Eine Solidarische Landwirtschaft in Hamburg möchte Städter*innen saisonale Lebensmittel aus der Region schmackhaft machen. Für die Mitglieder ist es die Zukunft der Landwirtschaft. Doch die erfordert Einsatz und Hingabe.
Mitten im Gewächstunnel balanciert Katharina Kampe auf einem schmalen Grat zwischen Wintersalat und Jungzwiebeln. Die junge Gärtnerin drückt ihren Daumen auf das abgeschnittene Ende des blauen Gummischlauchs und richtet den Wasserschwall auf die langen Reihen hellgrüner Jungpflanzen. Es dauert nur Sekunden bis das Wasser im Boden versickert ist. Um sein Wunder zu vollbringen, braucht er jeden Tag Wasser, Sonnenlicht und Wärme – und Katharina Kampe.
Knapp 500 Menschen haben sich im Verein Solawi Superschmelz zusammengetan, um auf dem Biohof Quellen in Wistedt, 50 Kilometer südlich von Hamburg, gemeinschaftlich Gemüse anzubauen. Die Abkürzung Solawi wird von Anhänger*innen der Solidarischen Landwirtschaft so selbstverständlich gebraucht, wie Hacken, Rechen und Spaten auf dem Gemüsefeld. Der Namensgeber des Vereins ist eine alte, robuste Kohlrabisorte: Superschmelz wächst langsam, wird dann aber bis zu acht Kilogramm schwer. Seine hellgrünen Knollen werden trotz ihrer Größe besonders zart. Und sie lassen sich nach der Ernte mehrere Monate lagern.
In einer Solawi schließen sich Verbraucher*innen zusammen und finanzieren als Gruppe einen landwirtschaftlichen Betrieb: die Pacht für das Gemüsefeld, den Lohn der Gärtner*innen, den Transport der Lebensmittel. Weil die Mitglieder in Vorleistung gehen, können die Landwirt*innen wirtschaftlich unabhängig arbeiten und erhalten Sicherheit trotz möglicher Ernteausfälle. Im Gegenzug versorgen sie die gemeinschaftlichen Depots der Solawistas mit frischen Lebensmitteln. Je nach Ernteplan, Jahreszeit und Ertrag erhält jedes Mitglied mal eine Hand voll Tomaten, mal eine halbe Vorratskammer voller Kohlköpfe. In einer Solawi zahlt keine*r für die einzelnen Produkte, sondern für deren Erzeugung.
Landwirtschaft zum Mitmachen
Sabine Hüholt holt immer freitags ihren Anteil an frischem Gemüse in einem Depot der Solawi Superschmelz ab. Drei solcher Sammelstellen gibt es in Buchholz in der Nordheide, ganz in der Nähe ihres Hauses in Sprötze. Im Raum Hamburg sind es insgesamt acht, alle südlich der Elbe. Heute steht die Lehrerin einer Wirtschaftsschule mit einer langen Hacke im Gewächstunnel zwischen zwei Pflanzenreihen und bearbeitet den Erdboden – ganz vorsichtig, um die feinen Stängel der jungen Pflanzen nicht zu verletzen. Wellness für den Fenchel, nennt sie das. “Ich belüfte den Boden und entferne das Beikraut. Das wollen wir nämlich nicht im Beet.”
Die 62-Jährige befindet sich im Sabbatjahr und hat dadurch Zeit, sich aktiv bei der Solawi einzubringen. Letztes Jahr hat sie mit einer handvoll Solawistas einen Vormittag lang Lebensmittel eingekocht. Am Mittag wurden dann etliche Gläser mit Rotkohl, frischem Pesto und literweise Tomatensauce auf sie und ihre Mitstreiter*innen aufgeteilt. Das Wegwerfen von Lebensmitteln gilt unter Solawistas als verpönt. Was es nicht zeitnah in den Kochtopf schafft, wird haltbar gemacht. Was man nicht mag, wird verschenkt.
