Die Klimakrise macht vielen Menschen AngstDas ist erstmal ganz normal, sagt Psychotherapeutin Katharina van Bronswijk. FINK.HAMBURG hat mit ihr darüber gesprochen, wie Angst dem Klima sogar helfen kann. 

Sich mit der Klimakrise auseinanderzusetzen, kann sich auch auf die mentale Gesundheit auswirken. Die Ergebnisse einer 2021 veröffentlichten Studie weisen darauf hin, dass sich junge Menschen große Sorgen um die Zukunft der Erde machen. In den sozialen Medien kursiert dazu seit einiger Zeit sogar der Hashtag „Climate Anxiety“ oder „Klimaangst“.

Katharina Bronswijk, Sprecherin und Mitbegründerin des Vereins „Psychologists und Psychotherapists for Future” sagt: „Angst muss uns nicht lähmen, solange wir wissen, wo die Fahrt hingehen soll.“ In ihrem TED-Talk spricht die Psychologin, Verhaltenstherapeutin und Autorin darüber, wie unsere Emotionen die Welt retten können. Im Interview mit FINK.HAMBURG erklärt sie, weshalb man mit dem Begriff trotzdem vorsichtig umgehen sollte.

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Katharina van Bronswijk im Porträt
Die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Katharina van Bronswijk macht sich Sorgen um die gesellschaftliche Reaktion auf den Klimawandel.

Foto: Arnaud Boehmann

Was bedeutet Klimaangst?

„Climate Anxiety” oder „Klimaangst” klingt wie eine Diagnose, aber es ist tatsächlich nur ein psychologischer Fachbegriff. Er beschreibt eine emotionale Reaktion auf den Klimawandel – in diesem Fall eine ängstliche Reaktion auf die Beschäftigung mit den Bedrohungsszenarien, die mit dem Klimawandel zusammenhängen. Klimaangst ist nicht behandlungsbedürftig, so wie Gefühle sonst im Alltag auch nicht behandlungsbedürftig sind.

Gibt es denn Menschen mit einer Klimaangst- oder Depression, die behandelt werden müssen?

Behandlungsbedürftig sind von Menschen mit Klimaangst laut Studien etwas unter zehn Prozent. Es gibt allerdings noch nicht so viele Untersuchungen dazu. Bei diesen wenigen Menschen ist die Emotionsverarbeitungsfähigkeit überlastet – das wird dann manchmal als Klimadepression bezeichnet. Die Diagnose wäre aber einfach eine Depression. Ob sie daher kommt, dass der Hund gestorben ist, weil man seinen Job verloren hat oder daher, dass es den Klimawandel gibt – das ist für die Diagnose erstmal egal. Ich gehe deshalb auch davon aus, dass „Climate Anxiety” oder „Climate Depression” niemals in die offiziellen Diagnoseverzeichnisse aufgenommen wird.

Der Begriff „Klimaangst” kam erstmals unter Wissenschaftler*innen auf. Seit wann beschäftigt sich die Psychologie damit?

Geschätzt kam das Thema so Anfang der Zweitausender in der Psychologie auf, im Kontext der Klimawissenschaft. Was Menschen am anfälligsten für Klimagefühle macht, ist eben das Wissen über den Klimawandel. Daher sind also vor allem diejenigen betroffen, die gut über den Klimawandel Bescheid wissen. Und das waren zu Beginn vor allem Wissenschaftler*innen.

Warum habt ihr „Psychologists for Future” gegründet?

Die Idee kam kurz nachdem der FDP-Politiker Christian Lindner gesagt hat, dass die Kinder und Jugendlichen von „Fridays for Future” die komplizierten Fragen der Welt doch den Profis überlassen sollen. Zwei Kolleginnen haben daraufhin beschlossen: Es kann nicht sein, dass die Psychologie als Wissenschaft nichts dazu sagt, obwohl sie ja das menschliche Verhalten und das Erleben unserer Gedanken und Gefühle erklärt. Alle wissen Bescheid, dass wir eine Klimakrise haben, aber die Wenigsten kommen so richtig ins Handeln. Es ist die Kernkompetenz der Psychologie, solche Phänomene zu erklären. So ist die Idee entstanden, den Verein zu gründen.

Wer gehört zu „Psychologists for Future” und wie arbeitet ihr?

Wir haben über 1000 Aktive bei „Psychologists for Future” in Deutschland. Das reicht von Menschen, die psychotherapeutisch in der Praxis arbeiten und Beratungsgespräche in der Klimabewegung anbieten, bis hin zu Professorinnen, die forschen. Es gibt bei uns Einzelberatungen, aber auch Gruppengespräche zum Beispiel zum Thema „Burnout Prävention”. Wir führen Gespräche mit Politiker*innen, sowohl auf der lokalen Ebene als auch auf der Bundesebene und im berufspolitischen Kontext. Themen sind dabei unter anderem gesellschaftliche Krisenresilienz oder Gesundheitsvorsorge in Bezug auf den Klimawandel. Zu unserer Arbeit gehört auch, dass wir Fachbücher veröffentlichen, an wissenschaftlichen Publikationen mitarbeiten und sehr viel Öffentlichkeitsarbeit betreiben.

Ihr seid also breit aufgestellt. Wahrscheinlich ist der Spagat zwischen Wissenschaft und aktivem Kampf gegen den Klimawandel aber auch gar nicht so einfach, oder? Siehst du dich als Psychologin oder Aktivistin? 

Ich war schon Aktivistin, bevor ich Psychologin geworden bin. Ich war zehn Jahre zu früh für „Fridays for Future”. Aber 2009, vor der Klimakonferenz in Kopenhagen, bin ich zur Greenpeace-Jugend gekommen.

