Früher Flakturm, heute Energieproduzent: In Wilhelmsburg wurde ein Mahnmal aus dem Zweiten Weltkrieg zur klimafreundlichen Energiezentrale umgebaut. Wie funktioniert das genau und wie kann man gleichzeitig der Erinnerungskultur gerecht werden? Ein Überblick.
Vor fast 80 Jahren wurde er anlässlich des Zweiten Weltkriegs gebaut: Der Flakturm VI in Hamburg-Wilhelmsburg. Heute produziert der Betonwürfel klimafreundliche Nahwärme und Strom für die Elbinsel. FINK.HAMBURG erzählt die Geschichte des Energiebunkers in drei Teilen.
Grau und massiv steht der alte Flakbunker zwischen hochgewachsenen Kastanienbäumen im Wilhelmsburger Reiherstiegviertel. Über 40 Meter reicht der Klotz in die Höhe und überragt damit die umliegenden Bauten um ein Vielfaches. Über 60 Jahre lang stand er leer, dann wurde ihm im Zuge der Internationalen Bauausstellung (IBA) Anfang der 2000er ein neuer Nutzen zugewiesen: Das Ungetüm, das an die Schrecken den Zweiten Weltkrieges erinnert, sollte zum Botschafter der Energiewende werden – und zum Ausflugsziel.
2006 von der IBA initiiert, ist das Projekt 2009 gestartet. Hamburg Energie erhielt den Auftrag das Energieversorgungskonzept umzusetzen. 2010 wurde der Bunker kernsaniert. Auf 30 Metern Höhe entstand das Café Vju. Für die Bauarbeiten im Inneren wurde die Fassade an einer Stelle aufgebrochen. In das Loch wurde eine große Fensterfront gesetzt, hinter der sich die Ausmaße des Bunkerinneren erahnen lassen. Das Dach und die Außenfassade gen Süden wurden mit Solarthermie- und Photovoltaikanlagen ausgestattet.
Nicht nur äußerlich hat sich einiges getan: Um für die Technik genug Platz bereitzustellen, wurden die einzelnen Etagen gesprengt. Neben einem Warmwasserspeicher, befinden sich im Inneren verschiedene Blockheizkraftwerke (BHKW): Aus Bio- oder Erdgas werden Wärme und Strom produziert, aber auch die Abwärme der ortsansässigen Industrie verwertet der Energiebunker.
Wohin strömt die Energie des Bunkers?
Angefangen mit dem Wilhelmsburger Weltquartier in direkter Nachbarschaft hat sich das Nahversorgungsnetz des Energiebunkers immer weiter ausgedehnt. In den umliegenden Wohnquartieren versorgt der Bunker zusammen mit dem Energieverbund derzeit rund 3.000 Haushalte mit Wärme und deckt mit seinen Anlagen den Strombedarf von 1.000 Haushalten. Das entspricht 75 Prozent des ursprünglich geplanten Ausbauziels.
Laut dem Wärmekataster der Stadt Hamburg geht rund die Hälfte der in Hamburg verbrauchten Energie auf Wärmeversorgung zurück. Ein Großteil wird für die Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser benötigt. In Wilhelmsburg soll der Energiebunker den regenerativen Anteil dazu liefern. Bisher können mit den Technologien des Bunkers jedes Jahr rund 5.200 Tonnen CO² eingespart werden. Das Ausbauziel sind 6.600 Tonnen CO². Der durchschnittliche Deutsche verbraucht acht Tonnen CO² pro Jahr. Durch ein kontinuierliches Tracking der Energieströme, die in und aus dem Bunker fließen, können diese Einsparungen bilanziert werden.
“Die Nachfrage steigt von ganz alleine”
Joel Schrage, Hamburg Energie
Joel Schrage, Teamleiter Energetische Quartiersentwicklung bei Hamburg Energie, geht davon aus, dass zukünftig die Nachfrage nach regenerativer Wärme “aufgrund der Klimaschutzanforderungen von ganz alleine” steigen wird. Zu Beginn des Jahres 2021 trat eine Umsetzungsverordnung des Hamburger Klimaschutzgesetzes in Kraft. Diese besagt, dass bestimmte Gebäude mit Photovolaikanlagen ausgestattet werden müssen und zur Nutzung eneuerbarer Energien bei der Wäremversorgung verpflichtet sind. Im Februar 2020 war das Hamburgische Klimaschutzgesetz bereits eingeführt worden. Ebenfalls zu Jahresanfang wurde eine CO²-Bepreisung der fossilen Brennstoffe mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz, kurz BEHG, eingeführt. Darin wurde festgelegt, dass der CO²-Preis schrittweise bis zum Jahr 2025 ansteigen wird. Das Gesetz ist Teil des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung.
