Während Andere in ihren warmen Wohnungen sitzen, ist sie mit ihrem Team nachts in der Kälte auf den Straßen Hamburgs unterwegs und versorgt Obdachlose: Christina Pillat-Prieß ist Projektkoordinatorin beim Kältebus Hamburg. FINK.HAMBURG traf sie zum Interview.
Beitragsbild: Jacqueline Kurjahn (erstellt mit Canva)
Warme Worte, eine Decke, ein heißer Tee: Der Kältebus Hamburg ist im Winter auf den Straßen Hamburgs unterwegs und versorgt obdachlose Menschen bei der Kälte mit dem Nötigsten, bringt sie bei Bedarf auch in Notunterkünfte. Christina Pillat-Prieß ist Koordinatorin für das Projekt Kältebus Hamburg. Seit knapp 20 Jahren ist sie in der Obdachlosenhilfe aktiv. Sie weiß, was den obdachlosen Menschen in der kalten Jahreszeit hilft, welche gut gemeinte Hilfe eher unangebracht ist und wie man mit Berührungsängsten umgehen kann.
Hilfe für Obdachlose seit fünf Jahren
FINK.HAMBURG: Christina, wie ist denn das Projekt des Kältebus Hamburg entstanden?
Christina Pillat-Prieß: Den Kältebus haben wir im Dezember 2018 ins Leben gerufen, weil es schon um diese Zeit mehrere Kältetote gab. Da waren wir der Meinung: Wir müssen jetzt sofort was dagegen tun. Innerhalb von fast vier Wochen haben wir ein Team auf die Beine gestellt, ein Auto geliehen und waren dann Anfang Januar 2019 auf der ersten Tour. Mehr oder weniger unvorbereitet haben wir nach den Menschen geguckt, die auf der Straße leben.
Wir haben uns damals in erster Linie als eine Notlösung gesehen, um eine Lücke im System zu schließen. Zwischen den Notunterkünften der Stadt und dem professionellen Rettungsdienst ist niemand für die Obdachlosen zuständig. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Leute in die Notunterkünfte zu bringen und uns um die Menschen zu kümmern, die da nicht hinwollen. Zu schauen, was können wir für Sie tun, ihnen Aufmerksamkeit entgegenbringen und ihnen Wertschätzung zu vermitteln.
Der Kältebus Hamburg ist von November bis April jede Nacht von 19 bis 24 Uhr unter 0151 – 65 68 33 68 zu erreichen.
FINK.HAMBURG: Wie genau arbeitet der Kältebus in Hamburg?
Christina Pillat-Prieß: Unser Hauptinteresse gilt den Anrufen aus der Bevölkerung. Wir bitten die Menschen immer um ihre Aufmerksamkeit und Mithilfe: Wenn ihr einen obdachlosen Menschen seht, der Hilfe benötigt, sprecht ihn an, klärt ab, ob er wirklich Hilfe wünscht, dann ruft uns an. Sollten keine Anrufe eingehen, dann fahren wir die Platten ab, die wir kennen. Und gucken, wie es den Menschen dort geht, ob wir helfen können. Wir wissen nie, was uns erwartet. Keine Fahrt ist planbar. Das hängt auch von der Wetterlage ab und was für ein Wochentag ist. Langweilig wird es eigentlich nie. Es gibt immer was, was man tun kann.
FINK.HAMBURG: Wie sind die Reaktionen der obdachlosen Menschen auf den Kältebus?
Christina Pillat-Prieß: Die Reaktion auf uns ist in der Regel freundlich. Die obdachlosen Menschen freuen sich, wenn wir kommen. Sie fragen im Vorhinein schon immer, wann wir wieder unterwegs sind oder wieder kommen. Ob sie dann mit in die Notunterkünfte mitkommen wollen, das hat weniger mit uns zu tun. Manchmal dauert das auch ein bisschen. Es ist vor allem Geduld gefragt und es erfordert auch wiederholtes Aufsuchen auf den Platten. Es gab mal eine Person, die war unten an der Elbe. Es hat fast drei Jahre gedauert, bis sie soweit war, um ihre Platte einmal zu verlassen und sich auf die Veränderung einzulassen.
Sie freuen sich oft auch über einen Kaffee, über einen Tee oder eine heiße Suppe. Obdachlose Menschen verlieren auch ihre sozialen Kontakte und freuen sich, wenn sich mal jemand für sie interessiert. Die Grundlage für die Arbeit ist das Vertrauen der Menschen. Und das ist manchmal gar nicht so leicht zu bekommen, weil sie sehr schlechte Erfahrungen in ihrem Leben machen. Inzwischen sind wir so viele Jahre unterwegs, dass sie uns auch kennen und mehr Vertrauen in uns haben.
FINK.HAMBURG: Also kann ein Kaffee oder Tee auch schon helfen in der Kälte?