In deinem TED-Talk hast du erklärt, warum unsere Emotionen das Klima retten können. Also auch unsere Angst? Wie soll das gehen?

Menschen sprechen gerne von negativen und positiven Emotionen und ich widerspreche da immer sehr vehement. Ich würde sagen: Es gibt angenehme und unangenehme Emotionen, aber alle Emotionen haben  ihren evolutionären Sinn. Der Sinn von Angst als Emotion ist es, als eine Art Warnleuchte zu fungieren. Angst macht uns Hummeln im Hintern. Wir vermeiden entweder eine Gefahr und fliehen oder kämpfen. Genauso ist das auch bei der Klimakrise, nur dass sich die Gefahr nicht so leicht beseitigen lässt. Aber auch die Klimaangst sagt uns, dass wir etwas tun müssen. Dementsprechend kann sie auch motivierend sein, und das finde ich sehr positiv.

Aber Angst kann auch lähmen. Wann motiviert sie? 

Wenn wir auch einen Ausweg sehen. Es ist also wichtig, zu wissen, was man tun kann. Meistens ist es so, dass einem als Handlungsoption von außen erstmal Änderungen im eigenen Konsumverhalten vorgeschlagen werden – also Verzicht aufs Autofahren oder aufs Fleischessen. Natürlich ist das wichtig. Ich glaube aber, dass wir in dieser Krise lernen müssen, dass wir viel mehr erreichen, wenn wir uns mit anderen Leuten zusammenschließen. Wir müssen politisch wirksam werden: in Bürgersprechstunden gehen, Petitionen unterzeichnen, mit Politiker*innen reden, auf Demos gehen. Etwas zu bewirken, indem man der Gemeinschaft hilft mit Angst umzugehen, kann sogar richtig Spaß machen.

Warum schaffen es viele trotzdem nicht, mit ihren Ängsten umzugehen?

Ich glaube, dass die Deutschen kulturell geprägt Angst vor ihren Gefühlen haben und dass diese Angst unberechtigt ist. Wir sterben nicht, wenn wir Angst haben. Wir sterben auch nicht, wenn wir sehr, sehr wütend sind. Nicht mal dann, wenn wir das nicht rauslassen können. Emotionen sind wie ein Feuer, was in uns brennt. Es sind die Gedanken, die das Feuer aufrechterhalten. Wenn man es schafft, nicht mehr zu denken, sondern zu fühlen – also sich so auf das zu konzentrieren, was man vielleicht im Körper wahrnehmen kann – dann brennt das Feuer runter und dann ist es vorbei. Ich sage immer: Der Peak einer unangenehmen Emotion, wenn ich nicht weiterdenke, sondern einfach nur fühle, ist nach maximal sieben bis zwölf Minuten vorbei.

Wie müssen wir über die Klimakrise sprechen, um die Lücke zwischen umweltbezogenem Wissen und tatsächlichem Handeln zu schließen?

Wir sollten die Leute nicht schonen, sondern die Fakten klar benennen. So wie man es sich bei einer Diagnosestellung vom Arzt auch wünschen würde. Der Klimawandel ist so komplex und so abstrakt, dass es dem menschlichen Gehirn sehr schwerfällt, diese Informationen sinnvoll zu verarbeiten. Um die Relevanz zu verstehen, brauchen wir psychische Nähe. Der zweite wichtige Aspekt ist, nicht nur die Probleme zu kennen, sondern auch sinnvolle Lösungen. Bisher fehlt das sehr häufig. In der Klimaberichterstattung bekommt man eher die kleinen Lösungen mit, wie der Verzicht auf das Auto. Das wird aber die Welt nicht retten und das ist den Leuten auch klar. So verstärkt sich das Ohnmachtserleben.

Wir müssen also nicht nur über das reden, was wir vermeiden wollen, sondern auch darüber, wo wir hinwollen.

Und im besten Fall Lösungen suchen, die lokal stattfinden, wie Stadtgartenprojekte, der Umbau in Schwammstädte, Hitzeschutzpläne mit Stadtbegrünung oder soziale Initiativen, die für eine bessere gesellschaftliche Stimmung sorgen.  Es gibt dafür in der Akzeptanz- und Commitment-Therapie eine sehr schöne Metapher: Stellen sie sich vor, sie steigen in ein Taxi und sagen: „Fahren Sie mich nicht zum Hauptbahnhof”.

Funktioniert nicht. Also besser einen gangbaren Weg aufzeigen. Was macht dir persönlich Angst, wenn du an die Zukunft denkst?

Am meisten Angst macht mir mit Blick auf die Zukunft nicht der Klimawandel selbst oder die Katastrophen, die damit einhergehen, sondern die gesellschaftliche Reaktion auf den Klimawandel. Ich frage mich, wie wir es schaffen, unsere Demokratie stabil zu halten und uns nicht gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.

Anne Paulsen, geboren 1996 in Itzehoe, hat Flugangst, reiste nach dem Abitur aber trotzdem für ein Jahr auf die von der Klimakrise bedrohte Pazifikinsel Kiribati. Sie unterrichtete, pflanzte Mangroven und begann zu bloggen. Später schrieb sie für kleinere Magazine und eine NGO über Klimawandel und Nachhaltigkeit. In Hamburg studierte sie Religionswissenschaft. Auf den Salomonen hat sie den ersten Frauenboxkampf mitorganisiert und stieg auch selbst in den Ring. Einen Poetry Slam ohne Wettkampfcharakter zu organisieren, steht noch auf ihrer To-Do-Liste – dann würde sie sich vielleicht mit einem eigenen Gedicht auf die Bühne trauen. (Kürzel: apa)