Nach einem knappen Wahlergebnis steht in der Türkei eine Stichwahl zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten an. Auch in Hamburg konnten Deutschtürk*innen ihre Stimme abgeben.
An der Kreuzung im Grindelviertel zwischen Tesdorpfstraße und Mittelweg steigen immer wieder Personen und ganze Familien aus Bussen und Kombis aus. Eine einzelne alte Frau läuft gebeugt in Richtung des türkischen Generalkonsulats. Dort reiht sie sich in eine Schlange vor dem schwarzen Zaun ein. Es ist der letzte Tag, an dem für die Türkei-Wahlen in Hamburg abgestimmt werden kann.
Stichwahl steht auch in Hamburg bevor
In Hamburg sind mehr als 40.000 türkische Staatsbürger*innen wahlberechtigt, wie der NDR berichtete. Bis zum 9. Mai konnten sie im türkischen Generalkonsulat im Stadtteil Rotherbaum ihre Stimme abgeben. Im Zuge der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei bildeten sich vor dem Generalkonsulat in Hamburg lange Schlangen. In der Türkei wählten die Menschen hingegen erst am 14. Mai.
Mittlerweile steht das Ergebnis der Wahl in der Türkei fest: Laut Angaben der türkischen Wahlbehörde entfielen auf Erdoğan 49,51 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu kam auf 44,88 Prozent. Es kommt zu einer Stichwahl, da keiner der Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit erreicht hat. Daher wird bis zum 28. Mai erneut abgestimmt. In Deutschland konnten Stimmberechtigte bis vergangenen Mittwoch, 24. Mai, ihre Wahl treffen.
So haben Hamburgs Deutschtürk*innen abgestimmt
Die rund 1,5 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland entschieden sich bei der Wahl Mitte Mai eher zugunsten von Recep Tayyip Erdoğan, dem amtierenden Präsidenten. In Hamburg wählten rund 39 Prozent den Kandidaten der Opposition, Kemal Kılıçdaroğlu, wie eine Datensammlung von t-online zeigt.
Diese regionalen Daten seien allerdings mit Vorsicht zu genießen, so der Politikwissenschaftler Henrik Meyer. Der gebürtige Hamburger leitet für die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) das Auslandsbüro in Istanbul und beobachtet die Situation in der Türkei. „Nicht in jeder deutschen Stadt gab es einen Abstimmungsort”, erklärt Meyer. In Hamburg beispielsweise wählen Deutschtürk*innen aus Hamburg und Schleswig-Holstein.
Kritik am Wahlkampf
Politiker*innen der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft kritisieren gegenüber der Deutschen Presseagentur (Dpa) die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei. „Wie erwartet, gab es Versuche, die Wahl zu manipulieren”, erklärte Fraktionschefin Cansu Özdemir, die zusammen mit dem Abgeordneten Norbert Hackbusch und Fraktionsmitarbeiter*innen zur Wahlbeobachtung in die Türkei gereist war.
Hackbusch berichtete aus Cizre an der Grenze zu Syrien von „massiver Militärpräsenz zur Einschüchterung”. Es liege „auf der Hand, dass diese Wahlen nicht frei und fair waren”, sagte er der Dpa. Beweise für großflächige Wahlfälschungen gebe es allerdings nicht, wie Politikwissenschaftler Meyer einordnet.
Laut Henrik Meyer habe Erdoğan den Wahlkampf klar dominiert. Er habe etwa 60-mal so viel Präsenz wie die Opposition in den Medien gehabt, so Meyer weiter. Das sei allerdings keine Überraschung gewesen. Festzuhalten sei, dass der Weg zur Wahl nicht fair gewesen ist.
Ein krudes Demokratieverständnis?
Özdemir kritisierte in Deutschland lebende Erdoğan-Anhänger. “Demokratie und Rechtsstaatlichkeit genießen – aber zugleich für die Verfolgung der Oppositionellen in der Türkei zu stimmen, zeugt von einem kruden Demokratieverständnis”, schrieb sie auf Twitter.
Vor dem türkischen Generalkonsulat bestätigt eine 50-Jährige Frau aus Bergedorf, die auch zur Wahl ansteht, diesen Eindruck: „Die vielen Türken, die hier leben, wollen in Deutschland die Demokratie genießen und in Freiheit leben. Aber bei den letzten Wahlen für die Türkei haben sie trotzdem für das Gegenteil gestimmt. Das macht keinen Sinn.”
2018 bei der letzten Wahl beteiligte sich etwa die Hälfte aller Wahlberechtigten an der Abstimmung. Egal, wie sich die Hamburger*innen bei der Stichwahl entscheiden werden: Der Einfluss der wahlberechtigten Deutschtürk*innen sollte nicht allzu stark ins Gewicht fallen. Das Abstimmungsverhalten der Türk*innen in Deutschland sei in der Vergangenheit eher nicht wahlentscheidend gewesen, so Meyer.