Wirtschaftlichkeit versus Nachfrage
Grünen-Politikerin und Anwohnerin Sonja Lattwesen hat den ersten Ausbau im Versorgungsnetz live mitbekommen: “2016 konnte man den Prozess noch aktiv sehen: wie Straßen aufgebrochen oder Gärten umgegegraben wurden. Damals hat man noch erlebt wie das Wasser für ein paar Stunden oder ein, zwei Tage abgeschaltet war.” Danach sei der Ausbau eher still passiert, zumindest nicht mehr sichtbar für die Öffentlichkeit. Lattwesen sei überrascht gewesen, als sie bei einem Besuch Anfang 2020 erfuhr, wie groß das Netz mittlerweile ist.
Ausgebaut wird das Versorgungsnetz nicht in alle Himmelsrichtungen gleichmäßig: Der perspektivische Fokus liegt derzeit auf dem Nordwesten. Dort ist eine entsprechende Bedarfsdichte gegeben. Für den Ausbau muss eine Bedarfsschwelle überschritten sein, bevor eine positive Investitionsentscheidung getroffen wird, so Schrage. In erster Linie wurden bisher Verträge mit der Wohnungswirtschaft abgeschlossen. Dazu zählt unter anderem das Weltquartier – als ein Quartier der Saga, einem kommunalen Wohnungsunternehmen in Hamburg. Aber auch andere Kund*innen in Wilhelmsburg, etwa Kirchengemeinden, das Haus der Jugend und das Sprach- und Bewegungszentrum, beziehen Energie vom Bunker.
Ein Anwohner sagt FINK.HAMBURG gegenüber, dass seine Anfrage, Energie aus dem Bunker zu beziehen, von Hamburg Energie abgelehnt worden sei, mit der Begründung, sich auf Großabnehmer*innen konzentrieren zu wollen. Hamburg Energie bestätigt, dass momentan vor allem Geschäftskund*innen an das Netz angeschlossen werden und nur vereinzelt Privatkund*innen. Es könnten nicht alle Anfragen berücksichtigt werden, da die Bunkerenergie ab einer bestimmten Leitungslänge „keine wirtschaftlich interessante Alternative“ mehr darstellt, so Schrage. Für Privatkund*innen ist ein Anschluss an das Wärmenetz eine gute Option, wenn dieses in unmittelbarer Nähe liegt. Da der Bau der Leitungen sehr kostenintensiv ist, können solche Einzelanschlüsse nur dann wirtschaftlich attraktiv angeboten werden, wenn keine langen Strecken verlegt werden müssen.
Bunker als Kulturstätte in Wilhelmsburg
Aber nicht nur das Thema erneuerbare Energien wird am Bunker behandelt. Als Mahnmal aus dem Zweiten Weltkrieg hat das Bauwerk trotz Umfunktionierung immer noch große historischen Bedeutung. Damit diese nicht in Vergessenheit gerät, hat die Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg einen Teil der Geschichte in Form von kurzen Texten und QR-Codes auf 20 Würfeln auf dem Gelände und im Bunker verteilt. Am Wochenende werden Führungen angeboten. Dabei bekommen die Besucher*innen einen Einblick in das Innere des Bunkers und haben auch die Möglichkeit das Dach zu besichtigen. Aber auch ohne Führung kommen Besucher nach oben – zwar nicht ganz bis auf das Dach, aber auf eine Aufsichtsplattform in 30 Metern Höhe. Von dort kann man die Hansestadt in alle Richtungen überblicken. Ein weiterer Grund, warum der Bunker als beliebtes Touristenziel gilt.
“Meines Wissens nach hat der Bunker dazu geführt, dass auch viele Wilhelmsburger*innen sich erstmalig mit der eigenen Kriegsgeschichte auseinandersetzen”, sagt auch Sonja Lattwesen. Etwaige Kritik, dass durch den Umbau viel historische Bedeutung verloren gegangen ist, kann sie nur bedingt nachvollziehen, denn der Ort sei nach der Sprengung 1947 nicht mehr erlebbar gewesen: “Was hilft einem ein eingestürzter, nicht betretbarer Bunker?” Der Bunker bilde mit der heutigen Lösung eine “moderne Form des Erinnerns.”
Dirk Holm vom Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg e.V. sieht an einigen Stelle noch Verbesserungsbedarf: Er wünscht sich, dass man dem Bunker einen größeren Ausstellungscharakter erhält, “sodass da etwas ist, was nicht nur auf Führungen besichtigt werden kann.” Und dass auch Hintergründe und der Entwicklungsprozess abgebildet werden – zum Beispiel auf großen Infotafeln rund um den Bunker verteilt, für die es kein Smartphone braucht. Von Hamburg Energie heißt es, dass vor Corona öffentlich zugängliche Sanierungsbeiräte stattgefunden haben. Hier wurden alle Anliegen rund um den Bunker besprochen: “Es gibt Kommunikation und die wird es auch in Zukunft wieder an verschiedenen Stellen vermehrt geben. Denn in Wilhelmsburg wird weiterhin viel passieren und wir sehen uns da auch in der Verantwortung alle mitzunehmen”, so das Unternehmen.
