80 Prozent der Hamburger:innen, die derzeit ein positives Schnelltestergebnis erhalten, sind gar nicht mit dem Coronavirus infiziert. Was bedeutet das für die Aussagekraft der Schnelltests?
Wer in Hamburg wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben möchte, braucht meist einen negativen Corona-Schnelltest. Der dient mittlerweile als Eintrittsticket ins Restaurant, Theater oder Hotel – und suggeriert Sicherheit, nicht infiziert zu sein. Eine trügerische Sicherheit?
Laut Senat lag der Anteil der falsch-postiven Tests Mitte Mai bei rund 50 Prozent, bis zur zweiten Juniwoche stieg er sogar auf 80 Prozent. Das ergaben PCR-Tests im Anschluss. Als falsch-positiv gilt ein Ergebnis, wenn der Test zwar positiv ausschlägt, die Person aber gar nicht infiziert ist. Für den sozialpolitischen Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Andreas Grutzeck, stellt sich deshalb „die generelle Frage, wie aussagekräftig Schnelltests tatsächlich noch sind”.
Beweis für niedriges Infektionsgeschehen
Doch was zunächst beängstigend klingt, ist in Wirklichkeit ein Beweis für ein niedriges Infektionsgeschehen. Und es lässt sich mathematisch erklären.
Der Grund für die hohe falsch-positive Rate in Hamburg ist eigentlich simpel: In der Hansestadt sinken die Infektionszahlen seit Wochen. Das hat Einfluss auf das Verhältnis von falsch-positiven und richtig-positiven Ergebnissen. Denn: Die Gruppe der tatsächlich Gesunden wird immer größer. Je mehr gesunde Menschen sich also testen lassen, desto häufiger kommt es zu falsch-positiven Tests. Auf der anderen Seite sinkt die Anzahl derer, bei denen der Test richtigerweise positiv ausfällt, weil es kaum mehr Infizierte gibt.
Spezifität und Sensitivität – was war das noch gleich?
Zwei Begriffe sind nun entscheidend, um das Phänomen zu verstehen: Spezifität und Sensitivität.
Spezifität beschreibt den Anteil der Personen mit negativem Testergebnis unter den Nicht-Infizierten. Also zu wie viel Prozent Schnelltests Gesunde als solche erkennen. Antigen-Schnelltests weisen mindestens eine Spezifität von 97 Prozent vor, viele Hersteller:innen liegen sogar darüber.
Sensitivität beschreibt den Anteil der Personen mit positivem Testergebnis unter den Infizierten. Also wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Schnelltests tatsächlich Infizierte als solche erkennen. Hier sehen die Kriterien des Paul-Ehrlich-Instituts mindestens 80 Prozent vor. Viele Hersteller:innen geben höhere Werte an, eine aktuelle Untersuchung der Uni Würzburg bescheinigt Schnelltests allerdings Sensitivitätswerte von unter 80 Prozent.
Falsch-positive Schnelltests: Ein Beispiel
Anhand dieser zwei Parametern lässt sich die hohe falsch-positive Rate bei einem niedrigen Infektionsgeschehen mithilfe eines Beispiels gut erklären. Angenommen, das Infektionsgeschehen in Hamburg ist gerade wie folgt: Von 10.000 getesteten Hamburger:innen sind nur 15 infiziert, 9985 gesund. Für das Beispiel nehmen wir eine Spezifität von 99 Prozent und eine Sensitivität von 80 Prozent an.
Bei einer Spezifität von 99 Prozent würden 9885 der 9985 gesunden Menschen als solche erkannt werden. Das heißt aber auch, dass die Schnelltests bei etwa 100 Leuten Corona diagnostizieren, obwohl sie nicht infiziert sind.
Bei einer Sensitivität von 80 Prozent erkennt der Schnelltest 12 von 15 Infizierten als solche. Bedeutet auch: Bei 20 Prozent, also 3 Personen, wird die Infektion nicht erkannt.
Insgesamt sind also von 112 Personen mit einem positiven Test nur 12 tatsächlich erkrankt. In diesem Beispiel wären also sogar 89,29 Prozent der Tests falsch-positiv.
Gesundheitsstatus | Testergebnis | Getestete |
Infiziert | Richtig-positiv | 12 von 10.000 |
Infiziert | Falsch-negativ | 3 von 10.000 |
Nicht-Infiziert | Richtig-negativ | 9885 von 10.000 |
Nicht-Infiziert | Falsch-positiv | 100 von 10.000 |
Lolli- und Gurgeltests für mehr Präzision?
So nervig es auch sein kann, aufgrund eines falsch-positiven Tests bis zum Ergebnis des anschließenden PCR-Tests in Isolation zu verharren: Schnelltests sind weiterhin ein effektives Instrument, um Infektionsketten zu unterbinden – vor allem in Anbetracht der grassierenden Delta-Variante. Das Risiko, ein positives Schnelltestergebnis zu erhalten, ist weiterhin sehr gering. Weitaus gefährlicher sind falsch-negative Ergebnisse, also Infizierte, die trotzdem einen negatives Testergebnis erhalten. Das kann zwar passieren, kommt bei einem niedrigen Infektionsgeschehen allerdings kaum vor. In dem obigen Beispiel wären nur drei von 9885 Tests falsch-negativ.
Dennoch ist klar: Antigen-Schnelltests sind ungenauer als herkömmliche PCR-Tests. Die Hamburger CDU fordert deshalb, vermehrt sogenannte Lolli- oder Gurgeltests zu nutzen, die per PCR-Verfahren ausgewertet werden können. Die sind zwar genauer, haben aber auch einen Haken: Die Auswertung dauert viel länger als bei Schnelltests – ein Ausbruch könnte so erst zu spät entdeckt werden.
Doppelte Schnelltests als Lösung
Eine Lösung könnte deshalb sein, bei positiven Schnelltestergebnissen statt eines PCR-Tests – so sieht es die aktuelle Testverordnung vor – einfach noch einen Schnelltest hinterher zu machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser wieder falsch-positiv ausfällt, ist sehr gering. So würde man Hamburger:innen nicht umsonst in die Isolation schicken, gleichzeitig aber Infektionsketten weiterhin schnell durchbrechen.