Sie ist die deutsche Frontfrau von Fridays for Future: Luisa Neubauer tourt für die Zukunft ihrer Generation durch Europa. Mit FINK.HAMBURG sprach sie über das Jobangebot von Siemens, die CO2-Steuer und ihr Leben als Klimaschutzaktivistin.
Luisa Neubauer ist gebürtige Hamburgerin und gehört zu den Hauptorganisator*innen der von Greta Thunberg initiierten Klimabewegung Fridays for Future. Dafür steht sie bei fast jedem großen Streik auf Deutschlands Straßen, streitet mit Politiker*innen bei Podiumsdiskussionen und schrieb gemeinsam mit dem Fridays-for-Future-Aktivisten Alexander Repenning das Buch “Vom Ende der Klimakrise. Unsere Geschichte der Zukunft”. Nebenbei studiert die 23-Jährige Geografie in Göttingen.
Luisa Neubauer sieht sich als Teil der sogenannten Paris-Generation: junge Leute, die nach dem Pariser Klimaabkommen 2015 dachten, die Politik würde nun handeln und nun kritisieren, dass sich kaum etwas getan hat.
Nervt es dich, in den nationalen Medien die “deutsche Greta Thunberg” zu sein?
Neubauer: Nein, ich kann nachvollziehen, dass das medial funktioniert. Aber natürlich ist diese Zuschreibung nicht ganz zutreffend. Aber sie ist okay, ich kann damit leben.
Was war für dich und Fridays for Future das wichtigste Ereignis im letzten Jahr?
Neubauer: Das Wichtigste war, was Fridays for Future in diesem Jahr bewirkt hat. An Millionen Esstischen, Schreibtischen, in Sitzungssälen, in Plenarsälen und eben auf Tausenden Fridays-for-Future-Demos ist eine Debatte über den Klimaschutz entstanden, die es so zuvor nicht gab.
Siemens und Luisa Neubauer
Bei einem Gespräch über den Bau eines umstrittenen Kohlebergwerks in Australien bot Siemens-Konzernchef Joe Kaeser Luisa Neubauer einen Posten im Aufsichtsrat an. Siemens liefert für den Bau der sogenannten Adani-Mine eine Zugsignalanlage. Die Mine soll nach den Plänen des indischen Konzerns Adani Group eines der weltweit größten Bergwerke mit jährlich bis zu 60 Millionen Tonnen Kohleförderung werden. Zum Vergleich: In ganz Deutschland werden jährlich bis zu 169 Millionen Tonnen Kohle gefördert.
Siemens-Konzernchef Joe Kaeser hat dir einen Aufsichtsratsposten im künftigen Unternehmen Siemens Energy angeboten. Du hast abgelehnt und stattdessen vorgeschlagen, die Stelle mit einer Wissenschaftlerin oder einem Wissenschaftler von Scientists for Future zu besetzen. Warum? Keine Lust auf gut bezahlte Arbeit?
Neubauer: Ganz unabhängig vom finanziellen Angebot ist diese Stelle nicht mit dem zu vereinbaren, zu was ich mich als Klimaaktivistin verpflichtet sehe: die Verfolgung des 1,5-Grad-Ziels (des Pariser Abkommens, Anm. d. Red.) und einer stringenten Klimapolitik. In einer Position im Aufsichtsrat wäre ich nicht in der Lage gewesen, Siemens unabhängig zu kommentieren. Ich wäre voreingenommen und deswegen habe ich nach reichlicher Überlegung abgelehnt. Meinen Klimaaktivismus mache ich übrigens unentgeltlich.
Siemens hat entschieden, sich weiterhin am Bau der umstrittenen Adani-Mine in Australien zu beteiligen. Deine Meinung dazu?
Neubauer: Ich habe das als historische Fehlentscheidung kommentiert, weil wir wissen, dass die Adani-Mine so nicht umgesetzt werden darf. Sie gefährdet das 1,5-Grad-Ziel. In dem Kohle-Projekt steckt eine immense Sprengkraft. Siemens macht sich damit massiv mitschuldig an der Klimaerwärmung.