Der Bunker mit seinem Café ist nur am Wochenende während der Öffnungszeiten zugänglich. Dieses ist stets gut gefüllt, allerdings oft durch geschlossene Veranstaltungen besetzt, so Lattwesen. Trotzdem ist der Betonklotz hoch frequentiert, auch dank eines digitalen Spieletrends: Pokemon Go. Dabei kämpfen verschiedene Teams um Arenen, die an unterschiedliche Örtlichkeiten gebunden sind. “Der Bunker ist so eine Arena und man sieht wie diese mehrmals täglich die Farbe wechselt.” sagt Lattwesen.
Nachhaltige Kooperation mit der HAW Hamburg
Das CC4E, Competence Center für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz der HAW Hamburg, arbeitet bereits seit zehn Jahren mit Hamburg Energie zusammen. Seit 2017 ist das CC4E im Rahmen des Projektes Smart Heat Grid Hamburg an der Weiterentwicklung des Energiebunkers beteiligt, die auch den Ausbau einer nachhaltigen Wärmeversorgung in Wilhelmsburg einschließt.
Im Rahmen mehrere Abschlussarbeiten erarbeiteten Studierende Simulationsmodelle des Energiebunkers und damit Verbesserungsvorschläge für das komplexe System. Die Konzepte wurden in enger Abstimmung mit den Projektpartner*innen umgesetzt. Zu den Verbersserungen zählten zum Beispiel, dass Temperaturverluste vermieden werden konnten, so Peter Lorenzen, Koordinator des Teams Wärme am CC4E. Im vergangenem Sommer ist das CC4E mit einem Reallabor in die nächste Phase der Transformation der Wärmeversorgung eingestiegen.
„Die Kooperation mit Hamburg Energie rund um den Energiebunker bildet einen wichtigen Teil unserer Forschung ab.“
Peter Lorenzen, Koordinator des Teams Wärme am CC4E
Laut Lorenzen bilde der Energiebunker mit seinem wachsenden Wärmenetz – darunter die neue Geothermieanalge – einen wichtigen Baustein in der Wärmewende in Hamburg. Die Aufgabe des CC4E: In diesem Wärmenetz neue intelligente Konzepte entwickeln, prüfen und betreiben. Ziel dieser Entwicklungen ist es, die Integration von erneuerbaren Wärmequellen zu verbessern und möglichst kostengünstig umzusetzen.
Wilhelmsburg als Vorbild?
Geplant ist, das Ernegienetz 2021 weiter auszubauen. Bis 2050 soll ganz Wilhelmsburg mit erneuerbaren Energien versorgt werden können. Der Energiebunker ist der erste Schritt dahin. “Perspektivisch möchten wir ein Wärmeverbundnetz aufbauen. Das bedeutet, dass unsere beide Netze zusammenwachsen und wir dann verschiedenen Energiezentralen mit verschiedenen Erzeugern haben”, erklärt Joel Schrage. Mithilfe der HAW Hamburg soll zukünftig “die Integration von Erneuerbaren Wärmequellen verbessert und möglichst kostengünstig umgesetzt werden.”
Laut Schrage ist die größte Erkenntnis beim Projekt Energiebunker, dass bei Quartierslösungen dezentrale Ansätze zum Erfolg führen. Das heißt: Es muss viele kleine Erzeugereinheiten geben, die zusammenspielen und als Ganzes funktionieren. Damit können Versorgungsausfälle und Funktions- und Betriebsstörungen verringert werden.
“Der Energiebunker ist ein exportierbarer Masterplan für Teile von Hamburg”
Sonja Lattwesen, Bündnis ’90/Die Grünen
Dass der Energiebunker als Vorbild für aktuelle und zukünftige Projekte genutzt werden kann und teilweise schon umgesetzt wird, bemerkt auch Bezirkspolitikerin Sonja Lattwesen: “Die Werke des Kupferproduzenten Aurubis, die nahe der Veddel stehen, beheizen den nächsten Ausbauabschnitt der Hafencity. Diese Partnerschaft zwischen Abnehmer und Industrie klappt also.”
Vor fast 80 Jahren wurde er als Kriegswerkzeug in der NS-Zeit gebaut: Der Flakturm VI in Hamburg-Wilhelmsburg. Heute produziert der Betonwürfel klimafreundliche Nahwärme und Strom für die Elbinsel. FINK.HAMBURG erzählt die Geschichte des Energiebunkers in drei Teilen.
Titelillustration: Annika Wrede
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