Illustration von Elizaveta Schefler

Was beschäftigt Menschen unter 30? Wir haben in unserer Community nachgefragt. Durch Studium und Arbeit ist bei vielen die Zeit knapp, Besuche bei den Eltern werden seltener. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein, dass sie nicht für immer da sind. FINK.HAMBURG-Redakteurin Pauline Claußen über den ständigen Spagat.

Illustration (Titelbild und Icon) von Elizaveta Schefler

Beim Scrollen durch Instagram hat mir neulich ein Hundevideo den Abend versaut. Das lag aber nicht an dem süßen Golden Retriever. Es lag am Text, der am unteren Bildrand mitlief: „On average, you only get twelve summers with your dog. Make them count.” Sinngemäß übersetzt: „Du hast nur zwölf Sommer mit deinem Hund. Mach, dass sie zählen.” Das Bewusstsein, dass Zeit endlich ist, trifft anders, wenn man sie quantifiziert.

Serie „Aus den 20ern”
FINK.HAMBURG hat Personen unter dreißig befragt, welche Themen sie gerade beschäftigen. Diesen Themen wurde jeweils eine Folge der Serie gewidmet – um sie zu diskutieren, Lösungsansätze zu bieten und einen Raum zu kreieren. Oliver, 27, hat gesagt: „Dass meine Eltern alt werden. Bei meinen ist es nicht so akut, aber bei anderen Freunden sind die Eltern jetzt 70. Dann sind es nur noch 10 Jahre, in denen man am Leben seiner Eltern richtig teilhaben kann.”

Die Serie erscheint jeden Donnerstag hier auf FINK.HAMBURG.

Weil ich selbst keine Haustiere habe, kamen mir durch das Video nicht Hunde, sondern Menschen in den Kopf, mit denen meine Sommer endlich sind. Allen voran meine Eltern. Ich bin Mitte zwanzig, hangle mich in meinem Leben gerade von Meilenstein zu Meilenstein und blicke neugierig in die Zukunft. Gleichzeitig spüre ich, wie sich bei meinen Eltern das Bewusstsein für das eigene Altern verändert. Arzttermine werden häufiger. Gesundheitsthemen am Abendbrottisch auch. Fragen wie „Was wollt ihr mit dem Haus machen, wenn ich mal nicht mehr bin?“ zwischen zwei Bissen Vollkornbrot.

Meine Standardreaktion ist der empörte Blick. Als wäre das Szenario zu absurd, um darüber nachzudenken. Dabei ist es nur so „absurd” wie die Tatsache, dass im Freundeskreis mittlerweile häufiger Menschen im Alter meiner Eltern erkranken oder sterben. Ein Herzinfarkt beim Einkaufen. Krebs, der erst entdeckt wird, wenn es zu spät ist. Die Alzheimer-Diagnose mit 60.

Zwischen Vorsätzen und Realität

Ich weiß, ich sollte jetzt mehr Zeit mit meinen Eltern verbringen. Aber die Absicht hält dem Alltag nicht stand. Der Gedanke, dass meine Zeit nicht reicht, kommt regelmäßiger als meine Besuche. Oft nehme ich mir morgens fest vor, anzurufen – und merke abends, ich habe es wieder nicht geschafft.

Ich sage „geschafft”, als wäre es schlicht nicht möglich gewesen, und so fühlt es sich auch an. Aber in Wahrheit ist das Vorhaben unter all den anderen Prioritäten einfach nur zu weit nach unten gerutscht. Hat den Kürzeren gezogen gegen Uni und Finanzen, weil es weniger akuten Druck auf mich ausübt. „Akut” ist hier das Stichwort, weil die Zeit schließlich trotzdem weiter abläuft – nur unbemerkt.

Wie viele Sommer bleiben?

Die Rechnung aus dem Hundevideo ist ziemlich pessimistisch, vor allem wegen ihrer Einheit. Der Sommer, für viele die schönste Zeit des Jahres, fühlt sich ohnehin immer viel zu kurz an und ist meist dann vorbei, wenn man gerade bemerkt, dass er überhaupt begonnen hat. Die verbleibenden Sommer mit unseren Eltern an vier Händen abzählen zu können, scheint viel zu wenig und ist auch kein realistisches Bild.

Aber auch die Einheit „Jahre” verfälscht den Eindruck — bloß ins Positive. Denn wenn man, wie ich, alle paar Wochen für wenige Tage nach Hause fährt, kommt man im Jahr auf 20 bis 30 gemeinsame Tage. Das ist fürs Gefühl zwar mehr als „ein Sommer”, aber realistisch betrachtet viel weniger als ein Jahr. An diesem Abend habe ich es in Gedanken durchgerechnet: 25 Tage pro Jahr für 15 Jahre, macht 375 gemeinsame Tage. Das wiederum ist kaum mehr als ein Jahr.

Den Alltag festhalten

Was aber bringt mir dieses Bewusstsein? Neben der Angst vor dem Unausweichlichen, meine ich. Vor allem eins: Es hat mich aufgeschreckt. Ich versuche es jetzt mehr, schiebe Besuche zu Hause auf meiner Prioritätenliste weiter nach oben. Ich plane meine Wochen im Voraus und öfter um die Heimatbesuche herum, anstatt zu versuchen, sie in einen ohnehin vollen Monat zu quetschen – und am Ende zu scheitern. Die 375 ist als Zahl nicht in Stein gemeißelt. Kein Schicksal, dem ich mich ergeben muss. Wenn mir die Prognose zu wenig ist, kann ich sie einfach ändern. Zumindest jetzt noch.

Und ich halte fest: Alltagssituationen, die Guten-Morgen-Post-Its am Kühlschrank, Lachanfälle, Gespräche über früher — alle gespeichert in der Bildergalerie, den Textnotizen und Sprachmemos auf meinem Handy. Eine Freundin von mir macht es ähnlich, nur analog: Sie hält alles auf Film fest und sichert die Bilder jeden Monat in einem Fotoalbum. Auf welche Art auch immer: Wenn wir öfter mal Momente einfangen, können wir uns zumindest später an alle gemeinsamen Sommer erinnern. Egal, wie viele es noch sind.

Pauline Claußen, 1999 in Darmstadt geboren, hat Kraftklub-Sänger Felix schon einmal beim Crowdsurfen ein High Five gegeben. In Oldenburg studierte sie Musik und Anglistik auf Lehramt. Parallel arbeitete sie in der musikalischen Früherziehung, kellnerte und brachte unter anderem Klaas Heufer-Umlauf Bier und Günther Jauch Sekt. Auf der indonesischen Insel Lombok tauschte Pauline einmal mit einem müden Taxifahrer Plätze und fuhr sich selbst zum nächsten Hostel. Sie ist Hochzeitssängerin, liebt Musicals und spielt schlecht Tennis. Pauline wollte Kulturjournalistin werden, interessiert sich aber einfach für zu vieles - mittlerweile legt sie sich nicht mehr fest. Kürzel: pac

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