Wollte Siemens dich im Aufsichtsrat sehen, um Kritiker einzukaufen?
Neubauer: Das würde ich Herrn Kaeser nicht vorwerfen wollen, das finde ich überheblich. Aber aus PR-Sicht war das Timing natürlich gut – zumindest zeitweilig. Jetzt hat Herr Kaeser wahrscheinlich mehr Stress als ich.
Du hast gemeinsam mit anderen Klimaaktivist*innen und Umweltorganisationen wie Germanwatch und Greenpeace eine Verfassungsbeschwerde gegen das Klimagesetz der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Was erhoffst du dir davon?
Klimaziele 2030
Fridays for Future fordert die Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens von 2015 und des darin enthaltenen 1,5-Grad-Ziels. Zu den expliziten Forderungen für Deutschland gehören eine Nettonull der Treibhausgasemissionen bis 2035, ein Kohleausstieg und 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung bis 2035. Um das 1,5-Grad-Ziel so schnell wie möglich zu erreichen, fordert Fridays for Future unter anderem ein Ende der Subventionen für fossile Energieträger und eine CO2-Steuer auf alle Treibhausgasemissionen.
Neubauer: Der Staat verletzt seine Schutzpflicht durch unzureichenden Klimaschutz, da er sich nicht an das Pariser Abkommen hält. Wir hoffen, dass die Klage durchgeht, wie kürzlich in einem ganz ähnlichen Fall in den Niederlanden. Dort reichten Umweltschützer der Organisation Urgenda gemeinsam mit Privatklägern praktisch die gleiche Klage im niederländischen Kontext ein. Und gewannen letztlich auch: Jetzt ist die niederländische Regierung laut Verfassung gezwungen, die Klimaziele 2020 einzuhalten, darunter eine schnelle Reduzierung der Treibhausgase.
Worauf zielt eure Klage ab?
Neubauer: Wir beziehen uns vor allem auf die Klimaziele 2030. Geht die Klage durch, wäre die Regierung verpflichtet, Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Im Zweifel wäre es immer noch denkbar, dass die Beschwerde abgelehnt wird, aber in einer konstruktiven Art und Weise, sodass damit dann juristisch weitergearbeitet werden kann und wir neue Forderungen stellen können.
Du verstehst dich als Klimaschutzaktivistin. Fridays for Future versteht sich als eine Bewegung für den Klimaschutz, nicht als Partei. Kritiker monieren, das sei zu einfach. Wieso geht ihr als Bewegung nicht einen Schritt weiter und bietet Lösungsansätze, statt ausschließlich Forderungen zu stellen?
Neubauer: Wir sehen das arbeitsteilig. Fridays for Future ist eine Kinder- und Jugendbewegung, allenfalls eine Studentenbewegung, die die Lage verstanden hat und jetzt etwa politische Instanzen dazu auffordert zu handeln. Diese Politiker verweisen wir an Menschen, die sich mit der Umsetzung auskennen: an Ingenieure, Politikwissenschaftler, Soziologen, Naturwissenschaftler, Ökologen und so weiter. Sie alle werden von uns mit angesprochen. Ich sehe es aber nicht als unsere Aufgabe, die Klimakrise in all ihrer Komplexität alleine zu lösen.
Du bist Mitglied bei den Grünen, aber nicht politisch aktiv.
Neubauer: Ich bin politisch aktiv, aber eben als Aktivistin. Ich verstehe mich als überparteilich. Genau wie an die SPD appelliere ich auch an die Grünen. Ich kritisiere die Grünen wahrscheinlich sogar von allen Parteien am schärfsten. Ich sehe, dass die Klimakrise eine politische Krise ist, die nicht von einer Partei gelöst werden kann – auch nicht von den Grünen.
Welche Rolle spielt deiner Meinung nach die AfD in der deutschen Klimapolitik?
