45 Millionen Truthähne, lange Reisen nach Hause und ein Festmahl, das gerne den ganzen Tag dauert: Für US-Amerikaner ist Thanksgiving eine große Sache. Auch für jene, die in Hamburg leben? Wir haben fünf von ihnen gefragt.
Thanksgiving ist das Fest der Superlative im Land der Superlative: Über 45 Millionen Truthähne kommen in den Vereinigten Staaten Jahr für Jahr an dem Feiertag auf den Tisch. Vor und nach dem Fest sind so viele Reisende in den USA unterwegs, wie an kaum einem anderen Tag im Jahr. Und der auf den Feiertag folgende „Black Friday“ stellt mit seinen Sonderangeboten jedes Jahr neue Verkaufsrekorde auf.
Kann fernab der Heimat in Hamburg auch nur ansatzweise ein ähnliches Gefühl entstehen? Wie feiern US-Amerikaner Thanksgiving fernab von Tradition und Superlativen? Wir haben fünf von ihnen gefragt:
“Im Vordergrund steht die Familie”
Wendy Brown lebt seit 2001 in Deutschland:
Thanksgiving kompakt
Der Feiertag soll darauf zurückgehen, dass Native Americans den ersten europäischen Einwanderern beibrachten, wie man Mais anbaut. Die Pilgrims überlebten deswegen den harten Winter – und luden die Ureinwohner zum Dank im darauffolgenden Herbst zu einem Festmahl ein. Heute wird der Tag in den USA durchaus kritisch gesehen, weil die amerikanischen Ureinwohner in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten bekanntlich stark unter der Zuwanderung litten.
“Thanksgiving ist oft der letzte Feiertag, den eine amerikanische Familie aufgeben würde. Es ist ein besonderer Feiertag. Einer, der nahe geht. Früher sind wir an Thanksgiving immer extra zu meiner Großmutter in den Nordosten der USA geflogen, damit wir als Familie zusammen feiern können. Thanksgiving ist sehr herzlich. Auch, weil es keine Geschenke gibt.
Eine Feier dauert immer den ganzen Tag – mindestens. Man muss lange im Voraus einen Truthahn finden und bestellen, das ist in Deutschland nicht so einfach. Man muss auch einen Truthahn finden, der in den Backofen passt. Ganz oft sind die Truthähne zu groß für deutsche Backöfen. Und es muss ja nicht nur der Truthahn in den Ofen, auch die ganzen Pies: Apple Pie, Pumpkin Pie, Mincemeat Pie … Man hat in Deutschland normalerweise nur einen Ofen und es passt nicht alles rein. Deswegen ist es in Hamburg oft üblich, dass jeder etwas mitbringt.
Ich versuche oft, mit meiner Tochter am Donnerstagabend, also dem eigentlichen Thanksgiving-Tag, etwas Besonderes zu machen, um den Tag zu würdigen. Wir essen dann meist etwas aus Putenfleisch oder andere typische Sachen, aber nichts Kompliziertes. Es geht vor allem um den Gedanken.
Dieses Jahr waren meine Tochter, ihre Freunde und ich bei einer amerikanischen Freundin, die mit einem Deutschen verheiratet ist. Es waren ungefähr 70 Leute eingeladen. Meine Freundin und eine weitere Bekannte haben sich um die Truthähne gekümmert, alle anderen haben etwas mitgebracht. Wir saßen alle in einer großen Halle an langen Reihen mit Biertischen, so ganz rudimentär. Bei Thanksgiving geht es nicht um Luxus, sondern ums Zusammensein.
Viele hier in Hamburg feiern abends. Meine Thanksgiving-Feier am Samstag fing erst um halb acht an. In den USA ist das ganz selten. Es geht schließlich nicht nur ums Essen, sondern auch darum, dass man diese Zeit mit den Freunden und der Familie hat. In den USA gibt es Football und riesiges Halligalli ums Hinreisen und Rückreisen, man trifft Leute, die man lange nicht gesehen hat und macht lange Spaziergänge. Es ist einfach eine andere Atmosphäre.”
“An diesem Tag bekomme ich Heimweh”
Elder Crane, Elder Wilhelm und Elder Garrison sind als Missionare für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, auch bekannt als Mormonen, in Deutschland unterwegs. Zwei von ihnen gehen seit zwei Jahren, einer erst seit fünf Wochen dieser Aufgabe nach.
Elder Crane: “Wir arbeiten auch an Thanksgiving als Missionare, das ist unsere Verantwortung. Das machen wir jeden Tag. Wir kochen aber so gut wie möglich ein Thanksgiving-Essen nach.”
Elder Wilhelm: “In diesem Jahr feiern wir etwas kleiner. Ein ganzer Truthahn wäre für uns drei wahrscheinlich zu teuer. Stattdessen kochen wir etwas typisch Amerikanisches: Sheperd’s Pie. Dazu gibt es Kartoffeln, ein paar Brötchen mit Fleisch und zum Nachtisch machen wir etwas Deutsches: Fliederbeerensuppe.”
