Die Techno-Pioniere U96 wollen „20.000 Meilen unter dem Meer“ mit einem 360-Grad-Film neues Leben einhauchen. Mit an Bord im Planetarium Hamburg: ein VR-Künstler und ein ehemaliger Bond-Bösewicht. Was folgt, ist ein Debakel für alle Beteiligten.
Eine Rezension von Benedikt Scherm und Laura Wrobel.
Da stehen sie nun auf der Bühne im Planetarium Hamburg und versuchen, die ganze Sache irgendwie zu retten. Wobei retten schon übertrieben ist. Eigentlich ist allen vier Männern klar, dass sie dem Publikum gerade sehr unangenehme 60 Minuten zugemutet haben.
“Experience”? Nein danke.
Doch was ist passiert an diesem Mittwochabend im Februar? Das Hamburger Planetarium hatte vollmundig zu einer „Weltpremiere“ eingeladen und sein ehrwürdiges Gemäuer von außen in blaues Licht getaucht. Drinnen wartete auf die Besucher:innen die „Jules Verne Experience“. Doch spätestens beim Wort „Experience“ hätte wohl bei geneigten Kulturfreund:innen alle Alarmglocken schrillen sollen. Denn was sich hinter dem Lieblingswort von PR-Vertreter:innen und ein paar Nebelmaschinen verbirgt, ist nicht immer ganz zu Ende gedacht. So auch bei „20.000 Meilen unter dem Meer“.
Als Pandemieprojekt des Hamburger Musikprojekts U96 gestartet, lautete die Idee: Jules Vernes Romanklassiker “20.000 Meilen unter dem Meer” von 1869 trifft auf Willhelmsburger Technoband. In Kombination mit dem holländischen Filmkünstler Julius Horsthuis und dem ehemaligen Bond-Bösewicht Claude-Oliver Rudolph („Die Welt ist nicht genug“) führte das nicht nur beim Publikum zu Überforderung.
Flimmernde Leinwand, frustrierter Hauptdarsteller
Die kuppelförmige Leinwand im Sternensaal des Planetariums verweigerte teilweise ihren Dienst, sodass die Projektion nur verzerrt, flimmernd und manchmal sogar gar nicht zu sehen war. Zum Unmut des Hauptdarstellers Rudolph als Kapitän Nemo sorgten die technischen Schwierigkeiten sogar dafür, dass sein Bild beinahe komplett wegblieb.
So führte „Deutschlands Filmbösewicht Nr.1“ (“Bild“) nur per Audiospur durch die Handlung. Auf der anschließenden Podiumsrunde gab sich der ehemalige kulturpolitische Ressortleiter von RT Deutsch keine Mühe, seinen Frust darüber zu verbergen. Breitbeinig, Sonnenbrille im Gesicht und mit verschränkten Armen war sein einziger Beitrag zur Gesprächsrunde, dass “man sich ja nochmal über die Gage unterhalten” müsse.
Die weiteren Bewältigungsstrategien: Ingo Hauss und Hayo Lewerentz von U96 wählten die Variante „Kleinlautes Entschuldigen“ und Thomas W. Kraupe, Direktor des Planetariums, versuchte mit krampfhafter Lockerheit so zu tun, als sei die Premiere glattgelaufen.
Achtung, jetzt wird’s trippy
Doch auch ohne technische Probleme hätte man nicht viel verpasst: Die schauspielerische Leistung beschränkte sich auf kurze, fast handlungsfreie Dialoge zwischen Nemo und Jules Verne (gespielt von Steve Karier). Diese vorhersehbaren Erzählsequenzen wechselten sich nach wenigen Minuten mit der sogenannten Experience ab.
Der Amsterdamer Filmkünstler Julius Horsthuis zauberte psychedelische Welten auf die Leinwand, die für sich betrachtet durchaus spektakulär anzusehen waren. Als Fraktalkünstler modelliert er mithilfe digitaler Technologie geometrische Figuren, die ihre Wurzeln in mathematischen Funktionen haben und auch in der Natur vorkommen.
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Doch auch mit den besten Effekten lässt sich eine vergurkte Powerpoint-Inszenierung nicht mehr retten. An Unterwasserwelten erinnern diese Gebilde zudem nur mit viel Fantasie oder nach dem Konsum illegaler Substanzen. Wer nun eine Verbindung mit Technoclubs wie Waagenbau, Südpol oder gar Berghain erwartet, wird im Planetarium ebenfalls enttäuscht.
Ein Anflug von Techno-Nostalgie
U96 leisteten in den 1990er-Jahren große Verdienste für die Technokultur und gelten als Pioniere des Genres. Durch ihren Song “Das Boot” brachten sie die ehemalige Subkultur 1991 nach ganz oben in die Charts und hielten sich wochenlang auf Platz 1, Goldauszeichnung inklusive.
Im Jahr 2022 wirkt ihre Musik durch die starken Eurodance-Einschläge allerdings mehr wie Kirmes, Scooter und Helene Fischer in einem. Als Soundtrack in einem Jules-Verne-Filmversuch deplaziert, konnte auch eine Wiederauflage ihres größten Hits “Das Boot” nichts daran ändern. Das Publikum, größtenteils im gleichen Alter wie die Macher des Projekts, reagierte mit verhaltenem Applaus auf die Darbietung, einige verließen bereits vor der Zugabe (als ob es diese noch gebraucht hätte?!) den Saal.
Wie dieses krude Konzept ab Oktober 2022 als Musical durch 15 deutsche Städte, darunter auch die Zeltphilharmonie in Hamburg, touren soll, bleibt völlig schleierhaft.
“20.000 Meilen unter dem Meer – Die Jules Vernes Experience” ist ab sofort im Planetarium Hamburg zu sehen. Dauer: 60 Minuten. Eintritt: 14 Euro.