Christina Pillat-Prieß: Ja, aber immer fragen, ob die Leute das auch haben möchten. Nicht einfach hinbringen. Vielleicht haben sie schon zehn Liter Kaffee an dem Tag angeboten bekommen. Am besten immer fragen: Wie können wir helfen? Und wenn die Person dann etwas zu essen möchte, dann kann man ein Brötchen organisieren. Wenn sie was trinken möchte, kann man ja fragen: „Was möchtest du trinken, Kaffee oder Tee?“
FINK.HAMBURG: Wie gehst du denn auf die Menschen zu?
Christina Pillat-Prieß: Wenn ich durch die Stadt fahre und obdachlose Menschen auf der Straße liegen sehe, gehe ich auf sie zu und spreche sie an. Meistens sehen sie schon unser Auto und wissen dann auch, woher wir kommen. Dann sag ich: „Ich bin Christina vom Kältebus und ich wollte mich mal erkundigen, ob wir was für euch tun können. Möchtet ihr vielleicht ein heißes Getränk oder in eine Unterkunft?“ Das Gespräch ergibt sich dann meistens. Das muss man dann einfach so ein bisschen laufen lassen, wie es kommt. Man darf da nicht immer so mit einer festen Erwartung rangehen.
Obdachlose in der Kälte: So können Hamburger helfen
FINK.HAMBURG: Wie kann denn die Bevölkerung helfen und worauf müssen sie achten?
Christina Pillat-Prieß: Also erstmal wünsche ich mir die Aufmerksamkeit der Menschen für die Obdachlosen, dass sie nicht einfach vorbeigehen, sondern mal gucken, wenn ihnen die Situation merkwürdig erscheint. Wenn die obdachlosen Personen dasitzen und sich fröhlich unterhalten, ist ja alles gut. Aber wenn da jemand merkwürdig auf dem Asphalt liegt, ohne eine Isomatte und Schlafsack bei Minustemperaturen, dann besteht die Gefahr, dass er erfriert.
Wenn man dann nicht weiterweiß, kann man zwischen 19 und 24 Uhr den Kältebus anrufen. Tagsüber kann man sich an die Hotline der Sozialbehörde wenden. Und natürlich mit ihnen ins Gespräch kommen. Wenn du jemanden triffst, dem es nicht gut geht, nimmst du ihm dadurch schon die Angst, dass du dich um ihn kümmerst. Das muss dann auch gar nicht immer so professionell sein. Und wenn du es natürlich als einen medizinischen Notfall erachtest, dann rufe bitte einen Rettungswagen. Zum Beispiel, wenn die Person langsam oder gar nicht atmet. Besser einmal zu viel den Rettungswagen rufen als zu wenig. Wenn man mal gar nicht weiter weiß, dann kann man auch mal bei der Polizei oder Feuerwehr nachfragen.
Die Hotline ‘Schnelle Hilfen für gefährdete obdachlose Menschen in Hamburg’ der Sozialbehörde ist Montag bis Freitag von 8-16 Uhr erreichbar unter 040 428 28-50 00.
FINK.HAMBURG: Gibt es denn bestimmte Sätze, die man gut sagen kann, wenn man zum Beispiel Berührungsängste hat?
Christina Pillat-Prieß: Also bestimmte Sätze sind nicht so leicht, aber wünschenswert ist immer Respekt. Also eine Unterhaltung auf Augenhöhe. Und respektieren, dass die obdachlosen Menschen auch ein Recht auf selbstbestimmtes Leben haben. Es tut manchmal weh, wenn sie sagen: „Ich möchte nicht mit und es ist mir egal, ob ich jetzt hier friere oder nicht.“ Aber das muss man respektieren. Wenn man so eine Platte aufsucht, das ist deren Wohnzimmer. Wir würden auch nicht wollen, dass sie einfach in unser Haus stürzen.
FINK.HAMBURG: Und was ist, wenn Bürger*innen es nicht schaffen, sich zu überwinden und die Menschen anzusprechen?
Christina Pillat-Prieß: Das macht nichts. Dann sollen sie anrufen und wir fahren da hin. Man kann das ja auch nicht erzwingen. Hier ist es auch wieder wichtig, mir mitzuteilen, welche Ausstattung die Person hat. Ob sie wenigstens warm angezogen ist. Manchmal fragen wir auch, ob sie sich vielleicht ein Stück zur Seite stellen, wenn sie nicht direkt hingehen möchten. Dann gucken wir mal gemeinsam. Das ist aber auch sehr abhängig davon, wer gerade so auf der Strecke unterwegs ist. In unserem Team, das sind 65 Personen, da kommen alle aus vielen unterschiedlichen Berufen. Es gibt viele, die auch mit Menschen im Ausnahmezustand arbeiten. Die haben es immer leichter als Personen, die aus Wirtschaftsberufen kommen.
FINK.HAMBURG: Hast du denn einen Tipp, wie Menschen diese Berührungsangst und Hemmschwelle überwinden können?