Neubauer: Was die AfD macht, ist nicht nur verachtungswürdig, es ist auch äußerst schwierig. Sie ist meiner Meinung nach eine Art Dämon in der politischen Landschaft, der verhindert, dass gehandelt wird. Nicht nur, weil sie aktiv Parlamente und Entscheidungsfindungen blockiert und Arbeit verlangsamt, sondern auch weil die Furcht davor, dass Entscheidungen anderer Parteien ungewollt der AfD den Rücken stärken könnten, so groß ist, dass es zu so etwas wie einer politischen Ohnmacht führt.
“Ich sehe es nicht als unsere Aufgabe, die Klimakrise in all ihrer Komplexität alleine zu lösen”
Gibt es auch andere Bremser in der Bundespolitik?
Neubauer: Die AfD hat eine Sonderrolle, weil sie aus meiner Sicht klar antidemokratisch ist. Und dann gibt es in der politischen Landschaft allgemein, aber vor allem rund um die Rechtskonservativen, eine Art klimapolitische Überheblichkeit. Da wird so getan, als könnte man sich klar zum Pariser Abkommen bekennen, aber trotzdem entgegengesetzt handeln. Und das ist nicht wesentlich besser, als den Klimawandel direkt zu leugnen.
Die von Fridays for Future genannten Forderungen beinhalten unter anderem eine CO2-Steuer. Bedeutet das nicht eine soziale Spaltung, weil sich Reiche diese Steuer leisten können, ärmere Menschen aber nicht: Der eine kann sich freikaufen und die Luft verpesten, der andere nicht – ist das fair?
Neubauer: Das kann fair sein, wenn Ausgleichsmechanismen wirkungsvoll eingesetzt werden.Durch den CO2-Preis benutzt man ein marktwirtschaftliches Instrument, das innerhalb einer gewissen Marktlogik wirkt. Man versucht letztlich den Kapitalismus in Bahnen zu lenken, indem sich klimapolitisch etwas bewegt. Was wir feststellen ist, dass es gerade kein anderes Modell gibt, das so wirkungsvoll sein kann – neben einem sehr schnellen Kohleausstieg – wie ein CO2-Preis. Deshalb befürworte ich das Instrument. Dass wir langfristig die Art und Weise ändern müssen, wie wir wirtschaften, ist offensichtlich.
Abgesehen von der CO2-Steuer: Was ist deiner Meinung nach noch ein wichtiges Instrument, das in der deutschen Klimapolitik kommen muss?
Neubauer: Es geht mir nicht darum, was ich selbst denke, sondern was Klimaforscher ermittelt haben. Das ist zum einen in Deutschland ein CO2-Preis, der tatsächlich greift. Mindestens 50 Euro zu Beginn und dann muss es eine schnelle Steigerung geben. Aber dazu gehört auch ein schneller Kohleausstieg. Wir sagen: bis 2030. In Deutschland funktioniert aber dieser schnelle Kohleausstieg, den wir brauchen, nur im Einklang mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Und der ist praktisch zum Erliegen gekommen. Das muss sich schnell ändern.
Wäre eine Partei, die zu 100 Prozent den Handlungsbedarf für ein 1,5-Grad-Ziel umsetzt, Spitzenreiter bei einer Wahl?
Neubauer: Nein. Absolute Mehrheiten gehören der Vergangenheit an. Das sage ich total wertfrei. Alles nur an einer Partei auszulegen, bringt gar nichts. Alle Parteien müssen Wahlprogramme vorlegen, die den Menschen das Gefühl geben, dass sie in ihrem Alltag ernst genommen werden und die auch die Zukunft berücksichtigen. Die Konzepte müssen deutlich intelligenter werden, als sie es gerade sind.
Du bist jetzt 23 Jahre alt und lebst für den Klimaschutz. Wo siehst du dich selbst in 30 Jahren?
Neubauer: Hoffentlich habe ich zu dem Zeitpunkt meine Midlife-Crisis gut überstanden und blicke auf ein Leben zurück, bei dem ich das Gefühl habe, dass ich zum richtigen Zeitpunkt auf der richtigen Seite der Geschichte stand.