Gemeinsam schnippeln, essen und sich austauschen: Bei dem Projekt „Über den Tellerrand“ treffen sich regelmäßig Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zu einem Kochabend. FINK.HAMBURG war zu Gast.
Regenschirme liegen eng an eng im Vorraum des Hauses Elfsaal in Hamburg Jenfeld. Pfützen bilden sich langsam auf dem Fußboden. Auf dem Kickertisch in der Raummitte liegen nasse Jacken. Immer wieder geht die Tür auf und Menschen betreten hastig den Raum. „Hallo“, „Marhabaan“, „Hello“ grüßen sie. Ein Küsschen links, ein Küsschen rechts, herzliche Umarmungen. Viele kennen sich bereits. Einige stehen erst einmal beobachtend am Rand.
„Das ist gutes Wetter für uns“, sagt Sulaiman Ahmad. „Bei Regen kommen mehr Menschen.“ Ahmad, oder „Suli“, wie er gerufen wird und wie es auch auf seinem Hemd steht, ist ehrenamtlicher Freizeitkoch bei „Über den Tellerrand“, einem Projekt, das Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zusammenbringt. Entweder es wird zusammen gekocht, oder gestaltet, oder Sport getrieben. Heute leitet er den Abend.
Liebe geht durch den Magen
Ahmad wohnt seit viereinhalb Jahren in Deutschland und macht eine Ausbildung zum Kaufmann für Spedition und Logistik in Hamburg. Bei „Über den Tellerrand“ engagiert er sich seit eineinhalb Jahren ehrenamtlich. „Wir sagen, Liebe geht durch den Magen. Durch das Essen und Kochen bekommt man Leute schnell ins Gespräch. Dann bricht das Eis sofort.“
Ahmad ist nur einer von vielen Freizeitköch*innen, die sich ehrenamtlich in dem Projekt engagieren. An „seinem“ Abend überlegt er sich die Rezepte und kauft Zutaten ein. Heute möchte er ein indisches Gericht kochen: Butter Chicken. In einer vegetarischen Variante und einer mit Fleisch. Dazu gibt es Bhajis, ein würziger Snack, und das Reisgericht Biryani Reis. Dabei wird er von den Teilnehmer*innen sowie anderen Köch*innen des Projektes unterstützt.
Mido Algharbawi ist einer von ihnen. Er stammt ursprünglich aus dem Irak und ist seit 2017 in Deutschland. Heute steht er am Herd. „Vor vier oder fünf Monaten hatte ich viel Zeit und nichts zu tun. Jetzt arbeite ich freiwillig mit und habe schon zweimal irakisches Essen gekocht“, sagt er. „Es war lecker und hat Spaß gemacht. Und ich habe auch viele nette Leute kennengelernt.“
Auf den Geschmack gekommen
Wie Algharbawi geht es auch vielen anderen Teilnehmer*innen. Die heute etwa 30 Personen stammen aus verschiedensten Herkunftsländern und Kulturen: aus Syrien, Afghanistan, Kanada und Deutschland. Heute sitzen sie gemeinsam an einem Tisch, schälen Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln, schneiden Pilze, Petersilie und Tomaten. Reden, scherzen und lachen zusammen. Niemand steht mehr allein am Rand.
„Wir möchten bewirken, dass die Gesellschaft offener wird und alle Leute sich auf Augenhöhe begegnen. Egal woher sie kommen, welche Hautfarbe sie haben oder was ihr Hintergrund ist“, sagt Ahmad.
Das kommt gut an, Mo Petersen ist bereits zum fünften Mal dabei. Heute hat sie ihre Tochter und ihren älteren Sohn Aaron mitgebracht – oder „mitgeschleppt“, wie Letzterer es mit einem Grinsen ausdrückt. Er ist gerade von einem längeren Auslandsaufenthalt in Australien zurückgekommen freut sich nun auf den Austausch am Abend: „Ich mag essen und lerne gerne neue Leute kennen.“
„Der Austausch öffnet mir manchmal die Augen – für das, was eigentlich wichtig ist im Leben.“
Seine Mutter war bereits an verschiedenen Standorten in Hamburg beim „Über den Tellerrand“-Kochen. Gefallen hat es ihr jedes Mal. „Ich kenne jetzt ein paar Leute und freue mich sie wiederzusehen“, sagt Petersen. „Aber ich lerne auch jedes Mal neue Menschen mit Fluchterfahrung kennen und der Austausch öffnet mir manchmal die Augen – für das, was eigentlich wichtig ist im Leben.“
Neue Freundschaften über den Tellerrand
Auch Gesa von Maydell hat lange Zeit im Ausland gelebt: 15 Jahre in Kanada und zehn Jahre in Frankreich am Fuß des Mont Blanc. Die gelernte Krankenpflegerin kam dann wieder nach Hamburg. „Es ist nicht einfach, hier Freunde zu finden“, sagt sie. Zwar habe sie noch ein paar Bekanntschaften aus der Zeit vor ihrer Auswanderung, neue Freundschaften finde sie aber bei „Über den Tellerrand“.
„Ich gebe, was ich kann, aber bekomme tausendmal mehr.“
Besonders die Offenheit schätze sie an Abenden wie diesem. „Es ist in diesem Kreis – und gerade auch mit den persischen und arabischen Menschen, die ich kennenlerne – viel unkomplizierter, als mit den Deutschen“, sagt sie. „Man wird als älterer Mensch gleichwertig oder noch mehr respektiert und ist nicht einfach „Die Alte“. Ich gebe, was ich kann, aber bekomme tausendmal mehr.“
Berlin ist Vorreiter
In Hamburg gibt es „Über den Tellerrand“ seit 2015. In verschiedenen Stadtteilen, wie Wandsbek, Wilhelmsburg, Jenfeld und Altona finden regelmäßig Kochabende statt. Inspiriert wurde das Projekt durch den „Über den Tellerrand e.V.“ in Berlin, unterstützt wird es durch Spenden und den Wilhelmsburger Verein „Die Insel hilft e.V.“. Das ist unerlässlich für den Erfolg, wie Freizeitkoch Ahmad mehrfach am Abend betont. „Ich möchte euch noch einmal an unsere Spendenbox erinnern“, sagt er. Dann ist das Buffet eröffnet.
Eine halbe Stunde später sind die Teller leer und Ahmad lächelt. „Wenn man ein Kochevent organisiert, dann ist das stressig“, sagt er. „Aber wenn man am Ende die Leute sieht, dass alle zusammen reden und die Freude auf ihren Gesichtern erkennen kann, dann ist das das Schönste, was man erleben kann.“ Und als nach sechs Stunden die ersten Teilnehmer*innen aufbrechen, hat sogar der Regen aufgehört.
Titelbild: Nina Maurer