Christina Pillat-Prieß: Einfach miteinander ins Gespräch kommen. Das ist natürlich schwer, wenn diese Hemmschwelle da ist. Ich kann den Menschen immer nur anbieten, mal hierher zu uns in „CaFée mit Herz“ zu kommen und sich das anzugucken. Wie nett das auch miteinander gehen kann. Oder einfach mal die Personen anlächeln und gucken was passiert. Auch wenn jemand bettelt. Betteln ist mit Sicherheit nicht schön. Das hat ja auch etwas Entwürdigendes. Und wenn man dann einfach zur Seite guckt, finde ich das total daneben. Ich sag dann einfach: „Es tut mir leid, ich habe jetzt kein Kleingeld dabei, aber ich wünsche dir noch einen schönen Tag.“ Dann fühlen sie sich irgendwie wahrgenommen und es ist ja jedem selbst überlassen, ob er Geld geben möchte.
FINK.HAMBURG: Wie können Hamburger*innen obdachlosen Menschen in der kalten Jahreszeit noch helfen?
Christina Pillat-Prieß: Natürlich Spenden an die Obdachlosenhilfe oder an den Kältebus. Oder auch an Einrichtungen wie „CaFée mit Herz“, wo die Obdachlosen tagsüber hingehen können und ein warmes Essen bekommen, wo sie duschen können, neue Kleidung bekommen und wo sie auch Sozialberatung bekommen können. Unser Projekt hier ist zum Beispiel ausschließlich spendenfinanziert. Und so geht es anderen freien Einrichtungen auch. Geldspenden sind natürlich immer gut, weil wir dann flexibel sind in der Entscheidung, was wir brauchen. Es kann ja auch mal sein, dass das Auto kaputt geht. Am besten in den Einrichtungen nachfragen, was gerade gebraucht wird.
FINK.HAMBURG: Wovon würdest du denn Personen abraten, wenn sie obdachlosen Menschen helfen wollen?
Christina Pillat-Prieß: Also es ist immer besser, sich an Einrichtungen zu wenden. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich irgendwo anzuschließen, wo man mitmachen kann. Nicht selbst losgehen und alles Mögliche verteilen. Das ist immer gut gemeint. Aber obdachlose Menschen, die können so viel Gepäck gar nicht unterbringen. Sie haben ja kein Wohnzimmer, keinen Schrank. Und deshalb ist es besser, dass sie eine Grundausstattung bekommen. Wenn das hinüber ist, dann gibt es halt das Nächste. Das können die Menschen oft nicht so gut einschätzen. Was auch gefährlich ist, ist Sozialberatung auf der Straße. Das geht gar nicht. Das kann total daneben gehen, wenn einem da das rechtliche Hintergrundwissen fehlt.
Die Menschen stellen den Obdachlosen auch oft so viel zu essen hin und das vermüllt dann. Dann werden sie da vertrieben. Das ist auch kontraproduktiv. Und es ist auch nicht gut, diesen Menschen alles vor die Füße zu stellen. Das ist bequem. Das verhindert aber, dass sie nochmal aufstehen und für sich selbst sorgen. Wir sagen dann: „Ich habe jetzt hier diese Hose für dich im Angebot, deine ist nass, du kannst diese nehmen und wenn du eine andere möchtest, dann kommst du eben morgen zu uns in die Kleiderkammer. Da kannst du dir was aussuchen.“
FINK.HAMBURG: Was wünscht du dir für die Zukunft, Christina?
Christina Pillat-Prieß: Ich wünsche mir erstmal mehr Unterkünfte für Menschen auf der Straße. Ich wünsche mir Unterkünfte für kranke Menschen, für alte Menschen. Die Stadt baut zum Beispiel gerade das „Pik As“ um. Das ist die älteste Obdachlosenunterkunft in Hamburg. Mit dem Umbau der Unterkunft werden erstmalig 33 Lebensplätze eingerichtet. Das sind Plätze für alte oder chronisch kranke obdachlose Menschen, die dort dann dauerhaft leben dürfen. Der Ansatz ist gut, aber bei mehr als 2.000 Obdachlosen in Hamburg noch viel zu wenig.
Ich wünsche mir aber besonders die Solidarität der Bevölkerung für die obdachlosen Menschen, weil sie diese dringend brauchen. Generell wünsche ich mir, dass die Vorverurteilung aufhört, dass die obdachlosen Menschen so viel Ablehnung erfahren. Sie sind jetzt Außenseiter dieser Gesellschaft geworden. Dass man sie wieder mit einbezieht, denn sie sind Teil der Gesellschaft. Einfach Akzeptanz für diese Menschen.
Jacqueline Kurjahn, Jahrgang 2000, gewann einmal einen Pokal für einen Laufwettbewerb, obwohl sie eigentlich gar nicht daran teilnehmen wollte – sie trat als einzige in ihrer Altersklasse an. Aufgewachsen ist sie in Visbek bei Oldenburg, bis heute organisiert sie dort Ferienlager für Jugendliche. In Salzgitter studierte sie Medienkommunikation. Um die mediale Aufmerksamkeit für unter anderem Start-ups bemühte sie sich in einer kleinen PR-Agentur. Als Werkstudentin setzt sie in der Vermarktungsabteilung der Hamburger Morgenpost Social-Media-Kampagnen für Anzeigenkunden um. Auch privat ist Jacqueline viel auf Instagram unterwegs – als lebendes Newsportal für Promi-Tratsch. (Kürzel: jac)