Disarstar posiert vor dem Publikum in der Alsterdorfer Sporthalle Foto: rufus Engelhardt
Über 6.000 Fans kamen in die Sporthalle, um den Rapper zu sehen Foto: Rufus Engelhardt

Der Rapper Disarstar schloss seine Tour in seiner Heimatstadt Hamburg ab. Wegen früher Texte mit antisemitischem Inhalt steht der Musiker aktuell in der Kritik, distanzierte sich jedoch von diesen deutlich. In der Alsterdorfer Sporthalle spielte er Antifa-Hymnen und zeigte sich sehr persönlich.

„Danke, dass ihr mich dieses Leben leben lasst”, ruft Disarstar durch die Alsterdorfer Sporthalle. Das Publikum schreit zustimmend zurück. Es ist das Finale seiner bisher erfolgreichsten Tour durch Deutschland. Nach zwölf Städten findet das Abschlusskonzert vor dem größten Publikum seiner bisherigen Kariere statt: Über 6.000 Menschen feierten den gebürtigen Hamburger und seine Lieder – in einer Zeit, in der er heftig in der Kritik steht.

Politischer Hip-Hop made in Hamburg

Disarstar, mit bürgerlichen Namen Gerrit Falius, macht seit 18 Jahren Musik. Seine Anfänge fand er im Hip-Hop und bleibt ihm bisher treu. Er brach früh die Schule ab und wanderte viele Jahre orientierungslos durch die Welt, wie er sagt. Heute lebt er auf St. Pauli und veröffentlichte vergangenes Jahr sein aktuelles Album “Rolex für alle”. Er rappt über sein Leben auf dem Kiez. In seinen Texten solidarisiert er sich mit Geflüchteten, Obdachlosen und marginalisierten Gruppen. Systemkritik ist in vielen seiner sechs Alben zu finden. Von der linksradikalen Szene wird er dafür gefeiert: Ein Tag nach seinem Konzert sind seine Lieder auf einer Demonstration, die von antikapitalistischen und sozialistischen Gruppierungen in Hamburg organisiert wurde, zu hören.

Beim Konzert in Hamburg ertönen zwischen den Liedern Sprechchöre wie „ganz Hamburg hasst die Polizei“. Disarstar selbst sieht sich als Antikapitalist. Es sei nicht das beste Wirtschaftssystem, allerdings sei auch er nicht frei davon Geld verdienen zu müssen, um Miete zu zahlen, sagt er gegenüber FINK.HAMBURG. Dass er in einem Widerspruch lebt, sei ihm bewusst: “Ich kritisiere den Kapitalismus und diese Kritik kannst du dir bei Amazon kaufen” sagte er gegenüber der Taz.

Disarstar in der Kritik

Aktuell steht der Rapper in der Kritik. Dabei geht es um frühe Texte, in denen er sich antisemitisch äußert. 2011 veröffentlichte er “Free World”, in dem er Zionisten den Tod wünscht. Vor dem Hintergrund der kriegerischen Handlungen im Nahen Osten und dem Angriff der militant-islamistischen Hamas auf Israel wurden diese Zeilen öffentlich kritisiert und verurteilt. Der Rapper reagierte über Instagram, indem er schrieb: “Die damals formulierten Gedanken sind mir heute absolut fremd.” Er habe dieses Lied im Alter von 15 Jahren geschrieben und würde sich dafür schämen. “Antisemitismus in welcher Form auch immer hat weder in meinem Kopf, (…) noch auf meinen Konzerten Platz”, so Disarstar weiter. Er würde das Lied nicht mehr verbreiten oder live spielen. Ob einem das reicht, muss jeder Fan selbst entscheiden.

