Nach dem Abi gleich ins Studium starten? Viele junge Menschen entscheiden sich lieber für ein Orientierungsjahr. So auch 15 junge Frauen, die am Protechnicale-Programm in Hamburg teilnehmen. Vergangene Woche haben sie die Fakultät Technik und Informatik der HAW Hamburg besucht.
Das Abi ist geschafft und die Sommerferien stehen bevor. Für viele junge Menschen heißt es nun: Warten auf den Semesterbeginn. Wer noch nicht weiß, was er oder sie eigentlich machen möchte, oder wer einfach Zeit zum Durchatmen braucht, entscheidet sich für ein sogenanntes Gap Year. Dieses freie Jahr nutzen viele Abiturient:innen für Praktika, Reisen oder ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ).
Das etwas andere Gap Year
Für ein ähnliches Gap Year haben sich auch 15 junge Frauen aus ganz Deutschland entschieden. Im Mittelpunkt steht aber etwas anderes als das Reisen: Gemeinsam nehmen sie am Orientierungsprogramm von Protechnicale teil, das sie auf den Studienstart im MINT-Bereich vorbereitet. MINT, das sind Fächer in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.
Elf Monate lang leben die Abiturientinnen zusammen in Wohngemeinschaften, absolvieren Praktika und besuchen unterschiedliche Hochschulen. In unmittelbarer Nähe zum Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) stehen dafür in Hamburg-Neuenfelde drei Häuser eigens für die Teilnehmerinnen bereit.
Schnuppertag an der HAW
Am neunten Dezember ging es für die Abiturientinnen auf den Campus am Berliner Tor. Hier befindet sich die Fakultät Technik und Informatik der HAW Hamburg. Einen Tag lernte Gruppe die Fakultät kennen, besuchte Labore und tauschte sich mit Professor:innen und Studentinnen aus.
Es war der elfte Protechnicale-Jahrgang, der durch die schweren Holztüren des Gebäudes am Berliner Tor 21 trat. Seit Anfang Oktober kennen sich die jungen Frauen und sind bereits fest zusammengewachsen. Eine von ihnen ist die 18-jährige Lana aus Hamburg. Ihr habe das Programm schon jetzt geholfen, den wahrscheinlich geeigneten Studiengang zu finden: “Wirtschaftsingenieurwesen interessiert mich besonders”, sagt sie. “Wegen der Kombination aus Wirtschaft und Technik.”
Im fünften Stock des Altbaus stellten sich die Departments Maschinenbau und Produktion und Informations- und Elektrotechnik vor. Prof. Dr. Enno Stöver erklärte, was Maschinenbau überhaupt ist und wo man ihn findet: eigentlich überall. Weil sich an diesem Tag aber mal alles um Frauen drehen sollte, kamen schnell Professorinnen und Studentinnen der Fakultät zu Wort und es entstand eine angeregte Diskussion.
Man kann alles lernen
Prof. Dr. Heike Frischgesell vom Department Maschinenbau und Produktion saß zwischen den Abiturientinnen und erzählte ihnen von ihrem Start ins Studium. Gerade in Fächern, in denen Frauen stark unterrepräsentiert sind, seien Anschluss, Freundschaften und Vorbilder besonders wichtig, sagt sie.
Unter den Studentinnen in der Runde sind auch zwei Mitglieder der Engineering Women’s Alliance. Die Gruppe bietet den meist wenigen Frauen an der Fakultät Technik und Informatik einen Raum für Austausch. Sie wissen, worauf es ankommt: sicheres Auftreten und Selbstbewusstsein. Denn was Frauen in der Technik oft fehle sei der Glaube an die eigenen Fähigkeiten – und den Rest würde man so oder so im Laufe des Studiums lernen.
Mehr Frauen in der Technik
Auch wenn die Quote seit Jahren steigt: Frauen sind in MINT-Berufen noch immer stark unterrepräsentiert. Wie viele andere Programme und Initiativen auch will Protechnicale das ändern und Abiturientinnen dazu ermutigen, in diesem Bereich Fuß zu fassen. Eigentlich richtet sich das Programm an junge Frauen aus Deutschland und der ganzen Welt. Doch auch hier hat die Pandemie Spuren hinterlassen: Vor Corona seien beispielsweise auch Teilnehmerinnen von deutschen Schulen aus Brasilien und Ecuador dabei gewesen.
Um ihnen den Einstieg in die Branche zu erleichtern, ermöglicht Protechnicale den jungen Frauen Praktika im In- und Ausland. Insgesamt 16 Wochen arbeiten sie in Betrieben mit, die mit Protechnicale kooperieren, oder suchen selbst Firmen aus, die sie kennenlernen möchten. Außerdem findet ein regelmäßiger Austausch mit Studentinnen unterschiedlicher Hochschulen statt, von denen einige auch selbst am Programm teilgenommen haben.
Schülerinnen früh für MINT gewinnen
Ziel von Protechnicale ist aber nicht nur junge Frauen auf eine Karriere in der Technik vorzubereiten: Im Laufe der elf Monate lernen sie selbstständig zu leben oder wie man beispielsweise mit Konflikten im (Berufs-)Alltag umgeht. Und auch Einblicke ins Projektmanagement zählen zum Lehrplan.
Und die hohen Bewerberinnenzahlen sprechen laut Projektleiterin Friederike Fechner für sich. Damit künftig noch mehr junge Frauen für MINT-Berufe begeistert werden können, möchte Protechnicale sein Angebot im kommenden Jahr erweitern: Dann soll “Protechnicale School” starten, ein digitales Programm für Oberstufenschülerinnen, das dank unbegrenzter Plätze für alle Interessierten zugänglich sein wird.
Das öffentlich geförderte Orientierungsprogramm beginnt jedes Jahr im Oktober. Seit Dezember 2021 läuft die Bewerbungsrunde für den Jahrgang 2022/2023.