Krankheit, Drogen, Familienstreit – diese Dinge bestimmen Mankes Leben. Er ist seit zehn Jahren auf der Straße. Aber gerade scheint sich seine Situation zu bessern.
Mittags im Schanzenviertel. Regenwolken hängen wie vollgesogene Schwämme über der Stadt. Von der S-Bahn-Unterführung tropft rostfarbenes Wasser. Unter der Brücke steht ein junger Mann, barfuß und mit zotteligen Haaren. Sein Name ist Manke. Er klimpert mit dem Kleingeld in seiner Blechdose, während über seinem Kopf Züge entlangdonnern.
Fast jeden Tag steht er dort und schnorrt. „Das ist mittlerweile ganz normal. Ich lebe seit zehn Jahren so und kenne es gar nicht anders“, erklärt der 28-Jährige ruhig. Er lacht viel. Das Gespräch entwickelt sich von ganz alleine.
Psychische Krankheit und Selbstmedikation mit Cannabis
Ursprünglich kommt Manke aus Dortmund. Dort hatte er ein Auto, lebte in einer Wohnung und lernte einen Beruf. Trotzdem war sein Leben nicht unbeschwert. Seit er Kind ist, kämpft er mit psychischen Erkrankungen. „Paranoide Schizophrenie, manische Depression und psychosomatische Störung“, zählt er die Diagnosen auf, wie aus der Pistole geschossen.
Er war immer Außenseiter, in der Schule hat er Schläge einstecken müssen. Er fühlte sich wie ein Fremdkörper. Das änderte sich, als er begann, Drogen zu nehmen. „Als ich angefangen habe zu kiffen, wurde ich das erste Mal in einer Klassengemeinschaft aufgenommen, weil sich mein Verhalten geändert hat“, sagt er bestimmt. Er wurde zwar immer noch nicht respektiert, aber zumindest akzeptiert.
Von da an kifft er, nennt das Selbstmedikation. „Ich kann entweder Tabletten fressen, die mich jeden Tag kotzen lassen und mich dazu bringen, gesellschaftsunfähig in der Ecke zu liegen, oder ich kiffe und führe ein halbwegs normales Leben“, erklärt er. Cannabidiol (CBD), ein Nebenstoff von Cannabis, wirke antidepressiv. Der richtige Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) euphorisiert ihn und gibt ihm den nötigen Antrieb. Und solange die manische Depression nicht durchkommt, würden auch die anderen Krankheiten nicht ausschlagen.
Doch seine Eltern wollen keinen drogensüchtigen Sohn. Sie weigerten sich, ihn finanziell zu unterstützen, weil er einen Entzug ablehnte. „Schon allein der Begriff Cannabisentgiftung stört mich. Du kannst einen Kiffer nicht zusammen mit Heroin-Junkies in ein Zimmer sperren und glauben, dass der da vernünftig entgiften kann.“ So verlor er seine Wohnung, sein Auto, seine Familie und damit auch den Ausbildungsplatz.
Dann kam er nach Hamburg. „Ich wollte schon immer mal nach Hamburg und in Dortmund hatte ich nichts mehr, was mich gehalten hat“, sagt er mit zuckenden Schultern und fährt fort: „Na gut, hier hatte ich auch nichts, aber ich war wenigstens glücklicher.“
Das ist zehn Jahre her. Damals war er 18 Jahre alt. Aber in Deutschland muss doch niemand obdachlos sein, oder? „Natürlich könnte ich auch in ein Obdachlosenheim ziehen, aber auf einem 8- oder 16-Mann-Zimmer halte ich es wegen meiner Krankheit nicht aus. Das kommt überhaupt nicht in Frage.“ Deswegen kommt er ab und zu bei Freunden unter. Aber größtenteils steht er auf der Straße, um Geld zu erbetteln. Zwar bezieht er Grundsicherung vom Amt und kann sich davon ernähren, allerdings brauche er die Drogen, um seine Krankheiten zu behandeln. Seit März ist er auf der Suche nach einem Arzt, der ihm medizinisches Marihuana verschreibt. Ohne Erfolg.
Besserung in Sicht
Doch es gibt Ausblick auf Besserung. „Demnächst habe ich vielleicht wieder einen festen Wohnsitz, aber das ist alles in Arbeit“, erklärt er mit Freude. Eventuell kann er Nachmieter in der Wohnung eines Freundes werden. „Das wäre ein echter Glücksfall, weilich sonst niemals eine Wohnung finden würde. Ich habe nämlich keinen Dringlichkeitsschein.” Um den zu bekommen, muss man drei Jahre in Hamburg gemeldet sein. Da er zwischenzeitlich über ein halbes Jahr in Köln war, läuft die Zeit wieder von vorne. Dort lebte er mit seiner Freundin, die er auf den Straßen Hamburgs kennengelernt hatte. Nach der Trennung kam er wieder in den Norden.
Nochmal in die Schule zu gehen, um sein Abitur nachzuholen, ist für ihn ausgeschlossen. Die Angst ist zu groß. „Das war für mich ein Graus, aber ich möchte arbeiten und habe auch eine relativ genaue Vorstellung“, sagt er mit einem etwas verschämten Grinsen. Manke hat einen BDSM-Fetisch. Wenn er eine Wohnung hat, würde er gerne ein privates Gewerbe anmelden.
Während er spricht, gehen andauernd Leute an ihm vorbei. Manche beachten ihn überhaupt nicht, andere blicken ihn abwertend an. Die wenigsten schmeißen etwas Kleingeld in die Blechdose. Er bedankt sich und wird nicht müde, die nächsten Passanten anzusprechen. „Ich bin glücklicher als viele der Leute, die ich hier jeden Tag langgehen sehe. Aber naja, ich habe auch weniger Stress als die“, sagt er mit einem herzhaften Lachen.