Junge Frauen in der Politik: Ajla Deichmann ist Sprecherin der Grünen Jugend in Hamburg. Was motiviert die 26-jährige Jura-Studentin, sich neben dem Studium mit Anträgen und Demonstrationsplanungen herumzuschlagen?
Text und Foto: Lukas Görlitz
Wenn Ajla Deichmann an den September 2019 zurückdenkt, dann findet sie sich auf einer der zahlreichen Demonstrationen wieder, an denen sie in dieser Zeit teilnimmt: Sie verbringt ihr Auslandssemester in Bristol. Jeden Freitag versammeln sich dort, wie in vielen anderen Städten weltweit, Millionen von jungen Menschen, während der Schul- und Vorlesungszeit, um gegen den menschgemachten Klimawandel zu demonstrieren. An einem dieser Freitage sieht Ajla ein junges Mädchen, dass in der Menge das Wort ergreift. Eine Menschentraube bildet sich um das Mädchen, das mit ihren Worten die Rufe für einen Moment verstummen lässt – so wie die berühmte Klimaaktivistin Greta Thunberg immer wieder vor dem schwedischen Parlament gesprochen hat.
Erst Parteieintritt, dann Amt als Sprecherin
„Alle haben es in dem Moment gefühlt“, sagt Ajla Deichmann ein paar Jahre später über diese Situation. Bis dahin war ihr schon bewusst, welche Auswirkungen die Klimakrise auf unser Leben haben kann. Der Moment hat ihr aber den finalen Ruck gegeben, sich aktiv zu beteiligen, auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, einen Beitrag zu leisten. Für sie ist die Rede des Mädchens noch heute eine prägende Erinnerung. „Da habe ich gedacht: Okay, es ist richtig schlimm was passiert, da muss sich jetzt was ändern“, sagt sie. Ajla ist damals 23 – ein halbes Jahr später tritt sie in die Grüne Jugend ein. Zwei Jahre später ist sie Sprecherin der Grünen Jugend Hamburg.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bachelor-Projektseminars „Digitale Kommunikation“ an der HAW Hamburg entstanden. Mehr zu den Autor:innen findet ihr unten.
Heute steht sie bei Demonstrationen oft selbst ganz vorn – so auch Anfang des Jahres in Hamburg. „Es fühlt sich irgendwie komisch an, in der ersten Reihe zu stehen“, sagt sie kurz vor dem Beginn. Dieses Mal ist es keine Klimademo. Die stehen normalerweise auf ihrer Agenda. Heute bildet Ajla zusammen mit tausenden Menschen den Gegenprotest zur Versammlung von Impfgegener:innen im Zuge der Corona-Pandemie. Mehrmals schaut sie auf ihr Handy, spricht mit den Ordner*innen und wartet auf den Start des Demonstrationszuges. Sie ist nervös. Ein letzter Check, dann dröhnen die Bässe aus den Lautsprechern des LKWs, der die Demo anführt.
Alles, was man macht, ist politisch
Dass die gebürtige Sauerländerin einmal eine wichtige Position in einer Partei besetzt, hätte sie früher nicht gedacht. In der Schulzeit gab ihr der Politiklehrer die Hausaufgabe, abends die Tagesschau anzusehen. Das weckte in Ajla ein erstes Interesse für politische Themen und sie beteiligte sich an den Diskussionen im Unterricht. Ein nachhaltiges Interesse an Politik ist daraus nicht entstanden – zumindest vorerst. Am Abendbrottisch mit den Eltern redet sie ab und zu über das Thema Nachhaltigkeit, als ernste Bedrohung habe sie die Entwicklung auf dem Planeten aber nicht wahrgenommen.
Am Ende ihrer Schulzeit registriert sich Ajla bei Instagram und nutzt die Plattform auch, um sich über aktuelle Themen zu informieren. So merkt sie, dass alles, was sie macht und für was sie sich interessiert, auch irgendwie politisch ist. Damit ist sie nicht allein: Etwa 23 Prozent der Internetnutzer:innen zwischen 18 und 24 Jahren konsumieren Nachrichteninhalte auf Instagram. Für junge Politiker:innen eine große Chance, für ihre Themen zu begeistern: Sie können barrierefrei mit ihren Followern interagieren, Themen aufgreifen, Nahbarkeit steigern und neue Zielgruppen erreichen.
