Beim Orchideentreff im israelitischen Krankhaus in Hamburg treffen sich Menschen mit künstlichem Darmausgang. Die Mitglieder der Gruppe geben sich Ratschläge und Tipps rund um das Leben mit einem Stoma.
Es ist kalt vor dem israelitischen Krankenhaus im Hamburger Stadtteil Alsterdorf. Ein älterer Herr in schwarzem Mantel läuft in Richtung Haupteingang. Er zieht noch einmal an seiner Zigarette, bevor er sie ausdrückt und sich beeilt, ins Warme zu kommen. Hier, hinter einer Glastür mit der Aufschrift GHD Gesundheits GmbH Deutschland, sitzen knapp 40 Menschen an einem großen Konferenztisch und unterhalten sich. Der Grund, weshalb sie hier aufeinandertreffen, ist unter T-Shirts, Hemden und Wollpullovern verborgen: Ein Stoma, so nennen Mediziner einen künstlichen Darmausgang.
Oft wird ein Stoma nach langer Krankheit eingesetzt. Darmkrebs ist so ein Beispiel. Wenn die Patientin oder der Patient nicht mehr in der Lage ist, Kot auf natürlichem Wege auszuscheiden, wird ein künstlicher Ausgang geschaffen. Bei der Operation wird der Dickdarm oder Dünndarm mit der Bauchdecke verbunden, herausgeführt und umgestülpt. Auf das Stoma kleben die Betroffenen einen Beutel, in dem der Stuhl gesammelt wird.
Diagnose Darmkrebs
Der Orichdeen-Treff, benannt nach der Straße, in der das Krankenhaus liegt, ist eine Möglichkeit für Betroffene, sich auszutauschen. Dazu gehört auch Ulli Hüttemann. Der 66-Jährige bekam vor 15 Monaten sein Stoma. 30 Jahre lang hat er in einer Firma für Personal- und Management-Beratung gearbeitet bevor er 2013 die Diagnose Dickdarmtumor bekam.
Nach einer Operation erhielt Uli Hüttemann seinen ersten künstlichen Darmausgang, der später wieder entfernt wurde. Doch dann wurde er rektal Inkontinent. 2017 entzündete sich sein Dickdarm so schwer, dass er ein festes Stoma bekam. „Beim Golfspielen trage ich jetzt einen Gürtel“, sagt Hüttemann während er aufsteht, seinen Pullover hochzieht und mit beiden Händen den unter seinem T-Shirt sitzenden Gurt umfasst und ihn zurechtrückt.
Sport ist ein Thema, über das Hüttemann gerne beim Treff im Krankenhaus spricht. Er habe sein ganzes Leben Golf gespielt und sei mittlerweile fast wieder auf dem gleichen Niveau wie vor der Operation. Er faltet seine Hände, greift nach einem imaginären Golfschläger und schwingt seine Arme im Halbkreis. Mit jemandem, der einen Bandscheiben-Vorfall hatte, würde er auf keinen Fall tauschen wollen, sagt er und lacht.
Zum Glück Stoma
Einige Menschen kommen mit dem Stoma nicht so gut zurecht. Vor allem das Selbstwertgefühl leide bei vielen Patienten extrem. Eine Dame, die am Konferenztisch sitzt, sagt: „Viele Leute sagen es noch nicht mal ihren Freunden. Bei mir ist das kein Geheimnis“.
Auch, weil die entsprechenden Hilfsmittel immer moderner werden. Frühere Stomaanlagen stellten eine enorme Geruchsbelästigung dar. Die neue Versorgung ist weitestgehend geruchsneutral. Nach wie vor ein Problem ist, dass Betroffene ihren Stuhlgang nicht kontrollieren können. Es könne passieren, dass die Ausscheidungen nicht in den Beutel laufen und auch unkontrollierbare Blähungen seien ein Problem.
Für Ulli Hüttemann war der Stoma eher eine Befreiung. Die rektale Inkontinenz sei schlimm gewesen. Das Stoma hätte sein Selbstwertgefühl daraufhin eher gesteigert. Sein Leben sei nur minimal eingeschränkt und er habe jede Hilfe oder Information nach der Operation erhalten, die er gebraucht habe. „Die sind hier sehr weit, die kennen die Sorgen und Nöte.“
Sicher zum nächsten Lokus
Als Jennifer Homann, Mitarbeitern der GHD, den kleinen weißen Beamer anschaltet, wird es ruhig im Raum. Der Projektor wirft das Bild eines Smartphones auf eine Leinwand. So beginnt die Präsentation der Stoma-App Gesine. Sie soll das Leben der Patientinnen und Patienten vereinfachen. Sie können neue Beutel bestellen, mit ihren Betreuern Kontakt aufnehmen und es gibt einen Toilettenfinder.
Nach dem Vortrag tauschen die Patientinnen und Patienten wieder Erlebnisse aus, sprechen über Tipps und Tricks im Umgang mit dem Stoma. „In der Sauna habe ich einen bleibenden Eindruck hinterlassen“, sagt ein Herr. Die anderen lachen. Und ein anderer verkündet, dass er durch seine Krankheit 25 Prozent Rabatt auf einen Neuwagen bekommen hat. Der Abend endet, wie er begonnen hat – unverkrampft und in aller Offenheit.