denkt: Da ist irgendwas.“
Raus aus dem Dunkeln
Das Licht sei nur eines der vielen Probleme auf dem Platz vor dem Drob Inn, erzählen Felix Schreiber und Felix Egle. Sie sind Teil des Berliner Gestalter-Netzwerkes Constructlab. Im Oktober 2018 trat das MKG an sie heran. Die Gestalter sollten sich für eine Ausstellung zum Thema “Social Design” mit der Umgebung des Museums auseinandersetzen. Schnell lag der Fokus auf dem Vorplatz des Drob Inns und die Designer begannen mit einer Entwurfsplanung zur Umgestaltung.
Einsichtnahme, Licht und Niederlassen waren dabei die drei Hauptelemente, erklären Schreiber und Egle. Aktuell sitzen die Menschen, die sowieso schon körperlich belastet sind, auf Kantsteinen entlang des Bahnzauns. Mehr oder weniger auf dem Boden. Im Rahmen einer schriftlichen Umfrage haben die Designer die Meinungen derjenigen eingeholt, die viel Zeit auf dem Vorplatz verbringen. Einer schreibt: „Macht es bloß nicht schöner. Der Platz ist gut so. So schlecht, versifft und dreckig, wie er ist. Es solle nicht nett sein, sich dort aufzuhalten.“ Der Großteil aber will es schöner haben. Manche wünschen sich neben dem Nötigsten auch einen Teich, ein Schachbretttisch oder eine Schaukel. Etwas, das den Platz freundlicher macht.
Schreiber erzählt, in welchem Zwiespalt das Projekt sie brachte. Der Platz soll menschenfreundlicher werden, aber nicht zu menschenfreundlich – quasi ein Anti-Design. Die Hamburger Sozialbehörde möchte verhindern, dass Drogensüchtige sich dauerhaft hier aufhalten und lagern. Knapp 55 Prozent der Drob Inn Nutzer*innen seien obdachlos, erzählt Tügel. Die Lösung von Constructlab: Konstruktionen zum Anlehnen statt Bänke zum Schlafen. Die Überlegung war auch, ein Segel als Witterungsschutz aufzuspannen. Aus einem Material, das Wasser langsam hindurchsickern lässt – ähnlich wie ein Baum.
Eine weitere Herausforderung: Die Klientel ist nicht gerade einfach. Getrieben von ihrer Sucht zerhauen manche die Treppenstufen zum MKG, schaben an den Bäumen oder wühlen im Sand, weil sie dort Drogenverstecke vermuten. Die Befürchtung: Einfache Bänke könnten zum Beispiel auseinandergenommen und als Waffe umfunktioniert werden.
Statt extravagantem Design …
Schnell wird deutlich: Der Entwurf für den neuen Vorplatz ist mehr als nur ein Projekt für eine Ausstellung. Anfangs stellt der Gesundheitssenat in Aussicht, die Pläne des Architekturkollektivs umzusetzen, so Egle. Nach der Bürgerschaftswahl im Februar 2020 wird die Gesundheitsbehörde allerdings mit der Sozialbehörde zusammen – und das Projekt erstmal auf Eis gelegt.
Ein Jahr später wird die Landschaftsarchitektin Gudrun Lang von der Stadt mit dem Umbau beauftragt. „Ich bin richtig reingestolpert in dieses Projekt“, erzählt sie. Sie verstehe nicht, warum nicht die Leute genommen wurden, die sich schon damit auseinandergesetzt haben. Die Pressestelle der verantwortlichen Sozialbehörde begründet: Das Mobiliar des ursprünglichen Designs sei zu „extravagant“ gewesen. Mit dem neuen Entwurf geht allerdings ein wichtiger Faktor verloren: Die Wünsche und Bedenken der Drogenabhängigen. Lang erzählt, dass ihr weder der alte Entwurf noch Informationen aus der Befragung der Drob-Inn-Klientel vorlagen. Auch Jugendhilfe e.V., der Träger des Drob Inns, wurde nach einigen Angaben anfangs nicht in die neue Planung miteinbezogen.