Die Emotionen waren beim Tourabschluss besonders groß, auch beim Rapper selbst Foto: Alma Bartels
Die Emotionen waren beim Tourabschluss besonders groß, auch beim Rapper selbst Foto: Alma Bartels

Ode an die Hansestadt

Zurück auf dem Konzert springt die Menge zu Liedern wie „Rolex für alle“, „Hunger“ und „Nachbarschaft“ in Kreiseln durch die Halle. Textsicher grölen die Fans ihren Frust an der deutschen Politik und frustrierenden Alltagssituationen im Hamburger Stadtbild von der Seele: „Reeperbahn, sechs Uhr morgens Hausbesuch vom BKA, Obdachlose neben Fußballerfrauen im Range Rover.“

Der Rapper spricht lokalpatriotisch über seine Heimatstadt. Im Lied „Großstadtfieber“ geht es um das Elend und die Armut, die er jeden Tag auf St. Pauli sieht. Trotzdem heißt es fast versöhnlich: „Ich kann sie nicht beschreiben, diese Liebe, denn in jeder Ecke steckt der Geist meiner Familie.“

Disarstar: Große Gefühle in der Sporthalle

Und auch sonst lässt Disarstar seine Fans nah an sich heran. Es wird still im Konzertsaal, als er über seine psychischen Probleme spricht. Und wie viel Kraft ihm seine Karriere gebe. „Ich werde das hier in meinem ganzen Leben niemals vergessen“, sagt er und fängt an zu weinen. Der gesamte Saal klatscht und ruft seinen Namen.
In den folgenden Liedern zeigt der Hamburger seine gefühlvolle Seite, rappt über Kindheit. In seiner Jugend hatte Disarstar immer wieder mit Schicksalsschlägen zu kämpfen: Alkohol- und Drogenprobleme, früher Auszug aus dem Elternhaus und eine Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung. Auch wenn vieles davon länger zurückliegt, scheint der Schmerz tief zu sitzen.

Female Empowerment im Hiphop

Zum letzten Drittel bittet er das Publikum einen „Flinta-Kreis“ zu bilden: Alle weiblich gelesenen Personen haben die Möglichkeit, Teil des Moshpits zu sein. Ohne die Gefahr, von Männern belästigt, angerempelt oder umgestoßen zu werden. Passend dazu wird „LYA“ angestimmt: „God is a woman in crop top und Nikes“. Untermalt von einem dröhnenden Beat, springt das Publikum auf seinen Steh- und Sitzplätzen – die kollektive Stimme der Menge klingt nun deutlich heller als zuvor.

Disarstar Konzert in Hamburg
Im Abschlusslied wurden Banner und Fahnen mit antifaschistischen Parolen geschwungen Foto: Alma Bartels

Systemkritik zum Mitgröhlen

Als Zugabe spielt Disarstar “Robocop” und nimmt die Rolle eines prügelnden Polizisten ein. Eine passende Überleitung zur Antifa-Hymne “Siamo Tutti”. Entsprechende Fahnen und Banner werden geschwenkt und hochgehalten. Mit einem lauten Knall regnet es Konfetti, die Menge ist kaum zu halten. Zum Ende des Abends tragen viele ein glückliches, aber erschöpftes Lächeln im Gesicht und haben die Hook noch im Ohr: “Rolex für alle… vor niemandem verneigen, die Chance ergreifen, für bessere Zeiten”. Disarstar gab seinen Fans diese bessere Zeit – zumindest für eineinhalb Stunden.

Alma Bartels, Jahrgang 1996, hat eine Schwäche für mongolischen Metal. Sie ist schon einmal kostenlos um die Welt gereist, kann sich aber kaum erinnern: Sie war erst zwei Jahre alt. Aufgewachsen zwischen Hamburg und Barcelona entwickelte sie ein Faible für Sprachen: Neben Englisch und Spanisch spricht sie auch Koreanisch und Katalanisch. Für Stern.de produzierte sie Videos über Fragen wie “Wie viele Nägel hat Ikea schon verkauft?”. In Bremen studierte sie Politologie und entdeckte ihre Liebe zum Kulturjournalismus. Am liebsten würde sie die mongolische Band Hanggai einmal danach fragen, wie das mit diesem Kehlkopfgesang eigentlich funktioniert. (Kürzel: aba)