Klimapolitik ist nicht radikal genug
In Ajlas Beiträgen auf Instagram geht es um Fragen der Klima- oder Sozialgerechtigkeit: „Ich bin es so satt, immer irgendwelche Ausreden zu hören“, erklärt sie. Oft sind ihr die Ansätze in der Klimapolitik nicht radikal genug. Trotzdem hat sie Hoffnung. Schließlich gebe es positive Signale: Etwa die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, in der von der Bundesregierung mehr Klimaschutz gefordert wird. Dass viele Politiker:innen aus der Grünen Jugend in den Bundestag eingezogen „macht mich stolz und ermutigt mich in meiner Arbeit“, so Ajla.
Ein Thema, das ihr ebenso am Herzen liegt, ist der Feminismus. Als Frau und Politikerin sei sie ständig Sexismus ausgesetzt. Vier von zehn Politikerinnen in Deutschland berichten von solchen Erfahrungen. Deutschlandweit geben 63 Prozent der weiblich gelesenen Bürger:innen an, sexistische Übergriffe wahrzunehmen oder selbst betroffen zu sein. Ajla will das nicht hinnehmen und über den systematischen Sexismus in Deutschland reden. Wie macht sie das?
Demos neben dem Studium organisieren
Mittlerweile ist der Demonstrationszug unterwegs und bahnt sich langsam seinen Weg von Dammtor zum Jungfernstieg. Die letzten Tage haben an Ajla gezerrt. Neben dem Studium war sie in den Planungen der Demonstration involviert. Viele Entscheidungen sind erst in letzter Sekunde getroffen worden: Hält sie eine Rede oder nicht? Wo startet der Zug? Passt das Hygienekonzept? Dazu kommen die noch ungewohnten Pressetermine vor dem Start des Zuges. Es ist schon ein großer Stress, diese Aufgaben nebenbei zu erfüllen, sagt Ajla.
Doch die langen Nächte haben sich gelohnt. Stolz zeigt sie während der Demo auf ihr Handy: Die Polizei zählte etwa 3.600 Teilnehmer:innen – gerechnet haben die Veranstalter:innen mit maximal 1.000 Personen. Gerne hätte Ajla auf der Demo in Mikro gesprochen, dafür hat am Ende die Zeit gefehlt. Wie Ajlas politische Zukunft aussieht, weiß sie selbst noch nicht. Ihr Mandat als Sprecherin der Grünen Jugend Hamburg läuft im Oktober aus. Fest steht eines: Sie will sich weiterhin politisch engagieren. Vielleicht in der Partei, vielleicht auch nur auf Demonstrationen.
Lukas Görlitz ist ein echtes Nordkind. Aus einem Dorf mit lediglich 17 Häusern in der Nähe von Rostock zog es Lukas (Jahrgang 1999) in die Hafenstadt an der Elbe. In Hamburg begann er zunächst eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Excel-Tabellen und Tackern bereiteten ihm jedoch auf Dauer wenig Freude, sodass er sich kurze Zeit später stattdessen für den Weg in die Medienbranche entschied. An der HAW studiert Lukas Medien und Information. Sein Ziel: Sportjournalismus. Er durfte bereits für die „Eimsbütteler Nachrichten“ über ein American-Football-Spiel berichten. Schon als Kind spielte er Fußball, später auch Basketball, Tischtennis und Darts. Inzwischen verfolgt er diverse Sportarten im Fernsehen und hat eine Vorliebe für die Rad-an-Rad-Duelle der Formel 1 entwickelt. Auch der Norden lässt Lukas nicht los. Er erholt sich am besten in Skandinavien. Schon früh hat er seine Liebe zu Schweden entdeckt und lernt mittlerweile die Landessprache.