In der Schanze wurde Hamburgs zweiter Weekday-Store eröffnet. An der H&M-Tochter entzündet sich wieder einmal die Gentrifizierungs-Debatte: Wird das links geprägte Kreativviertel zur Shoppingmeile?
Um Punkt 12.00 Uhr öffnen sich die Pforten des neuen Weekday-Stores auf dem Schulterblatt. Davor sieht man ein Dutzend augenscheinlich modebewusster Menschen. Viele tragen Schwarz, andere sind eher bunt und ausgeflippt gekleidet. Fransen von abgeschnittenen Levis-Hosen baumeln über 150-Euro Sneakern, andere tragen ihren Hosensaum so, als wäre Hochwasser. Das passt wiederum ganz gut zu den Seemannsmützen, die einer Kippa gleich auf dem kurzgeschorenen Haar drapiert sind. Das gängigste Brillenmodell sieht nach wilden 70ern aus. Vor dem Geschäft stehen zwei Herren im Anzug, die freundlich grüßen. Entweder sollen sie für einen netten Empfang sorgen. Oder für Sicherheit.
Kurze Zeit später läuft in dem gut ausgeleuchteten Geschäft laut Techno, dann Hip-Hop. Zwei Polizisten sind auch schon da. “Aber nur, um mal Hallo zu sagen”, erzählt die anwesende Pressesprecherin beiläufig. Sie sei jedoch zu beschäftigt, um Fragen im Detail zu beantworten. Auf eine Mail antwortete sie später zügig mit einer knappen Entschuldigung und dem Statement: “Wir freuen uns sehr, endlich einen zweiten Store in der wundervollen Stadt Hamburg zu eröffnen. Das Hamburger Schanzenviertel ist eine ideale Umgebung für uns und wir glauben, dass Weekday eine optimale Ergänzung dazu sein wird.”
Das sehen hier aber beileibe nicht alle so. Alessia kommt gerade aus der Drogerie schräg gegenüber. “Wer braucht schon diesen Hipster-Scheiß”, sagt sie ohne lange nachzudenken. Die 25-Jährige hat Mann und Kind, verrät sie, von daher komme es für sie nicht mehr infrage, Scheiben einzuwerfen. “Ich bin mir aber sicher, dass das schnell passieren wird.”
Unterdessen bildet sich an der Weekday-Kasse eine Schlange. Die ersten hundert Besucher bekommen von Mitarbeitern, die wie Models aussehen, einen Goodiebag in die Hand gedrückt. Der Inhalt: Lakritz-Schokolade, Spezialwaschmittel und ein T-Shirt mit dem Aufdruck “Women need more sleep than men because fighting the patriarchy is exhausting”. Eigentlich ein Spruch, der perfekt in dieses Viertel passt – nur, dass er auf dem T-Shirt einer großen Modekette steht. Und die sind in der Sternschanze nicht sehr beliebt.
Den 19-jährigen Thore interessiert das nicht. Für ihn gibt es keine Nachteile. Er verstehe nicht, wieso die Leute sich aufregen: “Die Klamotten sind super und ich muss nicht mehr zu dem Store auf der Mönckebergstraße fahren.” Während Thore weitergeht kommt Stephan aus dem gut besuchten Laden: “Ich bin mal gespannt, wie lange es dauert, bis das Schild ab ist”, sagt er zu seiner Begleitung und zeigt auf die türkisen Leuchtbuchstaben über dem Eingang. “Die Scheiben sind zwar hinter den Rollladen, aber wer weiß, wie viel das überhaupt bringen wird”, fährt der 34-Jährige auf Nachfrage fort. Stephan kann den Ärger verstehen, sieht aber auch positive Aspekte: “Es ist mies, wenn die kreativen Viertel so ausgesaugt werden. Aber andere Leute freuen sich.” Für ihn belebe es die Straße noch mehr und das sei gut.
