Ein kreisförmiges Studio, intime Kopfhörer-Atmosphäre und experimenteller Sound: Das Konzert der Band Aulyla bei Mute Solo im Tonlabor der HAW Hamburg fesselte das Publikum. Eine ganz besondere Art, Musik zu erfahren.
Titelbild: Sarah Cüpper/Mirjam Bär
Erwartungsvolle Spannung bereits im Vorraum des Studios des Tonlabors der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW): Es herrscht absolute Stille, alle Gäste warten brav auf den Einlass. Die Hamburger Electro-Art-Pop-Band Aulyla wird gleich eine Stunde lang live spielen – für 15 Menschen über Kopfhörer im Studio und für alle, die den Livestream auf Tide verfolgen. Der Abend ist organisiert vom Projekt Mute Solo, einer Initiative des Masterstudiengangs Sound/Vision der HAW.
Mute Solo – weder leise, noch allein
Die Plätze auf den schwarzen Schaumstoffwürfeln sind alle belegt. Die Zuschauer*innen sitzen so eng beieinander, dass sich ihre Overear-Kopfhörer fast berühren. Größere Bewegungen sind unmöglich. Die Luft scheint vor Anspannung zu vibrieren. Ein Moderator mit blondem Buzzcut tritt vor die Kamera und eröffnet den Stream. Feuer frei. Der komplette Ablauf wird von HAW-Student*innen verantwortet: Kamera führen, Ton aussteuern, Equipment organisieren und in der Regie den Stream steuern. Vierzig Studierende verschiedener medientechnischer Studiengänge sind bei dieser Ausgabe von Mute Solo beteiligt.
Ein soziales Experiment aus modernen Sounds
Aulyla, das sind Isabelle am Nordstage-E-Piano, Hannah am Bass und Lars am Schlagzeug und Synthies. Abgestimmte Outfits in futuristischem Grau und schimmerndem Silber. Die Instrumente sind geschmückt mit Kunstblumen und Plastikpflanzen. Frontfrau Isabelle hat weißes Kunsthaar in ihre schwarzen Zöpfe eingeflochten. Sie beginnt acapella. Ihre Stimme ist durch Effekte mal verzerrt, mal sehr tief, mal wabernd. Bei fast jedem Song klingt Isabelle etwas anders, aber durch die Kopfhörer immer kristallklar und sehr nah.
Es ist wie in einem sozialen Experiment. Als wüsste niemand, was als nächstes passiert. Die Zuhörer*innen wirken rastlos, schauen sich oft um. Hört die Person neben mir das Gleiche wie ich? Ist sie genauso ahnungslos wie ich? Kommt zum Acapella-Gesang noch Musik? Dann kommt Musik, aber kein Beat. Wann kommt ein Beat? Die Songs sind ungewöhnlich, haben keinen verlässlichen Pop-Aufbau mit Strophe, Refrain, Strophe, Refrain. Hannah am Bass ist unauffällig in ihrem übergroßen grauen Hemd, ihrer Brille mit großen Gläsern, das Gesicht ganz ohne Make-Up. Auffällig: Sie ist die erste der drei Bandmitglieder, die sichtlich loslassen kann. Von der Erwartung, vom Druck. Sie spielt mit geschlossenen Augen und lässt ihre Hände kunstvoll durch die Luft tanzen.
Fotos: Sarah Cüpper/Mirjam Bär
You Call Me A Beast? I Call You A Beast!
Hannah singt die zweite Stimme. Mal unterstützend, mal kontrastierend zum Gesang Isabelles. “You call me a beast”, singt Isabelle, “I call you a beast”, antwortet Hannah. Ein hypnotisierender Dialog entsteht zwischen den beiden, sie gehen beim Singen aufeinander zu. Der Song implodiert zu einem trotzigen “Call Me!”-Ruf von Isabelle.
Die Melodien sind zuweilen sperrig, die Beats komplex. Immer wieder versuchen Zuschauende mitzuwippen. Aber niemandem scheint das so richtig zu gelingen. Ein paar Lieder machen es schwierig für Zuhörer*innen, einen Takt zu finden. Hilfesuchende Blicke aus dem Publikum zu Lars, der parallel Schlagzeug, Percussion und Synthies ertönen lässt. Vielleicht kann er Hinweise auf einen Takt geben, an dem man sich orientieren kann? Wenn Lars in die Songs einsteigt, nicken die Köpfe im Publikum. Lars ist nicht nur Taktgeber, Lars ist der Takt.
Musik in Trance, nur für mich
Mit fliegenden Fingern, fast in Trance spielt er die schnellen Synthies auf dem Touchpad. Dann wieder Blicke zu Sängerin Isabelle, die manchmal mit einem Lächeln antwortet. Aulylas Musik ist experimentell. Kein seichtes Radiogedudel für nebenbei. Für das Setting von Mute Solo sind die anspruchsvollen Klänge Aulylas aber perfekt: Hier ist Raum zum Zuhören und Reinfühlen. Als Zuhörer*in im Studio kann man Musik ganz intim erfahren. Es fühlt sich an, als würde die Band nur für uns persönlich spielen.
Mute Solo: Eine Bühne für Experimente
Die junge Band hat beeindruckt. Ihr Auftritt wirkt wie ein Werk moderner Kunst: Man versteht es nicht direkt, das muss man aber vielleicht auch gar nicht. Denn es berührt und fesselt trotzdem. Bühnenpräsenz und experimentelle Ausrichtung demonstriert Aulyla bei diesem Stream noch nicht immer flüssig, aber vielversprechend. Wer heute gefehlt hat: Annika mit der Posaune. Welchen Unterschied das gemacht hätte, werden die Zuschauer*innen wohl nie erfahren. Klar ist: Wem Musik gefällt, die sich was traut, der sollte Aulyla im Auge behalten.
Die Musik von Aulyla findet man auf allen gängigen Streaming-Diensten. Die Band arbeitet zurzeit an neuer Musik. 2023 soll ihre nächste EP erscheinen. Eine weitere Runde Mute Solo soll es im nächsten Jahr auch geben.