… Gefängnisgitter
Inzwischen sind sich alle Beteiligten einig – es wurde schon zu lange diskutiert. Im Juni 2023 sollen die Bauarbeiten endlich beginnen. Die beiden Pläne von Constructlab und Lang stimmen in grundlegenden Punkten überein. Es soll 25 cm breite Sitzkanten geben, Witterungsschutz und ausreichende Beleuchtung. Allerdings keine Mülleimer, die wurden in der Vergangenheit häufig als Toilette missbraucht. Die Reinigung des Vorplatzes findet durch eine Kehrmaschine statt, die mit einem Saugrohr über den Platz fährt – ohne dass jemand aussteigen muss.
Langs Entwurf sieht vor, dass sich die Besucher*innen des Drob Inns vor allem im hinteren Teil des Vorplatzes aufhalten sollen. In der Klient*innen-Befragung ist aber gerade das der Bereich, an dem sich Frauen bisher am unwohlsten fühlen. „Stinkender Puma Käfig“ nennen sie ihn. Dort stünden nur Männer, es komme häufiger zu Übergriffen. Außerdem kapselt der Ausbau nach hinten den Vorplatz noch weiter von der Öffentlichkeit ab, kritisiert Egle. Auch die geplante Überdachung hält er für problematisch. Diese soll aus Metallgitterstäben gefertigt werden – ein bisschen wie Gefängnisgitter. Einen Schutz vor Regen bietet das nicht wirklich, höchstens vor Sonne. „Das Gefühl von Funktionalität ist jetzt am lautesten“, sagt Egle. Das Metall und die Gitteroptik wirken kalt und abweisend.
Platz für mehr Akzeptanz
„Das ist kein Schandfleck, sondern ein Ort, an dem Menschen gerettet werden.“ Ein Krankenhaus sähe doch auch anders aus, stellt Felix Schreiber fest. Was das Drob Inn und ein Krankenhaus verbindet? Beides sind Anlaufstellen für schwerkranke Menschen. Nur dass ein Krankenhaus gesellschaftlich akzeptiert ist und in der Regel nicht mit Graffitis und Metallgitterstäben versehen ist. Ein Ort, der auch von außen an die Bedürfnisse kranker Menschen angepasst ist und ihnen gerecht wird – das würde sich Schreiber für das Drob Inn und seinen Vorplatz wünschen.
Tügel erhofft sich eine höhere Akzeptanz Drogenabhängiger in der Gesellschaft. „Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft offener dafür wird, zu akzeptieren, dass es sich um eine schwere psychische Erkrankung handelt. Dass die Betroffenen nicht selbst schuld daran sind, sondern dass es eine Erkrankung ist, die jeden treffen kann. Diese Menschen sind eben auch Teil unserer Gesellschaft und haben ihr Recht auf einen Platz.“ Für alle Beteiligten sei das Projekt aber – ganz unabhängig davon, welches Design umgesetzt wird – ein Erfolg. Einfach, weil endlich etwas passiert.
Lena Gaul, Jahrgang 1998, filmt und tanzt auf fremden Hochzeiten: Sie arbeitet seit
ihrem Bachelor-Abschluss in Medien und Kommunikation für eine Hamburger
Hochzeitsagentur. Lena ist in Ingelheim geboren, und obwohl ihre Mutter aus
Thailand stammt, hält sich ihr Fernweh in Grenzen. So zog Lena zwar für ihr
Studium nach Passau, jedoch ohne die Stadt jemals besucht zu haben. Mittlerweile
will sie nicht mehr Hochzeitsplanerin werden, sondern lieber wieder mehr schreiben,
wie bereits in ihrem Praktikum in einer Social-Media-Agentur. Das geht auch ohne zu
verreisen. (Kürzel: len)