Von Gentrifizierern und Gentrifizierten
Luis Fernando Machado hat einen kleinen Laden namens “Coline” auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er ist sich nicht sicher, ob mehr Leute auf dem Schulterblatt auch für ihn ein besseres Geschäft bedeuten: “Natürlich ist es gut, dass mehr Leute hier sind, aber Weekday ist keine Konkurrenz.” Machado glaubt nicht, dass die Leute, die bei der H&M-Tochter einkaufen, auch an seiner ethnozentrischen Mode Gefallen finden. Modefragen sind eben auch Geschmacksfragen, aber nicht nur. Machado verkauft nach eigenen Angaben Kleidung, die in Nepal fair produziert wird. Der Weekday-Mutter H&M sind schon verschiedentlich extreme Arbeitsrechts- und Arbeitsschutzrisiken vorgeworfen worden.
Was der brasilianische Geschäftsmann jedenfalls deutlich merkt, ist der Mietpreisanstieg: “Ich bezahle für die 25 Quadratmeter Ladenfläche 4000 € Miete und die Heizung funktioniert noch nicht einmal richtig.” Er habe im Januar bei seinem Einzug einen neuen Vertrag bekommen. Machado zufolge hat der Vermieter konkret auf Weekday verwiesen, um den hohen Betrag zu rechtfertigen. Der Friseur nebenan zahle nur 2300 € für ungefähr dieselbe Fläche.
Am Anfang dieser umstrittenen Straße, die mittlerweile für Konsum ebenso wie für Krawalle steht, befindet sich ein Geschäft, dessen Scheiben schon so oft besprüht und eingeschlagen wurden, dass die Geschäftsführung aufgehört hat, sie zu erneuern. Hinter dem Baugerüst ziehen sich Risse wie Spinnennetze über die großzügige Schaufensterfront von Kauf Dich Glücklich. Beim Eintritt verändert sich das Gefühl von Belagerungszustand zu Heimeligkeit. Das warme Licht passt zu den urigen Möbeln, die ruhige Musik zu den freundlichen Mitarbeitern. Kauf Dich Glücklich ist seit 2009 auf dem Schulterblatt und wird seitdem massiv angefeindet, auch wenn sich die Betrieber selbst gar nicht als Kette definieren. Es gibt 19 Stores in 12 Großstädten.
Annika ist die stellvertretende Leiterin der Filiale. Sie kann verstehen, dass sich die Leute ärgern, die schon lange hier wohnen und sich herausgedrängt fühlen, “aber Steine werfen ist da keine rationale Lösung für”. Ihre Kollegin Miri, die öfter im Laden aushilft, sieht den Grund in der Vergangenheit des Viertels. “Die Linke hat eine Abneigung gegen Konsum und wir heißen Kauf Dich Glücklich. Das macht uns zur perfekten Zielscheibe”, meint die 19-Jährige. Sie beide befürchten, dass es Weekday bald ähnlich gehen wird.
Zwischen Krawall und Shoppingmeile
Anwohnerin Alessia vertritt genau die Haltung, die Miri beschreibt: “Konsumgeilheit steht für die Jugend an erster Stelle. Es wird propagiert, dass Aussehen und Image das Wichtigste sind.” Außerdem sei für sie ein Laden wie Weekday aufgrund der Produktionsbedingungen der Dachfirma H&M schlichtweg unethisch und damit in der Schanze fehl am Platz.
Wieder zurück am neu eröffneten Laden hat sich der erste Andrang bereits gelegt. Die Musik läuft immer noch ohne Zwischenfälle. Isa und Lorenz kommen aus dem Geschäft. Auch die beiden 20-Jährigen freuen sich, dass sie nicht mehr in die Innenstadt fahren müssen. “Da ist eh alles voller 13-Jähriger. Ich meine, nichts gegen 13-Jährige, aber die sind heutzutage schon echt krass”, sagt Isa. Außerdem seien die “Employees” hier besser angezogen. Und die Schanze schon lange nicht mehr links.