100 Jahre nachdem sich die Frauen das Wahlrecht erkämpften, sind nur ein Viertel der Kommunalpolitiker*innen weiblich. Um das zu ändern, wird der Helene-Weber-Preis verliehen. Preisträgerin Notburga Kunert hat mit FINK.HAMBURG über Frauen in der Politik und das Paritätsgesetz gesprochen.
Der Bundestag ist nur zu gut 30 Prozent von Frauen besetzt. Auf Landesebene ist das Geschlechterverhältnis in politischen Ausschüssen ähnlich, in der Kommunalpolitik ist der Frauenanteil noch geringer. Wieso bekleiden weibliche Politikerinnen immer noch so wenige Ämter und hilft da die Frauenquote?
Notburga Kunert gehörte 2009 zu den ersten Kommunalpolitikerinnen, denen der Helene-Weber-Preis verleihen wurde. Kunert ist Mitglied der CDU, stellvertretende Landrätin im Kreisverband Rhein-Sieg und engagiert sich für mehr Frauen in der Kommunalpolitik.
FINK.HAMBURG: Wieso ist es für Frauen so schwer in die Kommunalpolitik zu gehen?
Notburga Kunert: Frauen sind auch heute noch vielfach belastet: Beruf, Kinder, Haushalt, Aufgaben in Schulen oder Kitas. Das bisschen Freiheit, was bleibt, möchte man für sich persönlich nutzen. Aber vielleicht trauen sich viele auch nicht zu, in die öffentliche Politik zu gehen – obwohl sie doch selbstverständlich in ihren Aufgaben gesellschaftspolitisch tätig sind. Die Themen sind oft „sperrig“, die Sitzungszeiten sind nicht familienfreundlich und vielleicht denken viele auch, sie könnten das nicht…
Es ist doch erschreckend: 100 Jahre nach dem Erwerb des Frauenwahlrechts ist auch der Bundestag immer noch größtenteils von Männern besetzt. Der Frauenanteil ist in den vergangenen Jahren auf Bundesebene sogar zurückgegangen.
Kunert: Unter anderem, weil die Parteien bei den Aufstellungen der Kandidaten und Kandidatinnen für die Wahllisten nicht genügend Frauen berücksichtigen. Die Gleichberechtigung weist immer noch Lücken auf – die Unterbesetzung finden wir ja auch in anderen Bereichen wie Führungspositionen, Aufsichtsräten und so weiter.
Hilft da die Frauenquote?
Kunert: Niemand möchte gerne eine Quotenfrau sein. Aber solange es keine Parität gibt, ist die Quote ein Hilfsmittel, mehr Frauen in entsprechende Funktionen zu bekommen.Das beste Mittel, vermehrt Frauen in die Politik zu bringen, wäre ein Paritätsgesetz.
Das Paritätsgesetz
Das Paritätsgesetzt besagt, dass nur Parteien an Wahlen teilnehmen dürfen, deren Liste einer Quote entspricht. Das heißt: Die Parteien wären gesetzlich dazu verpflichtet, abwechselnd Frauen und Männer auf ihren Wahllisten aufzustellen.
Vor 100 Jahren erkämpften sich Frauen das Wahlrecht. Können wir uns für die heutige Debatte da noch etwas abschauen?
Kunert: Die Frauen waren mutig und haben – trotz zahlreicher Repressalien – für ihre Rechte gekämpft und sich durch die Gemeinschaft gegenseitig gestärkt. Das gilt auch heute noch: nie aufgeben! Auch wenn es länger dauert, der Erfolg wird sich einstellen.
Sie haben den Helene-Weber-Preis gewonnen: Was hat sich danach verändert?
Kunert: Als der Helene-Weber-Preis im Jahr 2009 erstmals an die Preisträgerinnen unterschiedlicher Parteien vergeben wurde, sollte das eine einmalige Sache sein – anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Grundgesetzes. Wir Preisträgerinnen haben uns aber zusammengeschlossen und wir waren uns einig: Der Preis sollte Ansporn sein und die Aufgabe haben, mehr Frauen in die Kommunalpolitik zu integrieren. Wir haben uns beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dafür stark gemacht und es ist uns gelungen. Der Preis wird in jeder Legislaturperiode einmal vergeben. Wir haben das mit Unterstützung der Mentorenprogramme der Europäischen Akademie für Frauen in der Politik und Wirtschaft in Berlin e.V. (EAF) durchgeführt, ein Helene-Weber-Netzwerk und Kolleg gegründet.
Aber Ihre Arbeit beschränkt sich nicht nur auf Deutschland.
Wir nehmen gemeinsam an Seminaren teil und werben öffentlich für mehr Frauen in der Kommunalpolitik – zuletzt beim CDU-Bundesparteitag in Hamburg.
Wieso ist es wichtig, dass Frauen politisch mitbestimmen?
Kunert: Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen, also betreffen alle politischen Themen beide Geschlechter. Frauen und Männer haben aber unterschiedliche Sichtweisen und daher ist es geboten, bei allem auch die weibliche Sicht einzubringen.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Der Helene-Weber-Preis
Der Helene-Weber-Preis wurde erstmals 2009 verliehen und zeichnet ehrenamtliche kommunale Mandatsträgerinnen für außergewöhnliches Engagement aus. Die Anwärterinnen werden von einem Bundesabgeordneten vorgeschlagen. Der Preis wird unabhängig von der Partei verliehen und soll vor allen Dingen Frauen dazu motivieren, in der Kommunalpolitik tätig zu werden. Die Preisträgerinnen bekommen die Möglichkeit an Netzwerktreffen teilzunehmen, sie erhalten individuelle Coachings und gewinnen zusätzlich 500 Euro für ein Projekt in ihrer Stadt.