Elder Crane: “Die habe ich letztes Jahr in Kiel gegessen, eine alte Frau hat sie für mich gekocht. So lecker, das ist mein deutsches Lieblingsessen.”
Elder Garrison: “Hier in Hamburg ist es ziemlich anders. Es ist ein besonderes Thanksgiving für mich, weil ich so neu bin: Ich bin seit gerade einmal fünf Wochen in Deutschland. Der Feiertag erinnert mich an Zuhause – aber nicht im traurigen Sinne. Es macht mich glücklich, hier mit meinen Mit-Missionaren und Freunden zu sein. Thanksgiving gibt mir die Gelegenheit, an Zuhause zu denken und dankbar dafür zu sein, dass wir hier in Deutschland sein dürfen.”
Elder Crane: “Für mich geht es letztendlich an Thanksgiving nicht um den Truthahn oder das Essen und all das, sondern um die Familie. Wenn ich also an diesem Tag ein wenig Heimweh habe, liegt das daran, dass meine Familie gemeinsam zu Hause ist und wir hier in Deutschland sind. Aber für mich ist die tiefere Bedeutung von Thanksgiving die Dankbarkeit. Ich versuche, an so einem Tag in mich zu gehen und mir vor Augen zu führen, was ich im vergangenen Jahr gemacht habe, was ich geschafft habe, wie Gott mir dabei geholfen hat, was für Wunder ich gesehen und was für Fortschritte ich gemacht habe. Und in diesem Sinne ist Thanksgiving in Deutschland dann nicht so anders als Thanksgiving in den USA: Es gibt so viele Dinge, für die ich dankbar bin.”
“Wir feiern den ganzen Tag Thanksgiving”
Alexandrea Swanson, ehemalige Fulbright-Stipendiatin, ist seit fünf Jahren in Deutschland:
“Ich versuche, Thanksgiving in Deutschland jedes Jahr anders zu feiern, das finde ich spannend. Im letzten Jahr habe ich zum Beispiel für meine gesamte Stipendiatengruppe, das waren 15 Leute, gekocht. Ich hatte sogar ein Quiz vorbereitet. Die anderen hatten vorher kein Gefühl dafür, warum wir eigentlich Thanksgiving feiern. Ich fand es toll, dass sie so begeistert waren und dass ich das Gefühl von Thanksgiving mit ihnen teilen konnte.
Das war aber auch viel Arbeit. Und darum habe ich mir gedacht: Ich brauche erst einmal eine Pause davon. Unsere Küche wird gerade renoviert, da ist Kochen sowieso schwierig. Deswegen habe ich in diesem Jahr Thanksgiving in einem Restaurant mit Amerikanern und Deutschen gefeiert, bei einem Treffen von Stipendiaten des Parlamentarisches Patenschaftsprogramms und Fulbright [einem Stipendienprogramm zwischen den USA und verschiedenen Ländern weltweit, Anm. d. Redaktion].
Es ist toll, gleichzeitig mit Leuten aus den USA, die gerade in Deutschland sind, aber auch mit Deutschen, die in den USA waren, zusammen zu feiern. Ich finde es schön, meine Tradition mit den Deutschen zu teilen. Aber auch, Amerikaner dabei zu haben und sich gemeinsam bewusst zu machen: Das war früher für uns ein wichtiger Tag und das ist es immer noch.
In Deutschland ist es schwieriger, einen Ort zu finden, der groß genug ist, um genügend Leute unterzubringen. Deswegen geht man eher in ein Restaurant. Das ist dann eine andere Nummer: gemütlich, aber auch formell. Auch beim Essen gibt es oft eher typische Sachen: Turkey, Stuffing, Gravy.
Bei mir zu Hause feiern wir anders. Es kommen immer etwa 20 Personen. Das ist dann nicht so, wie man das im Fernsehen sieht, wo immer alle gleichzeitig an einem Tisch essen. Da wir so viele sind, suchen wir uns immer irgendwo im Haus einen Platz zum Sitzen, machen es uns gemütlich und essen dann. Es gibt oft auch verrückteres Essen, zum Beispiel Süßkartoffelauflauf mit Marshmallows.
In den USA feiern wir den ganzen Tag Thanksgiving. Wir stehen meistens schon um acht Uhr morgens auf, um gemeinsam die Parade im Fernsehen anzuschauen. Um elf geht es mit Kochen und den Vorbereitungen los, denn wir essen schon um drei, also richtig früh. Deswegen kann man schon eine Pause gegen fünf machen, so für eine Stunde, weil man nach so viel Essen langsam müde wird. Dann isst man noch ein bisschen mehr, vielleicht etwas Nachtisch, und dann schaut man Football.”