Ein Junge, der jedem hilft, der seine Hilfe braucht: das ist Tim Tammer, Protagonist des Films „Die Reise nach Sundevit“. Der 1966 erschienene DDR-Kinderfilm ist eine Parabel auf Mitmenschlichkeit – und daher heute so aktuell wie nie.
Es ist Sommer. Die Wellen der Ostsee treffen auf den feinsandigen Strand. Ein 12-jähriger blonder Junge wirbelt sein Handtuch umher, während er eine Düne erklimmt. Es ist Tim Tammer (gespielt von Ralf Strohbach). Der Wind verbiegt die im Sand wachsenden Gräser. Hinter der Düne entdeckt der Junge mehrere kleine Zelte aus Stoff – ein Lager der jungen Pioniere. Überrascht und glücklich darüber nähert sich Tim den Zelten.
Der im Rahmen der Heimatfilmreihe des Filmfest Hamburg gezeigte Film „Die Reise nach Sundevit“ von 1966 beruht auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Benno Pludra. Der von der Deutschen Film AG, dem Filmunternehmen der DDR, produzierte Kinderfilm, wurde sowohl in Westdeutschland, als auch in Ostdeutschland von Kritiker_innen gelobt. Hervorgehoben wurde vor allem die schauspielerische Leistung von Strohbach als Tim Tammer. So schrieb beispielsweise „Die Zeit“ in einem Artikel von 1966: „Sobald ‚Tim‘ spielen kann – beim Lauf im Manövergelände beispielsweise –, wirken seine Wut, seine Angst, sein Traurigsein völlig echt.“
Tims mühsamer Weg
Doch um was geht es eigentlich? Während Tims Freunde im Urlaub sind, muss er seine Ferien in seinem Heimatdorf verbringen, einem fiktiven Ort direkt an der Ostsee. Dort streunt er am Strand herum oder vertreibt sich die Zeit im Leuchtturm der Familie. Alles etwas einsam für einen 12-Jährigen. Umso erfreuter ist Tim über die anderen Jugendlichen im Zeltlager. Er versteht sich auf Anhieb gut mit ihnen. Sie erzählen ihm, dass sie am Mittag des nächsten Tages nach Sundevit, einem benachbarten Ort aufbrechen und bieten Tim an, sie zu begleiten. Als er am nächsten Morgen seine Eltern um Erlaubnis bittet, willigt sein Vater ein. Glücklich darüber, beschließt Tim seinem Vater einen Gefallen zu tun – und so fährt er mit seinem Fahrrad ins Nachbarsdorf, um dort die Brille eines Bekannten abzuliefern. Der hatte sie beim letzten Besuch bei den Tammers vergessen.
Und hier beginnt die unendliche Geschichte. Ein Wunsch, kaum erfüllt, zieht einen neuen nach sich. Der Bekannte bittet Tim, auf dem Rückweg zum Strand einen Schlauch bei der Tankstelle abzuliefern. An der Tankstelle bittet eine alte Dame den Jungen, Tee aufs Feld zu ihrem Enkel zu bringen. Tim sagt wieder zu, die Zeit wird langsam knapp. Auf dem Weg nach Hause stürzt Tim und sein Fahrrad geht kaputt. Als er endlich zurück auf der Düne ist, sind die Kinder weg.
Die einzige Möglichkeit, es noch rechtzeitig nach Sundevit zu schaffen: mit der Fähre. Doch zu Fuß ist der Weg zum Anleger zu weit. Nun bräuchte Tim eigentlich Hilfe. Doch er, der so bereitwillig allen anderen geholfen hat, steht alleine da
Eine egoistische Gesellschaft
„Die Reise nach Sundevit“ ist ein authentischer Film, der seinen Zuschauer_innen eine Geschichte zeigt, die wahrscheinlich jeder schon einmal erlebt hat. Schnell baut man eine Bindung zu Protagonist Tim auf, man leidet mit ihm, wenn die Hilfe verweigert wird und ist wütend auf diejenigen, die so kaltherzig sind.
Obwohl die Verfilmung mittlerweile 52 Jahre alt ist, hat dieser Film nichts an Aktualität verloren. Beispiele für Unmenschlichkeit und Egozentrik finden sich auch heute viele: Banker wirtschaften in die eigene Tasche und verursachen eine Weltfinanzkrise, die mit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers 2008 ihren Höhepunkt findet. Viele Staaten Europas weigern sich, Geflüchtete aufzunehmen. Und wie die Enthüllungen der „Panama Papers“ gezeigt haben, zahlen viele der reichsten Menschen dieser Welt keine Steuern. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.
Tim dürfte diese egoistische Sicht auf die Welt fremd sein. Die Frage bleibt: Würde er in der heutigen Zeit den Anleger rechtzeitig erreichen?