Foto: Benjamin Eckert
Foto: Benjamin Eckert
Foto: Benjamin Eckert
Foto: Benjamin Eckert
Foto: Benjamin Eckert
Foto: Benjamin Eckert
Foto: Benjamin Eckert
Foto: Benjamin Eckert
Solidarisch gewachsen
Was vor vier Jahren mit 15 Menschen und dem Wunsch nach einem eigenen Gemüseanbau begann, ist heute eine der mitgliederstärksten Solawis Niedersachsens. Die Solawi Superschmelz hat auf dem Biohof Quellen in Wistedt Anbauflächen so groß wie fünf Fußballfelder vom ansässigen Biolandwirt untergepachtet. Sechs Gärtner*innen haben den Acker seit Anfang des Jahres vorbereitet und 8000 Jungpflanzen in die zwei Gewächstunnel gesetzt. Für die gesamte Saison wurden 342 Kilogramm Saatgut und 175.000 Pflanzen bestellt. Am Ende des Wirtschaftsjahres sollen dann 60 verschiedene Gemüsesorten an die Depots geliefert worden sein.
Finanziert werden soll dies durch insgesamt 900 Ernteanteile, so der Wunsch des Vereins. Etwa 550 Anteile hatte der Verein schon vor dem Saisonbeginn an Menschen aus der Region vergeben. Die Mitglieder zahlten einen festgelegten Richtwert von 516 Euro für das Jahr, also rund zehn Euro pro Woche. Manche gaben mehr und fingen den kleineren Beitrag von Geringverdiener*innen auf. Die Mitglieder einer Solawi solidarisieren sich also nicht nur mit dem Landwirt, der ihre Lebensmittel produziert, sondern auch miteinander.
“Weg vom Konsumentendenken, hin zu einer neuen Wertschätzung von Lebensmitteln.”
Nicht nur wegen der Mehrkosten ist die Solidarische Landwirtschaft nicht für jede*n der richtige Weg, um sich nachhaltig mit Lebensmitteln zu versorgen. Zu einfach ist es heutzutage, das ganze Jahr über eine große Vielfalt von exotischen Früchten im Supermarkt zu erstehen. “Manch einer möchte sich gar nicht ausschließlich saisonal und regional ernähren”, sagt Sönke Stende. Der 50-Jährige war in der letzten Saison im Vorstand der Solawi Superschmelz. Bis zu 20 Stunden in der Woche hat er in der letzten Saison investiert und ehrenamtlich die Depots mit Gemüse vom Hof beliefert.
Ein Umdenken ist erforderlich
Stende weiß aus eigener Erfahrung, dass man als Solawist umdenken muss: “Weg vom Konsumentendenken, hin zu einer neuen Wertschätzung von Lebensmitteln, ihrer Erzeugung und den Menschen hinter der Produktion.” Auch für Landwirte sei es deshalb nicht immer einfach, den laufenden Betrieb auf eine solidarische Produktionsweise umzustellen. “Es braucht auch immer Menschen neben den Bauern, die bereit sind, die Organisation in die Hand zu nehmen und viel Zeit in den Aufbau solch einer Gemeinschaft zu investieren”, sagt der überzeugte Solawist.
Trotzdem findet das Modell in Zeiten von Bio-Bewegung und Klimastreiks immer mehr Anhänger*innen. Allein in Hamburg und Niedersachen gibt es 34 Solawi-Betriebe. Seit 1988 sind laut dem Netzwerk Solidarische Landwirtschaft bundesweit über 237 solcher Gemeinschaften entstanden. 2018 fand sich das Wort Solawi sogar im Entwurf des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und SPD – als beispielhaftes Vorhaben zur regionalen Wertschöpfung und Vermarktung.
Vor dem Saisonbeginn liegt das Solawi-Depot auf dem Biohof in Wistedt noch brach. An der Tür des kleinen Raumes hängt ein roter Zettel: “We care. We share. We solawi.” Es ist kühl, Licht tritt nur durch ein kleines Fenster auf eine analoge Küchenwaage und leere Gemüsekisten. Katharina Kampe holt den letzten Kohlrabi aus einer der Kisten und wiegt ihn von einer Hand in die andere. Die Superschmelz-Knolle, groß wie zwei Hände, stammt aus dem vergangenen Jahr. Sie ist zwar noch immer hellgrün, beginnt aber langsam zu schrumpeln. Die Gärtnerin schließt das Depot hinter sich und macht sich nach ihrer Inspektion wieder auf zum Feld und den Gewächstunneln. Im Mai und Juni sollen dort neue Kohlrabis geerntet werden. Erst dann hatte der Superschmelz genug Sonne, Wärme und Wasser. Und ein bisschen Wellness.