Im Corona-Lockdown fanden Wohnungslose in Hamburg Unterschlupf in Hotels. Die Aktion ist vorbei – die Stadt will aber nun ein Modellprojekt starten, dass dem Ansatz „Housing First“ aus den USA folgt. Ein Überblick zur aktuellen Lage.
Es ist ein schwül-warmer Donnerstag in einem Hinterhof der Hamburger Altstadt. Umgeben von dunkelbraun geklinkerten Mauern informiert das Diakonische Werk Hamburg über den Abschluss eines Wohnprojekts für obdachlose Menschen. In Zusammenarbeit mit „Alimaus“, einer Tagesstätte für Menschen ohne Bleibe, und dem Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“ brachte der Wohlfahrtsverband während der Corona-Pandemie 130 Wohnungslose in Hamburger Hotelzimmern unter. Von Dezember bis Mai konnten sie dort bleiben. So lange, bis alle Bewohner:innen ein Impfangebot bekommen hatten.
Einer von ihnen ist Jens Cormann. Auch er schaut sich an diesem Mittag die Pressekonferenz an, bei der neben ihm sonst nur ein Dutzend Journalist:innen und die Initiator:innen des Projekts anwesend sind. Interessiert steht er neben dem weißen Pavillon, der als Bühne dient, und hört zu. Im Dezember ist er in ein Hotelzimmer in Stellingen eingezogen, zusammen mit zwölf weiteren Wohnungslosen. Mittlerweile lebt er in einer Herberge an der Sternbrücke.
Davor verlebte er eine unstete Zeit: „Ich hatte eine Wohnung, aber dann habe ich mich mit der Vermieterin zerstritten. Danach habe ich zwei Monate auf der Straße gelebt“, sagt Jens. Ein Jahr verbrachte er in einer Krankenstube für obdachlose Menschen wegen eines „offenen Beins“, wie er erzählt. Auch in einer Wohngemeinschaft lebte er, doch das Zusammenleben sei nicht leicht gewesen. Als der Lockdown kam, hatte er keine Bleibe.
Finanziert durch Spenden
Im Frühjahr 2020 startete das Projekt, durch das 130 Menschen in verschiedenen Hotels unterkamen. Die Initiator:innen verlängerten die Aktion zu Beginn des zweiten Lockdowns im November. Finanziert wurde sie ausschließlich durch Spenden. Rund 530.000 Euro kamen von Firmen, Vereinen, der Kirche und Einzelspendenden zusammen. Ein Großteil davon floss in die Bereitstellung der Zimmer. Im Durchschnitt kostete ein Einzelzimmer 30 Euro, die Hälfte der sonst üblichen Kosten. Daneben gaben die Organisationen circa 40.000 Euro für Lebensmittelgutscheine aus, die zur Verpflegung der Hotelbewohner:innen dienten.
„Die Einzelunterbringung von wohnungslosen Menschen ist weder besonders kosten-, noch personalintensiv. Wir konnten Menschen erreichen, die sonst durch das Raster der städtischen Angebote gefallen wären“, sagt Dirk Ahrens, Chef der Hamburger Diakonie und Landespastor. Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter bei „Hinz&Kunzt“, ergänzt: „Diese Normalität, wie duschen oder zur Toilette gehen zu können, führt dazu, dass Wohnungslose Kraft tanken können. Viele konnten sich zum ersten Mal seit Jahren wieder leisten, an ‘ein Morgen’ zu denken.“
Für einige der Untergebrachten öffneten sich durch die Teilnahme am Hilfsprojekt gar neue Türen: Mindestens zehn Personen gehen nun einer beruflichen Tätigkeit nach, fünfzehn haben eine Wohnung gefunden. Auswertung und Betreuung laufen noch, daher könnten es noch mehr werden. Doch viele der Untergekommenen müssen nun wieder ohne ein Dach über dem Kopf auskommen.
Die Hamburger Sozialbehörde erntete im vergangenen Winter zunächst Kritik von Hilfeeinrichtungen für Wohnungslose und der politischen Opposition, weil sie die Unterbringung von Bedürftigen in Hotelzimmern wochenlang strikt ablehnte. Erst Anfang Februar reagierte die Stadt auf die Kritik und richtete Notunterkünfte mit Einzelzimmern ein. Zwar existierte zuvor schon mit dem Winternotprogramm eine Anlaufstelle für Hilfe, doch viele Obdachlose suchten die Mehrbettzimmer nicht auf, aus Angst sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Zwischen Anfang Dezember und Ende Januar waren bereits mindestens elf wohnungslose Menschen auf Hamburgs Straßen erfroren.
Hamburg will Modellprojekt starten
Wäre es nicht sinnvoll, generell einen Rückzugsort für Wohnungslose bereitzustellen? Als möglicher erster Schritt zurück in ein geregeltes Leben? Das sieht nun offenbar auch die Stadt so: Ende Mai stellte die rot-grüne Regierungskoalition für diese Zwecke einen Haushaltsantrag in der Bürgerschaft und beschloss ein Modellprojekt, das Ende des Jahres realisiert werden soll. Bis zu 30 obdachlose Menschen sollen davon in Zukunft profitieren.
Der Plan ist, Betroffenen als erste Priorität eine Wohnung zu organisieren und so für Stabilität zu sorgen. „Housing First“ nennt sich dieser Ansatz, der aus den USA kommt. Bisher mussten wohnungslose Menschen für ähnliche Unterkünfte hierzulande oft beweisen, dass sie einen eigenständigen Haushalt führen können. Einzelne deutsche Kommunen setzen den Modellversuch bereits um, Hamburg wird folgen. Die Betreuung durch Sozialarbeiter:innen ist im Prozess vorgesehen.
Das Hotelprogramm im Corona-Jahr sah die Stadt zunächst kritisch, so Malte Habscheidt von der Diakonie Hamburg. „Sie hat das als Konkurrenz zum Winternotprogramm gesehen. Wir haben gesagt: Einzelunterbringung ist der richtige Weg während der Corona-Pandemie. Die Stadt hatte die Auffassung, sie könnte die Hygiene auch in Mehrbettzimmern gewährleisten“, erzählt er. Auf Nachfrage äußerte sich die zuständige Behörde für Soziales dazu nicht. „Auf der Sachebene hat die Zusammenarbeit trotzdem funktioniert. Die Impfteams beispielsweise waren mehrfach in den Hotels.“
Hotels sind “keine Dauerlösung”
Eine Fortsetzung der Unterbringung von Wohnungslosen in Hotels ist nicht geplant, so Habscheidt. Und weiter: „Hotels sind keine Dauerlösung für obdachlose Menschen. Der Hauptgrund bei diesem Projekt war der Schutz vor Corona, und da ist ja nun sehr zu hoffen, dass die Situation im kommenden Winter eine andere ist.“ Den Antrag der Stadt begrüßen die Organisator:innen. Dennoch würden die Unterkünfte frühestens Ende des Jahres bezugsbereit sein.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt wird auch Jens in eine neue Räumlichkeit ziehen. Zusammen mit neun anderen Hotelbewohner:innen wird er Teil eines neuen Wohnprojektes von „Hinz&Kunzt“. Bis es soweit ist, darf er in seinem aktuellen Hotelzimmer bleiben. Sein Ziel: irgendwann wieder auf eigenen Beinen stehen. Die ersten Schritte dafür hat er gemacht.
Foto: Jan-Eric Kroeger